Der Physikdemonstrant verabschiedet sich
Seit 32 Jahren ist Urs Lauterburg «Physikdemonstrant» an der Universität Bern. Mit seinen eigens konzipierten Experimenten belebt er die Physikvorlesungen und bringt den Studierenden abstrakte naturwissenschaftliche Zusammenhänge näher. Ende Jahr tritt er in den Ruhestand.
Urs Lauterburg giesst eine Flüssigkeit von einem Zylinder in den anderen. Rauchschwaden steigen auf. Dann erstarrt plötzlich die Flüssigkeit im Glaskolben weiter oben. «Da! Jetzt ist es gefroren!», kommentiert Professor Nicolas Thomas das Geschehen. Er hält gerade die Vorlesung «Physik I» zum Thema Thermodynamik. Er erläutert Powerpoint-Slides zu Phasenübergängen von Stoffen: fest zu flüssig, flüssig zu gasförmig. Die Theorie von Nicolas Thomas überträgt Urs Lauterburg mit seinem Experiment ins Praktische. Danach setzt er sich wieder hinter das altehrwürdige Schaltpult im Hörsaal 099 des Gebäudes für Exakte Wissenschaften und lauscht der Vorlesung.
700 Experimente pro Jahr
«Unterricht» steht bei der Funktionsbezeichnung von Urs Lauterburg auf der Website des Physikalischen Instituts. Den Titel «Physikdemonstrant» habe er sich selbst gegeben. Seine Berufskolleginnen und -kollegen heissen andernorts Physikpräparatoren. «Ich nenne mich Demonstrant, weil ich für die Natur demonstriere. Ich demonstriere die physikalischen Zusammenhänge selbst», erklärt Lauterburg seinen Beruf. Heisst konkret: Für die Studierenden der Naturwissenschaften, der Biologie sowie Veterinär- und Humanmedizin baut er für die Grundlagenphysikvorlesungen Demonstrationsexperimente auf und führt sie durch. Im Jahr 2017 waren es insgesamt rund 700 Experimente.
Für Urs Lauterburg ist dieser Aufwand nicht zu gross – und auch für die Fakultät nicht: «Die Experimente sind ein integraler Bestandteil der Vorlesungen», sagt Lauterburg. Seine Arbeit wird auch von den Professoren geschätzt. «Sie haben in der Regel gar nicht die Kapazität, auch noch Experimente vorzubereiten. Sie sind froh, wenn das jemand professionell für sie macht.» Viele physikalische Experimente für den Unterricht gebe es heute auch ab Stange, «aber unsere denken wir uns meistens selbst aus.» Urs Lauterburg führt sie vor, baut und wartet auch die nötigen Komponenten selbst. Er schätzt seinen Beruf: «Er ist ein Stück weit einzigartig.» Gerade an den ETHs sei der Betrieb viel anonymer und die Präparatoren seien dort häufig nicht in den Vorlesungen dabei. «Ich finde es schön, die Sachen, die ich selbst baue, auch aufzustellen und vorzuführen.»
Physiker und Ästhet
Schon in der Schule war Physik Urs Lauterburgs Lieblingsfach. Deshalb habe er sich gegen das Gymnasium entscheiden und stattdessen eine Lehre als Physiklaborant an der Uni Bern gemacht. Später hat er Elektrotechnik studiert. «Ich bin also kein Akademiker, sondern Ingenieur.» Zurück an die Uni Bern kam Lauterburg auf Anfrage von Beni Wälti, seinem ehemaligen Lehrmeister und Vorgänger an der Uni Bern: «Wir blieben befreundet und er fragte mich dann, ob ich seine Funktion am Physikalischen Institut übernehmen möchte.» Lauterburg willigte ein, weil ihn der spezielle Beruf mehr anzog als eine Tätigkeit im Labor. Urs Lauterburg begeistert die Physik. Aber es geht ihm auch um die Ästhetik: «Die visuelle Umsetzung der Demonstrationsexperimente ist wichtiger Teil der Arbeit. Es geht darum, dass auch die Leute in den hinteren Rängen begreifen, worum es geht. Es hat mir schon immer gefallen, die teilweise abstrakten Zusammenhänge konkret darzustellen.» Das sei mitunter ein Grund, warum er so lange in seiner Funktion gewirkt habe.
Lauterburgs Demonstrationen kommen bei den Studierenden gut an. «Auf den Vorlesungsevaluationsbögen werden die Experimente in den Kommentaren immer lobend erwähnt», freut sich Lauterburg. Es ist eine Anerkennung von strengen Kritikern: «Die Studierenden sind ein anspruchsvolles Publikum, das jeden Fehler erkennt.» Viele hielten die Physik für etwas Abstraktes, etwas Komplexes, Schwieriges. Aber für ihn ist sie das Gegenteil: «Physik ist etwas sehr Konkretes. Gerade wenn man sie mit den menschzentrierten Wissenschaften vergleicht.» Es sei ihm wichtig, diese Sichtweise zu vermitteln und weiterzugeben.
«Freue mich aufs Ausschlafen»
Ende Jahr wird Urs Lauterburg pensioniert. Die Nachfolge ist geregelt: Jonas Beck und Sebastian Gross werden ab 2019 übernehmen. Urs Lauterburg ist seit einem Jahr dabei, sie einzuarbeiten. «Das kommt gut. Sie können natürlich zu mir kommen, wenn etwas ist. Aber ich dränge mich nicht auf.» Einen fixen Plan für den Ruhestand hat Urs Lauterburg noch nicht: «Ich freue mich aufs Ausschlafen.» Aber noch ist es nicht ganz so weit. Nicolas Thomas beendet die Vorlesung mit den Worten: «Morgen sehen wir dann das Lieblingsexperiment meines Sohns.» Natürlich wird Urs Lauterburg es demonstrieren – oder «vorturnen» wie er es nennt.
Zum Autor
Ivo Schmucki arbeitet als Redaktor bei der Abteilung Kommunikation & Marketing an der Universität Bern.