Von verborgenen Erkenntnissen in der Finsternis
Josefine Klougart ist die achte Friedrich Dürrenmatt Gastprofessorin für Weltliteratur an der Universität Bern und die dritte, die zum Auftakt ihrer Gastprofessur in die Burgerbibliothek einlud, um aus ihren neuesten Texten, «Om mørke» (Über die Finsternis) und «New Forest», zu lesen. In einer anschliessenden Diskussion beleuchtete Klougart die Annahmen, die ihren Werken zugrunde liegen.
Draussen ist es noch hell, als der Hallersaal der Burgerbibliothek sich langsam füllt. Das leise Knarzen der hölzernen Stühle auf dem historischen Boden erfüllt den Raum, bis sich die Aufmerksamkeit Oliver Lubrich, Professor für Neuere Deutsche Literatur und Komparatistik an der Universität Bern, zuwendet, der die Dürrenmatt Gastprofessorin Josefine Klougart vorstellt.
«Sie wird als neue Stimme Dänemarks gepriesen, die Virgina Woolf des Nordens», eröffnet Lubrich die Veranstaltung. Schnell nähert er sich den Motiven in Klougarts bereits gewaltigem literarischen Corpus: Trauer, Verlust, Trennung, Finsternis führt er als Themenfelder an. Auch Klougarts doppelte Tätigkeit einerseits als Schriftstellerin, andererseits als Lehrende an der Universität thematisiert Lubrich und weist darauf hin, dass Schriftstellerinnen und Schriftsteller Literatur anders unterrichten als Gelehrte.
Der erst 32-Jährigen Dänin lauscht der gut gefüllte Saal nun gebannt bei ihrer Lesung, die sie in zwei Teile gliedert. Im ersten sollen einige Gedanken zu ihrer persönlichen Vorstellung von Literatur präsentiert werden, während der zweite mit «ein wenig Vorlesen» gefüllt ist.
Für Klougart ist Literatur eine Grundlagenforschung zur menschlichen Existenz. Durch das Lesen könne der Geist in einen Zustand gelangen, der es ihm gestatte, verborgene Bedeutungsinhalte zu entdecken. Klougarts Verständnis von Literatur zielt weniger auf das Nachvollziehen eines linearen Erzählstranges, sondern auf fragmentarische Momentaufnahmen des Lebens. Menschliches Erleben wird in atmosphärischen Metaphern und Gleichnissen hervorgerufen – oder sogar durch Negation, das Auslassen oder die Vernichtung von Wörtern.
Als Metapher fungiert auch der von ihr gewählte Titel des Seminars an der Universität Bern. Darkness (Finsternis) sei eine mächtige Metapher, die den Zustand der Welt beschreibe. Menschen ringen gegen das Dunkle im Denken. Das Schreiben, das bewusste Hervorbringen eines Satzes, sei ein nie ganz befriedigender Akt, da ein grosser Teil der Energie davon im Abgrund, der Dunkelheit verborgen bleibe. Ein aufgeschriebener Satz sei nie so gut, wie er im Kopf geklungen habe. Klougart nennt aber auch einen weiteren, etwas profaneren Grund für den Seminar-Titel Darkness: «Nun, es ist halt auch der Titel eines meiner Bücher.»
Strukturen und «ein wenig Vorlesen»
Handlungen in On Darkness und New Forest den Zuhörenden im Saal vorzuführen, ist nach Klougart zwecklos. Vielmehr kann von der Struktur der Texte, der Aufteilung und der Beschaffenheit des Drucks etwas Neues gewonnen werden.
In On Darkness beherrschen zwei Metaphern den Prozess des Erzählens. Bei der ersten handelt es sich um runde Objekte, wie das Auge, das Ei oder das Sandkorn. Die zweite Metapher ist Darkness: «Der Verlust des Vaters, der negative Raum zwischen konservierten Körpern unter einem Haufen Asche, verschwundene Worte, Planeten, die sich voneinander entfernen und die Abwesenheit des Lichts.» Klougart überlässt es jeder Person im Saal, die verbindenden Ketten zwischen den Metaphern zu finden.
Bei New Forest, dem neuesten Werk, schrieb Klougart die ersten 500 Seiten, ohne zu wissen, worum es eigentlich gehen soll und welche Fragen sie mit diesem Werk beantworten will. Der Titel New Forest entspringt einem gleichnamigen Ort in Hampshire im Süden Englands, wo Klougart in ihrer Kindheit einige Zeit verbrachte. Ein Ort, «wo das Vieh zur Bevölkerung zählt und wo man warten muss, bis die Kuhherde die Strasse überquert hat.» Das Werk ist ein Triptychon, ein Dreiteiler, der Eindrücke aus dem Leben eines Mädchens, einer Frau im Alter von Klougart selbst und einer alten Dame schildert und Prozesse wie das Sterben, den Mythos der Familie und den ewigen Wettstreit zwischen Geschwistern dekonstruiert.
In der anschliessenden Diskussion mit Lubrich kommt Klougart nochmals auf den Prozess des Sterbens zu sprechen. Der Tod sei kein singulärer Punkt im Leben eines Menschen. Die Erzählinstanz in New Forest würde die gesamte Existenz als Reise auf der Suche nach dem Tod und das Sterben als Prozess, der mit der Geburt beginnt, verstehen.
«Die poetische Sprache wird Euch guttun»
Das von Klougart geleitete Seminar an der Universität Bern wird von ihr genutzt, um mit den Studierenden folgenden Fragen nachzugehen: Was ist gute Literatur? Was macht ein gutes Leseerlebnis aus? Regelmässig liest die Gruppe gemeinsam laut, bespricht Assoziationen und Eindrücke, die durch das Lesen entstehen, und ergründet diese näher. In einer Sitzung erklärt Klougart die Verbindung von Mensch und Natur durch die Lyrik und versucht, den Dualismus von Form und Kontext eines Werks durch Metaphern zu verdeutlichen. «Die Struktur des Blatts ist das Blatt.» Die Studierenden sollen die rhythmischen Klänge und Verbindungen, die während des Lesens im Raum entstehen, langsam wahrnehmen und weiterverarbeiten können. Hierbei müssen textanalytische Methoden und Interpretationsstrategien an der Türschwelle gelassen werden. Man solle sich laut Klougart dem Text als «Idiot» nähern. Sie wehrt sich gegen das Sezieren eines Textes und erwartet auch, dass ihre Studierenden sich den dafür notwendigen entzaubernden Instrumenten fern halten. «Das Lesen in den Institutionen wirkt als Instrument, um tieferliegende Gedanken zu Tage zu fördern. Jedoch ist Literatur auch immer ein Werk für sich. Es gibt immer wieder diese intellektuelle Praxis, ein Buch zur Hand zu nehmen und zu meinen, man müsse irgendwie darauf vorbereitet sein. Das kann so weit gehen, als Vorbereitung auf ein Buch ein Buch zu lesen über das Buch, das das Buch thematisiert.»
Draussen ist es mittlerweile dunkel. Klougarts Worte hallen in den Köpfen der Anwesenden wider. Um ihre Thesen zu verstehen, muss sich der Geist zuerst in das Dunkel wagen und umhertasten. Die verborgene Erkenntnis offenbart sich erst mit der Auseinandersetzung der abschirmenden Düsternis.
ZUR PERSON
Josefine Klougart ist eine der vielversprechendsten und produktivsten jungen Autorinnen Skandinaviens und bereits jetzt eine der gefragtesten literarischen Stimmen ihrer Generation.
Geboren 1985 in Dänemark, lebt Klougart heute in Kopenhagen. Sie studierte Literatur und Kunstgeschichte in Aarhus und besuchte die Danish Writer's School in Kopenhagen, die sie 2010 abschloss. Im gleichen Jahr veröffentlichte sie ihren Debütroman Stigninger og fald (engl. Rise and Fall), der mit dem Danish Royal Prize for Culture ausgezeichnet und für den Nordic Council Literature Prize nominiert wurde. Seither hat Josefine Klougart vier weitere Romane veröffentlicht: 2011 erschien Hallerne (engl. The Halls) und ein Jahr später Én af os sover (engl. One of Us is Sleeping), für den sie – neben weiteren Nominierungen – erneut für den Nordic Council Literature Prize vorgeschlagen wurde. 2013 folgte Om mørke (engl. On Darkness) und 2016 schliesslich New Forest.
Josefine Klougarts Werke sind ins Englische, Französische, Italienische und Türkische übersetzt und in acht Ländern publiziert worden. Durch Essays und Interviews in Print und Rundfunk, etwa zu dem norwegischen Massenmörder Anders Breivik, hat Klougart eine breite internationale Medienpräsenz nicht nur in ganz Skandinavien, sondern auch in Frankreich, Kroatien, der Türkei und den USA erlangt. Zur Zeit arbeitet sie in einem Kunstprojekt zusammen mit dem isländisch-dänischen Künstler Olafur Eliasson.
FRIEDRICH DÜRRENMATT GASTPROFESSUR FÜR WELTLITERATUR
Der Name Friedrich Dürrenmatt steht für eine vielseitige Weltliteratur in Bern: Der aus dem Kanton stammende Schriftsteller, der an der Universität Bern studierte, verfasste Prosatexte und Essays sowie Arbeiten für Theater und Radio, die in zahlreichen Zusammenhängen und Sprachen wahrgenommen wurden.
Im Herbst 2013 wurde an der Universität Bern die Friedrich Dürrenmatt Gastprofessur für Weltliteratur eingerichtet. Sie dient der Vermittlung zwischen Wissenschaft und Literatur, Theorie und Praxis, Universität und Öffentlichkeit. Seit dem Frühjahr 2014 unterrichtet in jedem Semester eine internationale Autorin oder ein internationaler Autor als Gast des Walter Benjamin Kolleg an der Universität Bern. Sie oder er gibt eine Lehrveranstaltung, die sich an alle Studierenden der Philosophisch-historischen Fakultät richtet. Zusätzlich zu den Seminaren oder Vorlesungen der Friedrich Dürrenmatt Gastprofessoren werden universitäre und öffentliche Veranstaltungen in Bern sowie an anderen Orten in der Schweiz angeboten.
Die Friedrich Dürrenmatt Gastprofessur für Weltliteratur wird verwirklicht mit Unterstützung der Stiftung Mercator Schweiz. Sie wird gefördert durch die Burgergemeinde Bern.
Die dänische Schriftstellerin Josefine Klougart ist die achte Friedrich Dürrenmatt Gastprofessorin. Ihre Vorgängerinnen und Vorgänger waren im Frühjahr 2014 David Wagner (Berlin), im Herbst 2014 Joanna Bator (Warschau), im Frühjahr 2015 Louis-Philippe Dalembert (Haiti), im Herbst 2015 Wendy Law-Yone (Burma), im Frühjahr 2016 Fernando Pérez (Kuba), im Herbst 2016 Wilfried N’Sondé (Kongo) und im Frühjahr 2017 Juan Gabriel Vásquez (Kolumbien).
Kontakt:
Prof. Dr. Oliver Lubrich
Institut für Germanistik
Länggassstrasse 49
3012 Bern
Tel.: +41 31 631 83 11
oliver.lubrich@germ.unibe.ch
ZUM AUTOR
Marc Sulaiman ist Hilfsassistent von Prof. Oliver Lubrich am Institut für Germanistik.