Vielfältige theatrale Formen in der Schweiz
Am 8. und 9. Dezember 2017 fand an der Universität Bern die Jubiliäumstagung des Instituts für Theaterwissenschaft (ITW) und der Schweizerischen Gesellschaft für Theaterkultur (SGTK) statt. Unter dem Titel «Schweizer Theaterwelten / La Suisse – ses théâtres en scène / Universi teatrali svizzeri» wurde über die Heterogenität und Mehrsprachigkeit von Theaterkulturen in der Schweiz diskutiert.
Mit der dreisprachigen Jubiläumstagung an der Universität Bern wurde das 90-jährige Bestehen der Schweizerischen Gesellschaft für Theaterkultur (SGTK), das 60-jährige Jubiläum des Theaterpreises Hans-Reinhart-Ring sowie die Gründung des Instituts für Theaterwissenschaft (ITW) der Universität Bern vor 25 Jahren gefeiert. An der Tagung wurde zum einen die Geschichte und Bedeutung der drei jubilierenden Institutionen erkundet und zum anderen Bedingungen des aktuellen Theaterschaffens in den verschiedenen Landesteilen der Schweiz in den Blick genommen.
«Pour un théâtre translinguistique»
Eröffnet wurde die Tagung mit einem Festvortrag von Professor Thomas Hunkeler (Université de Fribourg) über die Prämissen für ein sprachenübergreifendes Theater. Er sprach den mehrsprachigen Charakter und die translinguistische Tendenz innerhalb der Schweizer Theaterlandschaft an und hob hervor, dass kulturelle Vielfalt und kulturelle Teilhabe immer auch politische Akte sind.
Ebenso zu den Eröffnungsfeierlichkeiten gehörten eine Sonderausstellung zu Oskar Eberle, Mitbegründer der SGTK und prägende Figur des theaterhistorischen Diskurses in der Schweiz des 20. Jahrhunderts sowie die Buchvernissage von MIMOS, dem Schweizer Theater-Jahrbuch. Der diesjährige Band ist der Schauspielerin Ursina Lardi, Trägerin des Schweizer Grand Prix Theater / Hans-Reinhart-Ring 2017, gewidmet. Dieser Preis habe eine wichtige vermittelnde Rolle zwischen Publikum, Theaterschaffenden und Kulturpolitik, wie Claudia Rosiny vom Bundesamt für Kultur und Paola Gilardi, Mitherausgeberin von MIMOS 2017, in ihren Ansprachen sagten.
Die Folgen einer politischen Akzentverschiebung
Die Vorträge von Heidy Greco-Kaufmann (Schweizerische Theatersammlung SAPA) und Sarah Marinucci (ITW) führten in die Wissenschaftsgeschichte des Fachs ein, unter anderem in die fast 65 Jahre dauernde Gründungsgeschichte des Instituts für Theaterwissenschaft an der Universität Bern. Ohne das langjährige Engagement der SGTK gäbe es das Institut gar nicht: Bereits 1927 formulierte die SGTK den Wunsch nach einem Lehrstuhl für das damals gerade entstehende Fach Theaterwissenschaft. Die tatsächliche Gründung des ITW im Jahr 1992 war dann einer politischen Akzentverschiebung in der Berner Regierung zu verdanken, die es der damaligen Erziehungsdirektorin Leni Robert-Bächtold ermöglichte, die Gründung des Instituts voranzutreiben. Das Berner Institut ist bis heute die letzte Neugründung eines theaterwissenschaftlichen Instituts und somit das jüngste Institut im deutschsprachigen Raum.
Theater in der Schweiz – Die vielen Gesichter eines Landes
Demis Quadri (Accademia Teatro Dimitri), Danielle Chaperon (Université de Lausanne) und Mathias Bremgartner (Migros-Kulturprozent) thematisierten in ihren Referaten die heterogenen Tendenzen und Theatertraditionen innerhalb der frankophonen, Deutschschweizer und Tessiner Theaterszenen sowie den Einfluss und das Zusammenspiel unterschiedlicher Institutionen und nationaler Netzwerke. Vertieft wurde dies in einer abschliessenden Table ronde, die auf Französisch, Italienisch und Deutsch die sprachliche und kulturelle Diversität der Schweizer Theatertraditionen perspektivierte. «Es ist gerade diese mehrsprachige und international wie lokal verortete Vielfalt, die als Besonderheit der Schweizer Theaterszene den Status eines immateriellen Kulturerbes verdient», so Beate Hochholdinger-Reiterer (ITW).
«Sprachgrenzen in Verbindung bringen»
Zu Beginn der Tagung hatte sich Anne Fournier (Freie Journalistin und Co-Präsidentin der SGTK) eine inhaltliche Auseinandersetzung über den Einfluss der beiden gastgebenden Institutionen sowie des Grand Prix Theater / Hans-Reinhart-Rings auf die Schweizer Theaterkultur gewünscht. Diesem Anspruch sei die Jubiläumstagung vollkommen gerecht geworden, bestätigte Andreas Härter (Co-Präsident der SGTK) zum Abschluss: «Es ist ein Anliegen der SGTK, die vielfältigen Theaterwelten der mehrsprachigen Schweiz miteinander in Verbindung zu bringen, Sprachgrenzen zu überschreiten und den Austausch theatraler Formen und Traditionen zu dokumentieren und zu fördern. Die Jubiläumstagung von SGTK und ITW hat dieses Anliegen in geradezu idealer Weise verwirklicht. Es ist exemplarisch sichtbar geworden, dass Theaterwissenschaft, Theaterpraxis, Theaterkritik und Theaterrezeption an einem gemeinsamen Diskurs partizipieren, der immer schon über regionale, nationale, kulturelle Grenzen hinausgeht.»
Die Beiträge der Jubiläumstagung werden im Mai 2018 als Sammelband publiziert.
DAS INSTITUT FÜR THEATERWISSENSCHAFT
Das ITW erforscht die Theater- und Tanzkultur in allen ihren historischen und ästhetischen Ausprägungen. Es versucht, die Theaterarbeit, die Theaterkritik, die Ausbildung von Theater-, Tanz- und Medienfachleuten im Dialog qualitativ zu beeinflussen. Langfristig entsteht eine «Theatergeschichte der Schweiz». Dramaturgie unterstützt Theater- und Tanzproduktionen und neue Dramatik. Aufführungsanalyse durchleuchtet und dokumentiert gegenwärtiges Schweizer und internationales Theater- und Tanzschaffen. So werden die Strukturen und Funktionen, Unterschiede und Gemeinsamkeiten in den Produktions- und Rezeptionsformen der vielschichtigen Schweizer Theaterlandschaft analysiert und die Ergebnisse in den internationalen Diskurs eingebracht.
Zu den Autorinnen
Johanna Hilari ist Doktorandin und Assistentin am Institut für Theaterwissenschaft der Universität Bern.
Nadja Rothenburger ist Austauschstudierende am Institut für Theaterwissenschaft der Universität Bern.