«Mit Mut und manchmal auch Wut»

Die Schweizerische Gesellschaft für Geschlechterforschung vergab am Montag, 20. November 2017 erstmals den «Brigitte-Schnegg-Preis für Geschlechterforschung». Eine der beiden Preisträgerinnen ist die Berner Historikerin Fabienne Amlinger, die für ihre Dissertation «Im Vorzimmer der Macht? Die Frauenorganisationen der SPS, FDP und CVP (1971–1995)» geehrt wurde.

Interview: Lilian Fankhauser 22. November 2017

«uniaktuell»: Sie durften am Montag den ersten Brigitte-Schnegg-Preis für Geschlechterforschung entgegennehmen: Herzliche Gratulation! Ihre Dissertation, die soeben als Buch erschienen ist, spürt den ersten Frauen in den grossen politischen Parteien der Schweiz nach. Warum haben Sie den Zeitraum 1971–1995 gewählt? 
Fabienne Amlinger: Vielen Dank! 1971 erhielten Schweizerinnen die politischen Rechte auf Bundesebene. Die Nichtwahl der Bundesratskandidatin Christiane Brunner im Jahr 1993 markierte ein weiteres zentrales Ereignis. Als sich das Parlament weigerte, Brunner zum Regierungsmitglied zu ernennen, löste das massiven Protest aus. Der Untersuchungszeitraum wurde um zwei Jahre erweitert, um die aufgrund dieses Ereignisses von den Parteien ergriffenen Frauenförderungsmassnahmen zu berücksichtigen.

Fabienne Amlinger (rechts) mit Andrea Maihofer, Präsidentin der Schweizerischen Gesellschaft für Geschlechterforschung, während der Preisverleihung. Alle Bilder: © Universität Bern
Fabienne Amlinger (rechts) mit Andrea Maihofer, Präsidentin der Schweizerischen Gesellschaft für Geschlechterforschung, während der Preisverleihung. Alle Bilder: © Universität Bern

Haben Pionierinnen wie Christiane Brunner oder Lilian Uchtenhagen die Schweizer Politik nachhaltig verändert?
Ja. Uchtenhagen kandidierte 1983 als erste Frau für den Bundesrat, Brunner zehn Jahre später. Beide wusste das bürgerlich-männlich dominierte Parlament jedoch zu verhindern. Die Geschichten der beiden Politikerinnen verdeutlichten den chronischen Ausschluss von Frauen aus der Politik und damit ein augenscheinliches Demokratiedefizit der Schweiz. Die Nichtwahl von Brunner löste heftigste Proteste aus, was zu einem gleichstellungspolitischen Transformationsprozess und einem gestiegenen Frauenanteil in der Politik führte.

Sie haben die SVP in Ihrer Studie nicht berücksichtigt. Warum nicht? 
Als einzige eidgenössische Regierungspartei verfügt die SVP nicht über ein öffentlich zugängliches Archiv.

Was sind für Sie als Historikerin die wichtigsten Erkenntnisse dieser Forschungsarbeit? 
Zusammengefasst zeigt die Dissertation, dass geschlechtsspezifische Macht- und Repräsentationsasymmetrien in der Politik auch nach der Einführung des Frauenstimmrechts bestehen blieben. In dieser Situation waren die parteiinternen Frauenorganisationen wichtig. Sie haben immer versucht, ihre Anliegen mit viel Arbeit und mit gelegentlichem Opponieren gegen die männliche Übermacht umzusetzen. Oft waren auch grosse Anpassungsleistungen an die Regeln und Normen des politischen Feldes, Mut und manchmal auch Wut nötig.

Ging in ihrer Dissertation den ersten Frauen in den grossen politischen Parteien der Schweiz nach: Fabienne Amlinger.
Ging in ihrer Dissertation den ersten Frauen in den grossen politischen Parteien der Schweiz nach: Fabienne Amlinger.

Das Thema «Frauen in der Politik» ist nach wie vor aktuell, bei der Bundesratswahl diesen Sommer etwa wurde erneut eine Frauenquote für dieses Amt diskutiert. Liefert Ihre Arbeit auch Hinweise für diese Debatten?
Die Frauenorganisationen aller untersuchten Parteien diskutierten früher oder später über Quoten. Wo solche eingeführt wurden, führten sie zu Erfolgen!

Was bedeutet Ihnen persönlich die Verleihung des Brigitte-Schnegg-Preises für Geschlechterforschung?
Der Preis bedeutet mir speziell viel: Als langjährige Vorgesetzte und als wichtiges akademisches Vorbild hat mich Brigitte Schnegg immer bestärkt, eine Dissertation zu verfassen. Die nun abgeschlossene Forschung ist also auch ein Ergebnis von Brigitte Schneggs Nachwuchsförderung. Die Verleihung des Preises bedeutet für mich, dass die Dissertation offenbar jenem akademischen Schaffen entspricht, das im Sinne von Brigitte Schnegg wäre, und das freut mich enorm.

ZUR PERSON

Fabienne Amlinger ist Historikerin und Geschlechterforscherin. Sie hat an den Universitäten Bern und Basel Geschichte, Sozialanthropologie und Soziologie studiert. Seit 2006 arbeitet sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Interdisziplinären Zentrum für Geschlechterforschung IZFG der Universität Bern. Dort ist sie in den Bereichen Lehre, Forschung und Kommunikation tätig. Zwischenzeitlich arbeitete sie zudem als Assistentin am Historischen Institut der Universität Bern, wo sie bis heute Lehraufträge innehat. 2015 hat sie ihre Doktorarbeit über die Frauenorganisationen der eidgenössischen Regierungsparteien abgeschlossen, die dieser Tage unter dem Titel «Im Vorzimmer der Macht? Die Frauenorganisationen der SPS, FDP und CVP (1971-1995)» erscheint. In diesem Herbst startete Fabienne Amlinger auf der Grundlage dieser Forschung ein vom Schweizerischen Nationalfonds unterstütztes schweizweites Ausstellungsprojekt zu Schweizer Politikerinnen in den unmittelbaren Jahren nach der Einführung des eidgenössischen Frauenstimmrechts.

Forschungsschwerpunkte:

  • Frauen- und Geschlechtergeschichte
  • Geschichte der schweizerischen Frauenbewegung
  • Geschlecht und politische Partizipation
  • Neue Politikgeschichte 
  • Gender Studies

Kontakt

Dr. Fabienne Amlinger 
Universität Bern
Interdisziplinäres Zentrum für Geschlechterforschung IZFG 
Vereinsweg 23
3012 Bern
Telefon direkt: +41 31 631 40 25
fabienne.amlinger@izfg.unibe.ch

DER BRIGITTE-SCHNEGG-PREIS FÜR GESCHLECHTERFORSCHUNG

Der Preis der Schweizerischen Gesellschaft für Geschlechterforschung SGGF wurde zu Ehren von Prof. Dr. Brigitte Schnegg geschaffen, die bis zu ihrem plötzlichen Tod 2014 das Interdisziplinäre Zentrum für Geschlechterforschung IZFG der Universität Bern geleitet hat. Am 20. November 2017 wurde der Preis an einer Preisverleihung in Basel zum ersten Mal verliehen. Neben Dr. Fabienne Amlinger wurde auch Dr. Yv Eveline Nay (Universität Basel) für ihr Buch «Feeling Family» ausgezeichnet.

ZUR AUTORIN

Lilian Fankhauser ist Co-Leiterin der Abteilung für Gleichstellung der Universität Bern und war Mitglied der Jury.

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