«Man baut auf den Schultern der Vorgänger»
Der Berner Klima- und Umweltphysiker Thomas Stocker wurde mit dem diesjährigen Schweizer Wissenschaftspreis Marcel Benoist ausgezeichnet. Im Vorfeld zur Preisvergabe präsentierte Stocker an einer Medienkonferenz der Marcel Benoist Stiftung in Anwesenheit von Bundesrat Johann Schneider-Ammann an der Universität Bern seine preisgekrönte Forschung zu Klimamodellen.
Seine Forschungserkenntnisse haben eine hohe Bedeutung für das menschliche Leben und betreffen eine der wichtigsten Herausforderungen der heutigen Gesellschaft: so begründete die Marcel Benoist Stiftung ihren Entscheid vom 1. September 2017, den diesjährigen Schweizer Wissenschaftspreis Marcel Benoist an den Berner Klima- und Umweltphysiker Thomas Stocker zu vergeben. Stocker erhält die Auszeichnung für seine Modellierungen und Eiskernbohrungen, anhand derer er die Klimaveränderungen und die sich daraus ergebenden Konsequenzen aufzeigt.
An der Medienkonferenz der Marcel Benoist Stiftung, die den Schweizer Wissenschaftspreis anlässlich ihres bald 100-jährigen Jubiläums neu ausrichtet, stellte Stocker seine Forschung vor. Anschliessend führte er auf einem Rundgang Bundesrat Johann Schneider-Ammann, Präsident der Marcel Benoist-Stiftung, sowie Vertreter des Schweizer Nationalfonds und des Bundes durch die Laborräumlichkeiten.
Innovation als Überlebenselixier
Bundesrat Johann Schneider-Ammann bezeichnete an der Medienkonferenz Wissenschaft und Forschung als zentral, und Innovation als Überlebenselixier der Schweiz. Er verkündete, dass die Marcel Benoist Stiftung, die den «Schweizer Nobelpreis» vergibt, dank namhafter Donatoren für die nächsten zwanzig Jahre solide aufgestellt sei. Dies sei auch ein «Bekenntnis zum Wissenschaftsplatz Schweiz». Wichtige Unterstützung leistet auch der Schweizerische Nationalfonds (SNF), wie Matthias Egger, Präsident des Forschungsrates, erläuterte: so wird der SNF künftig die Evaluation der Preisträgerinnen und Preisträger vornehmen und die Preisvergabe durchführen. Der Marcel Benoist-Preis bleibe weiterhin «ein Preis für etablierte Forscher – wie Thomas Stocker – und mit Zukunftspotenzial – wie Thomas Stocker, also kein Preis für Nachwuchsforschende wie andere Schweizer Preise.»
Zwei Weltrekorde geplant
Thomas Stocker gab seiner Begeisterung über den Preis Ausdruck, der auch an die Universität Bern und die Klimaforschung gehe. Er dankte seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die seit 24 Jahren mitentwickelt und mitgedacht hätten, sowie seinen Vorgängern, die das Forschungsgebiet in der Schweiz verankert hätten: «Man baut auf den Schultern grosser Menschen.» Auch die lückenlose Unterstützung seiner Forschung durch den SNF seit seiner Doktorarbeit habe seine Arbeit erst ermöglicht.
Mit dem Preisgeld von 250'000 Franken könne Stocker nun Dinge durchführen, «die man normalerweise nicht gefördert bekommt – wie neue Weltrekorde aufzustellen». Bisher habe er im Rahmen seiner Eisbohrkern-Forschung bereits das bisher älteste Eis der Erde erbohrt (800'000 Jahre alt). Anhand dieses Klimaarchivs konnte Stocker nachweisen, dass es in der Vergangenheit keinen vergleichbaren Anstieg des Treibhausgases CO2 gab, wie er seit den letzten 50 Jahren stattfindet.
Nun sollen der zweite und dritte Weltrekord folgen: Stocker und sein Team planen, mit dem kleinsten Bohrer, der je eingesetzt wurde, in 2.5 Kilometern Tiefe das älteste je erbohrte Eis zu gewinnen (1.5 Millionen Jahre alt). Anhand der Rekonstruktion von Klimaveränderungen der Vergangenheit entwickelt Stocker Modelle, um zukünftige Entwicklungen des Klimas und des menschgemachten Klimawandels zu berechnen. Die sich daraus ergebenden Konsequenzen zeige er Regierungen weltweit auf, weshalb er von der Marcel Benoist Stiftung in der Laudatio als «nationale und internationale Schlüsselperson in der Klimaforschung» bezeichnet wird.
Mit dem Zahnarzt-Bohrer in die Tiefe
Auf einem Rundgang durch die Werkstätten präsentierten Stockers Mitarbeiter die bisherige und künftige Eisbohrkern-Forschung.
Der Physiker Jakob Schwander erklärte die von ihm entwickelte Nadelstichtechnologie mit dem Bohrer, der nicht grösser ist als eine elektrische Zahnbürste. Dieser wurde in Grönland bereits erfolgreich getestet. Ein grosser Vorteil der Berner Technologie ist der minime logistische Aufwand: da der Durchmesser des Bohrlochs gerade mal zwei Zentimeter beträgt, braucht der ultraleichte Eisbohrer 40-mal weniger Bohrflüssigkeit als eine konventionelle Eisbohrung. Um eine Tiefe von 2.5 Kilometern zu erreichen, benötigt er rund 3 Tage. Der Start der eigentlichen Bohrungen in der Antarktis ist für 2020 angesetzt, nachdem geeignete Standorte gefunden wurden. Ist der Eiskern einmal gehoben, folgt seine aufwändige chemische und physikalische Analyse. Dabei nimmt das Oeschger-Zentrum der Universität Bern eine wichtige Rolle im internationalen Forschungs-Konsortium ein.
Bundesrat Johann Schneider-Ammann konnte sich anschliessend eigenhändig von der Qualität der Berner Forschung überzeugen: ein weiterer Mitarbeiter legte ihm ein Stück 400'000 Jahre altes Eis in die Hand, in dem die Lufteinschlüsse deutlich erkennbar waren.
Der Bundesrat liess es sich auch nicht nehmen, sich mit einem Lehrling, der den besten Abschluss 2017 getätigt hatte, ablichten zu lassen.
Früchte für jahrzehntelange Forschung
Für Christian Leumann, Rektor der Universität Bern, bedeutet der Marcel Benoist-Preis eine grosse Auszeichnung: «Damit wird Forschung anerkannt, die wir seit Jahrzehnten vorangetrieben haben.» Dieser Erfolg gehe auf die zweite Hälfte des letzten Jahrhunderts zurück, als die Klimaphysik ein Nischengebiet war, und es an der Universität Bern Leute gab, die daran glaubten, dass dies nicht nur ein interessantes, sondern für die Welt auch relevantes Gebiet sei. «Diese Leute hatten damals die Weitsicht und haben dieses Forschungsgebiet an der Universität Bern verankert. Wir ernten heute die Früchte dafür», sagte Leumann. Solche Forschung könne man auch nur langfristig stemmen, sie hänge von der Technologie-Entwicklung ab. Ausserdem handle es sich bei der preisgekrönten Forschung auch nicht um ein isoliertes Projekt, sondern um eine grosse internationale Forschungskooperation.
SCHWEIZER WISSENSCHAFTSPREIS MARCEL BENOIST
Mit dem Schweizer Wissenschaftspreis Marcel Benoist werden seit 1920 jedes Jahr in der Schweiz etablierte Wissenschaftler für ihre bedeutenden Arbeiten und deren Auswirkung auf das menschliche Leben ausgezeichnet. Der Preis wird zum siebten Mal an einen Berner Forscher vergeben. In der bald hundertjährigen Geschichte haben bisher zehn Preisträger später den Nobelpreis erhalten. Im Stiftungsrat der Marcel Benoist Stiftung sind die beiden ETH sowie die zehn Universitäten der Schweiz vertreten.
ZUR PERSON
Thomas Stocker ist Schweizer Bürger und 1959 geboren. Er hat an der ETH Zürich 1987 doktoriert und danach in London, Montreal und New York geforscht. Seit 1993 leitet er die Abteilung für Klima- und Umweltphysik am Physikalischen Institut der Universität Bern. Von 2008 bis 2015 war er Co-Vorsitzender der Arbeitsgruppe I des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) der Vereinten Nationen. Der Bericht, der unter seinem Vorsitz im September 2013 von allen Ländern verabschiedet wurde, bildete die wissenschaftliche Grundlage für das Klimaabkommen von Paris.
Kontakt
Prof. Dr. Thomas Stocker
Universität Bern
Physikalisches Institut, Klima- und Umweltphysik (KUP)
Sidlerstrasse 5
3012 Bern
Telefon direkt: +41 31 631 44 62
E-Mail: stocker@climate.unibe.ch
Zur Autorin
Nathalie Matter ist Redaktorin PR/Media bei Corporate Communication.