«Die Wissenschaft muss sich verstärkt im politischen Dialog engagieren»
Vom 5. bis 8. September 2017 fand an der Universität Bern die vierte internationale Konferenz über Forschung für nachhaltige Entwicklung (ICRD) statt. Unter dem Motto «Evidence. Engagement. Policies» diskutierten rund 300 Konferenzteilnehmende aus der ganzen Welt über Chancen und Herausforderungen der globalen nachhaltigen Entwicklung. Peter Messerli, Co-Direktor des Interdisziplinären Zentrums für Nachhaltige Entwicklung und Umwelt (CDE) der Universität Bern, forderte die Wissenschaft auf, sich mehr in den politischen Dialog einzubringen.
Ziel der Konferenz war der Austausch zwischen Forschung, Politik und Praxis, um wissenschaftliche Erkenntnisse besser in politische Entscheidungsprozesse einzubringen und die Umsetzung der «Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung» der vereinten Nationen zu unterstützen. Das Kernstück der Konferenz bildeten vier Keynote-Debatten und drei Plenardiskussionen, die sich mit folgenden Themen befassten: Partnerschaften für nachhaltige Entwicklung, Finanzierung nachhaltiger Entwicklung, Gouvernanz natürlicher Ressourcen sowie Gesundheit, Migration und globale Gerechtigkeit.
Am 25. September 2015 war am UNO-Gipfeltreffen die «Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung» verabschiedet worden. Sie wird von der gesamten internationalen Staatengemeinschaft mitgetragen. Kernelement der Agenda 2030 sind die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung, die sogenannten Sustainable Development Goals (SDGs). Die 17 Ziele berücksichtigen erstmals die soziale, ökologische und wirtschaftliche Dimension der Nachhaltigkeit.
Graben zwischen Wissenschaft und Gesellschaft überwinden
An der Konferenz war man sich einig, dass die erfolgreiche Umsetzung der Agenda 2030 nur durch Partnerschaften und den Dialog zwischen Politik, Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Wirtschaft zu erreichen ist. «Forschende müssen mit allen betroffenen Akteuren zusammenarbeiten, um gemeinsame Wege zur Umsetzung der Agenda 2030 zu entwickeln», meinte Esther Mwangi, die kenianische Wissenschaftlerin am internationalen Zentrum für Forstwissenschaften (CIFOR), an der ICRD-Konferenz.
Esther Turnhout, Professorin für Wald und Naturschutz an der niederländischen Universität Wageningen, merkte an, dass Wissenschaft Gefahr laufe, den Kontakt zu der Realität zu verlieren, die sie verbessern wolle: «Wissenschaft sollte nicht nur mehr Engagement zeigen, sie muss sich auch der politischen Bedeutung bewusst sein.» Die Wissenschaft solle darüber nachdenken, wessen Interessen sie mit ihrer Forschung befriedige. Forschungsfragen müssten daher kritisch reflektiert werden und sich an gesellschaftlichen Bedürfnissen orientieren.
5 bis 7 Billionen Franken jährlich für globale nachhaltige Entwicklung
Um die Agenda 2030 erfolgreich umzusetzen, braucht es eine umfassende und konstante Finanzierungsgrundlage. Die Mittel der öffentlichen Entwicklungshilfe allein reichen nicht aus, um die nötigen 5 bis 7 Billionen Schweizer Franken aufzubringen, welche global für die Umsetzung der Agenda jährlich investiert werden müssten. «Einen stärkeren Einbezug der Privatwirtschaft und die Förderung von privat-öffentlicher Finanzierungsmodelle ist essentiell», betonte Michael Gerber, Botschafter und Sonderbeauftragter für globale nachhaltige Entwicklung beim Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten EDA. Auch die Mobilisierung inländischer Ressourcen ist als Finanzquelle von zentraler Bedeutung. Die Agenda 2030 sieht zu diesem Zweck unter anderem vor, nationale Steuersysteme zu stärken und die internationale Zusammenarbeit zur Eindämmung von Steuerhinterziehung und illegaler Finanzströme zu intensivieren.
Dina Pomeranz, Assistenzprofessorin für Ökonomie an der Universität Zürich erläuterte in ihrem Vortrag, dass viele Entwicklungsländer grosse Fortschritte erzielt hätten in Steuerfragen. Vielen Ländern sei es gelungen, ihre Steuereinnahmen zu erhöhen und Hinterziehung zu bekämpfen, was auch zur Finanzierungsgrundlage ihrer Entwicklungsziele beitrage.
Forschungspartnerschaften über die Grenzen hinweg aufbauen
Der Umgang mit den komplexen Herausforderungen, die sich bei der Umsetzung der Agenda 2030 stellen, erfordert neue Denk- und Arbeitsmodelle. Die Wissenschaft kann diesbezüglich einen grossen Beitrag leisten. «Investitionen in langjährige Forschungspartnerschaften mit Entwicklungsländern sind der beste Weg, um rasch Wissen für Verhandlungs-, Lern- und Entscheidungsprozesse bereit zu stellen», betonte Thomas Breu, Konferenzvorsitzender und Co-Direktor vom Centre for Development and Environment (CDE) der Universität Bern. Solche Forschungspartnerschaften über Disziplinen und Grenzen hinweg fördert die DEZA gemeinsam mit dem Schweizerischen Nationalfonds seit mehreren Dekaden unter anderem mit ihrem Forschungsprogramm «Swiss Programme for Research on Global Issues for Development (r4d)».
Paradigmenwechsel von deskriptiver zu transformativer Wissenschaft
Peter Messerli, Co-Direktor vom CDE, fasste in seiner Schlussrede die wichtigsten Erkenntnisse der Konferenz zusammen: «Die Agenda 2030 erfordert einen grundlegenden gesellschaftlichen Wandel. Die Wissenschaft muss sich den neuen Herausforderungen stellen und einen Paradigmenwechsel von deskriptiver hin zu transformativer Wissenschaft anstreben.» Die Wissenschaft solle sich verstärkt im politischen Dialog engagieren. Sowohl Forschende wie auch Geldgeber müssten mehr Risiken eingehen, indem sie sich auch auf politisch sensible Themen einlassen. Wissenschaft müsse für alle zugänglich sein und den gesellschaftlichen Bedürfnissen entsprechen.
CONFERENCE ON RESEARCH FOR DEVELOPMENT (ICRD)
Die ICRD Konferenz wurde ursprünglich im Jahr 2004 vom Nationalen Forschungsschwerpunkt Nord-Süd (NCCR North-South) lanciert. Die ICRD 2017 ist die vierte in der Serie und baut auf den Errungenschaften der früheren Konferenzen auf. Sie wurde vom Schweizerischen Forschungsprogramm «Swiss Programme for Research on Global Issues for Development» (r4d-Programm) der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) und des Schweizerischen Nationalfonds (SNF), sowie dem Interdisziplinären Zentrum für nachhaltige Entwicklung und Umwelt (CDE) der Universität Bern organisiert. Ziel der Konferenz war der Austausch zwischen Forschung, Politik und Praxis sowie das Lernen von unterschiedlichen Perspektiven und die Diskussion innovativer Ansätze. Damit sollen wissenschaftliche Erkenntnisse besser in politische Entscheidungsprozesse eingebracht werden können und die Umsetzung der Agenda 2030 unterstützt werden.
CENTRE FOR DEVELOPMENT AND ENVIRONMENT (CDE)
Das CDE ist das Schweizerische Kompetenzzentrum für nachhaltige Entwicklung. Als eines der strategischen Zentren der Universität Bern ist es beauftragt, nachhaltige Entwicklung gesamtuniversitär in Forschung und Lehre zu verankern. In Abstimmung mit den globalen Zielen für nachhaltige Entwicklung der Agenda 2030 erarbeitet das CDE Lösungsansätze und stösst Transformationsprozesse an, welche die Gewinne und Risiken der Globalisierung fairer verteilen, die natürlichen Ressourcen schonen und das Wohlergehen auf der Welt fördern. Das CDE beschäftigt rund 100 Mitarbeitende aus 17 Disziplinen, ist in fünf Regionen des globalen Südens sowie in der Schweiz und in Europa aktiv. Das CDE realisiert derzeit 50 Projekte mit einem Jahresumsatz von über CHF 15 Millionen. Ein wichtiger Teil der Aufgaben des CDE sind Lehre und Ausbildung. Das CDE bietet Lehrangebote im Bereich nachhaltiger Entwicklung auf Bachelor-, Master-, Doktorats- und Nachdiplomstufe mit derzeit über 500 Studierenden an.
ZUR AUTORIN
Corina Lardelli ist Leiterin der Kommunikation am Zentrum für nachhaltige Entwicklung und Umwelt (CDE) der Universität Bern.