Eine unter dreissig: Marietta Angeli
«30 Under 30» – Auf der bekannten Liste des Forbes Magazine figurieren jedes Jahr je 30 Pionierinnen und Pioniere unter 30 Jahren aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. 2018 sind gleich zwei junge Wissenschaftlerinnen der Universität Bern dabei. Für die Ökonomin Marietta Angeli ist die Forbes-Liste eine tolle Gelegenheit, die es kritisch zu betrachten gilt.
Sie sind eine der «30 Under 30» des Forbes Magazine – Herzliche Gratulation! Wurden Sie vorgeschlagen? Haben Sie sich selbst beworben?
Ich wurde vorgeschlagen. Die Forbes 30under30-Liste kannte ich aber von Bekannten, und auf die Ausschreibung hat mich eine E-Mail aufmerksam gemacht.
Sie sind Doktorandin am World Trade Institute (WTI). Können Sie kurz erklären, worum es bei Ihrer Forschung geht?
Ich promoviere in internationaler politischer Ökonomie zu Einschränkungen durch Ursprungsregeln in Freihandelsabkommen. Weniger trocken formuliert: Ich befasse mich mit der Frage, ob und wie Exporteure aus Entwicklungsländern am Markteintritt in Industriestaaten behindert werden, und wie das in Zukunft verbessert werden könnte.
Sie wurden von Forbes zu einem Networking-Anlass mit Interview und Fotoshooting nach Wien eingeladen, wo Sie auch die anderen Leute auf der «30 Under 30»-Liste getroffen haben. Was war Ihr Eindruck vom Anlass?
Die Stimmung war energiegeladen und sehr offen. Ich habe mich über die Möglichkeit gefreut, mit Menschen zu sprechen, die aus ganz anderen Arbeitsumfeldern kommen und sich mit spannenden Themen befassen: die Funding-Situation im Profisport, Herausforderungen eines jungen Kochs, oder der Wettbewerb unter Start-Ups in der Medizin.
Wozu wurden Sie im Interview befragt?
Wir haben uns über Wirtschaftspolitik unterhalten und die Frage, ob die Öffentlichkeit die Relevanz von Handelspolitik erkennt.
Finden Sie selbst, dass Sie auf die Liste gehören?
Warum denn nicht? Natürlich gibt es unzählige Menschen, die einen positiveren Impact durch ihre Arbeit leisten als ich. Leider gibt es keine Altenpflegekraft oder alleinerziehende Mutter mit zwei Jobs auf der Liste – Forbes hat eben eine andere Definition von Impact und Erfolg, die man kritisch betrachten muss. Gleichzeitig finde ich es aber auch wichtig, als Wissenschaftlerin selbstbewusst zu sein und Terrain zu betreten, das oft eher weissen Männern mit Rolex und BWL-Studium gehört. Und dafür ist die Forbes-Liste eine tolle Gelegenheit. Deshalb gehöre ich genauso auf die Liste wie die anderen, die dort stehen.
Wurden Sie in Ihrer Karriere gezielt gefördert?
Ich habe in meiner Schul- und Studienzeit Stipendien erhalten. Meine Promotion wird durch den Schweizerischen Nationalfonds im Rahmen des doc.ch-Programms komplett finanziert. Wichtig war für mich auch die nicht-finanzielle Förderung – als «Akademikerkind» habe ich immer gesellschaftliche und private Ermutigung erfahren, etwas aus den vielen Möglichkeiten zu machen, die sich mir bieten.
Was ist die grösste Herausforderung für junge Menschen in der Wissenschaft?
Mir fallen da konkret zwei Dinge ein. Zum einen ist die Finanzierung von Promotionsvorhaben ja für viele junge Forschende ein grosses Problem. Das ist besonders für diejenigen kritisch, die keine finanzielle Unterstützung aus ihrem Umfeld erhalten können. Und zum anderen verlangt ein Verbleib in einer wissenschaftlichen Karriere oft grosse geographische Flexibilität. In diesen zwei Bereichen – attraktive Finanzierung, und Wahl des Wohnorts – sind Jobs in der Privatwirtschaft für viele Uniabsolventinnen und -absolventen dann doch attraktiver.
Was könnte man unternehmen, um jungen Frauen den Einstieg in die Wissenschaft zu erleichtern?
Aus meiner persönlichen Erfahrung fände ich es toll, wenn gerade quantitative Forschung weniger ein «Old Boys Club» wäre. Wenn 50% aller Masterabsolvierenden Frauen sind, aber nur noch 20% der Professuren von Frauen besetzt sind, verliert die Wissenschaft Potenzial. Persönlich fände ich es toll, wenn sich dadurch auch eine Kulturänderung einstellen würde: Die optische Bewertung von Professorinnen auf einer Skala von 1 bis 10, oder herablassende Aussagen zu Frauen in quantitativer Datenarbeit wären dann vielleicht in meinem Alltag seltener.
Wo sehen Sie sich in zehn Jahren?
Ich möchte bei Verhandlungen von Freihandelsabkommen nationale Delegationen mit Fachexpertise unterstützen, die den Delegationen sonst durch Ressourcenknappheit oder mangelnde Infrastruktur nicht zur Verfügung stünden.
Zur Person
Marietta Angeli (*1989) ist seit Mai 2017 Doktorandin am World Trade Institute (WTI) der Universität Bern. Zuvor war sie als Referentin für Aussenhandelsfragen beim Bundesverband der deutschen Industrie tätig, und arbeitete als Consultant für die UN Konferenz für Handel und Entwicklung. In Ihrer Forschung beschäftigt sie sich hauptsächlich mit der Analyse von Marktzugangsbarrieren und Ursprungsregeln, die Exporteure aus kleinen und Entwicklungsländern im Handel mit Industriestaaten begegnen.
Kontakt
Marietta Angeli
Universität Bern
World Trade Institute (WTI)
E-Mail: marietta.angeli@wti.org
Forbes «30 Under 30»
Unter dem Namen «30 Under 30» veröffentlicht das Forbes Magazine jedes Jahr Listen mit Pionierinnen und Pionieren unter 30 Jahren in unterschiedlichen Kategorien. 2018 wurden in der deutschsprachigen Ausgabe jeweils 30 Personen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz nominiert. Von der Universität Bern ist neben Marietta Angeli auch Jessica Lampe vom Institut für Praktische Theologie auf der Liste.
Zum Autor
Ivo Schmucki arbeitet als Redaktor bei Corporate Communication an der Universität Bern.