«Ich meine, wir werden gebraucht»
Das Institut für Theaterwissenschaft (ITW) der Universität Bern feiert 2017 sein 25-jähriges Bestehen. «uniaktuell» hat bei Direktor Andreas Kotte nachgefragt, was der Höhepunkt und die grösste Herausforderung war und dabei erfahren, dass beide dasselbe sind.
«uniaktuell»: Herr Kotte, Sie sind der Direktor des einzigen Instituts für Theaterwissenschaft in der Schweiz. Von wem wurde das ITW gegründet und warum in Bern?
Die Idee geht bis 1927 zurück, als die Schweizerische Gesellschaft für Theaterkultur beschloss, sich für einen solchen Lehrstuhl einzusetzen. Begründet hat diese Professur dann die philosophisch-historische Fakultät auf Februar 1992. Am meisten hat sich in dieser Phase Prof. Dr. Hubert Herkommer für die Gründung stark gemacht, ein Germanist. Das ist völlig ungewöhnlich, war doch das erste theaterwissenschaftliche Institut 1923 in Berlin als eine Abspaltung aus der Germanistik entstanden. Die Berner Gründung geschah in einem solidarischen Akt, indem mehrere Institute Mittel bereitstellten. Der Bund übernahm für die ersten Jahre die Ausstattung. Bern ist der ideale Standort wegen der Schweizerischen Theatersammlung in unmittelbarer Nähe.
Welches war aus Ihrer Sicht der Höhepunkt in der 25-jährigen Geschichte?
Höhepunkt und grösste Herausforderung mit gravierenden Rückschlägen – das wäre eine lange Geschichte – war das viersprachige Theaterlexikon der Schweiz TLS. Wir haben mit 236 Autorinnen und Autoren in zehn Jahren mit einer Finanzierung von heute auf morgen und gefährlichen Defiziten die rund 3’600 Artikel zum Schweizer Theater verfasst, die ab 2012 nun online kostenlos zugänglich sind. Dieses enzyklopädische Werk war und ist das erste seiner Art in der Schweiz. Nach der Buchvernissage 2005 war ich glücklich, nicht vorher gewusst zu haben, was auf mich zukommt.
Was zeichnet das Institut in Bern aus im Vergleich zu anderen Instituten für Theaterwissenschaft?
Heute existieren 14 theaterwissenschaftliche Institute im deutschsprachigen Raum mit weit über 10’000 Studierenden. Unser Institut gehört zu den kleineren mit besonders engem Kontakt zwischen Lehrkräften und Studierenden. Das ist eine Erholung für die Erasmus-Studierenden und -Lehrkräfte, die wir in Bern empfangen! Was uns auch auszeichnet ist, dass wir Theaterwissenschaft nicht mit Medienwissenschaft wie in Köln oder Wien kombinieren, sondern mit Tanz. So ist seit 2007 die Professur für Tanzwissenschaft an unserem Institut angesiedelt. Auch gibt es nur noch hier in Bern einen Vorlesungszyklus, der in 7 Semestern die gesamte Theatergeschichte umfasst. Grosse ausländische Institute bieten dafür ein breiteres Spektrum von Lehrveranstaltungen an.
Neben dem analytischen Zugang zum Theater ist am Institut in Bern der praktische Zugang wichtig. Warum ist das so und in welcher Form?
Wir bieten keinen Schauspielunterricht, aber wer Theater einschätzen will, muss viel Theater sehen. So besuchen die Studierenden im 1. Semester ein Stadttheater, eine freie Gruppe und erleben einen Abend Volkstheater mit Tombola. Wir fahren jährlich zudem eine Woche an das Theatertreffen nach Berlin, alternierend an die Wiener Festwochen. Ausserdem führen Exkursionen die Studierenden zu den oberitalienischen Theaterbauten oder zu den griechischen. Im Masterstudium absolvieren sie auch ein mehrwöchiges Praktikum an einem Theater. 1993 haben die Studierenden das Berner Studentinnentheater (BeST) begründet; im März findet übrigens in Bern wieder das «BeSTival» statt mit 10 Gast-Gruppen. Besser als mit Theaterspiel kann man ein geisteswissenschaftliches Studium nicht ergänzen.
Was interessiert Sie persönlich am Theater?
Theater ist kein Bild, kein Medium; Theater lebt. Mich interessieren die Unwägbarkeiten des Spiels und seine soziale Komponente. «Theater ist ein Laboratorium sozialer Beziehungen», meinte dazu der Philosoph Wolfgang Heise. Das gilt für die Theatergeschichte wie für das Theater heute Abend.
Wann waren Sie zum letzten Mal im Theater?
In Bern habe ich zuletzt Katzelmacher von Rainer Werner Fassbinder gesehen und im Foyer Cihan Inan, den neuen Leiter des Schauspiels, getroffen, der vor genau 25 Jahren zu den ersten Studenten zählte. Die ehemalige Studentin Regula Schröter wurde gerade neue Leiterin des Schauspiels in Luzern – und so schliessen sich viele Kreise…
Wo sehen Sie das Institut in weiteren 25 Jahren? Welches sind Ihre Wünsche zum Jubiläum?
Wie ich es sehe? Nicht grösser, nicht kleiner, nur klüger. Eine grosse Herausforderung wird es ja sein, die Mechanismen der allgegenwärtigen «Nichtwissenwollengesellschaft» (Eduard Kaeser), die mit Gefühlen und Stimmungen auch Präsidenten mit hohem Lügenindex wählt, zu entlarven. Und dazu können wir als Spezialisten für alle Arten von Schauspiel, Darstellung, Verkehrung, Masken, Bloss- und Zurschaustellung, Dokumentation, Erzählung und so weiter sicher beitragen. Ich meine, wir werden gebraucht. Für das Institut wünsche ich mir neugierige und kritische Studierende, die ihren Weg in die Praxis finden werden. Schliesslich heisst ITW bei uns: Immer Tapfer Weiter.
Zur Person
Andreas Kotte ist seit 1992 Direktor des Instituts für Theaterwissenschaft an der Universität Bern. Nach Abitur, Berufsabschluss Bauzeichner und einer Tätigkeit als Beleuchter studierte er Theaterwissenschaft, Kulturwissenschaft und Ästhetik an der Humboldt Universität zu Berlin. Er promovierte und habilitierte dort und war danach als Privatdozent tätig. Seine Schwerpunkte liegen neben dem Schweizer Theater in der systematischen Theaterwissenschaft und der Theaterhistoriografie.
Kontakt:
Prof. Dr. Andreas Kotte
Universität Bern
Institut für Theaterwissenschaft
T direkt: +41 31 631 38 26
E-Mail: andreas.kotte@itw.unibe.ch
Das Institut für Theaterwissenschaft
Das ITW erforscht die Theater- und Tanzkultur in allen ihren historischen und ästhetischen Ausprägungen. Es versucht, die Theaterarbeit, die Theaterkritik, die Ausbildung von Theater-, Tanz- und Medienfachleuten im Dialog qualitativ zu beeinflussen. Langfristig entsteht eine «Theatergeschichte der Schweiz». Dramaturgie unterstützt Theater- und Tanzproduktionen und neue Dramatik. Aufführungsanalyse durchleuchtet und dokumentiert gegenwärtiges Schweizer und internationales Theater- und Tanzschaffen. So analysieren wir die Strukturen und Funktionen, Unterschiede und Gemeinsamkeiten in den Produktions- und Rezeptionsformen der vielschichtigen Schweizer Theaterlandschaft und bringen die Ergebnisse in den internationalen Diskurs ein.
Die Jubiläumsveranstaltung
Theater verstehen - kompetent gestalten
Festanlass mit Buchvernissage zum 25-Jahr-Jubiläum des ITW
Freitag, 17. Februar 2017
15:00 Uhr im Kuppelraum, Hauptgebäude der Universität Bern, Hochschulstrasse 4
Anmeldung noch bis zum 9. Februar per E-Mail an: beate.schappach@itw.unibe.ch
Zur Autorin
Brigit Bucher arbeitet als Stv. Leiterin Corporate Communication an der Universität Bern und ist Redaktorin bei «uniaktuell».