Was unser Immunsystem stark macht
Der diesjährige Johanna Dürmüller-Bol DBMR Forschungspreis der Universität Bern geht an Dr. Stephanie Ganal-Vonarburg. Sie wird ausgezeichnet für ihr Forschungsprojekt zum positiven Einfluss von mütterlichen Darm-Mikroben auf das Immunsystem des Kindes. Im Interview mit «uniaktuell» erzählt Stephanie Ganal-Vonarburg, was sie an der Entwicklung unseres Immunsystems fasziniert.
Frau Ganal-Vonarburg, woran forschen Sie?
Alle Säugetiere und auch wir Menschen sind von Milliarden von Mikroben besiedelt, welche vor allem in unserem Darm leben. Sie sind aber auch in den Atemwegen, auf der Haut und im Urogenitaltrakt zu finden. In der Forschungsgruppe Gastroenterologie des DBMR (Department for BioMedical Research der Universität Bern) untersuchen wir das Zusammenspiel dieser gutartigen Darmmikroben mit dem Wirtsorganismus. Uns interessiert unter anderem der positive Einfluss, den die Darmflora auf unser Immunsystem hat. In meiner Arbeit konzentriere ich mich hierbei vor allem auf die Rolle der mütterlichen Darmflora in der Entwicklung des kindlichen Immunsystems im Mutterleib sowie direkt nach der Geburt.
Was fasziniert Sie an der Entwicklung des kindlichen Immunsystems?
Wir wissen heutzutage, dass es vor allem die Einflüsse früh im Leben sind, wie zum Beispiel die Geburtsmethode, unsere Ernährung, Infektionskrankheiten und häusliche Hygiene, welche unser Immunsystem prägen und unser Risiko, später im Leben an Autoimmunerkrankungen oder Allergien zu erkranken, verändern. Diese Erkenntnisse werden oft in der sogenannten Hygienehypothese zusammengefasst: Während wir in der westlichen Welt in den letzten Jahrzehnten eine Abnahme an Infektionskrankheiten beobachten, nehmen Allergien und Autoimmunerkrankungen zu. Dies wird mit einer erhöhten Hygiene – etwa durch industriell prozessiertes Essen, Antibiotika, Verstädterung – in den industrialisierten Ländern in Zusammenhang gebracht. In Entwicklungsländern lässt sich dies nicht beobachten. Das finde ich faszinierend. Dieses Phänomen zu verstehen und ihm entgegen zu wirken, erachte ich als sehr wichtig.
Sie konnten erstmals zeigen, dass unser Immunsystem bereits vor der Geburt «vorbereitet» wird. Wie läuft das ab?
Wir konnten nachweisen, dass Moleküle der mütterlichen Darmbakterien das Immunsystem im kindlichen Darm schon während der Schwangerschaft stärken, so dass dieses nach der Geburt besser mit der besiedelnden Darmflora klarkommt. Wir wissen heute, dass diese bakteriellen Produkte sowohl über die Plazenta als auch nach der Geburt über die Muttermilch auf die Nachkommen übertragen werden. Beeindruckend ist auch, dass mehr als 1000 verschiedene Gene im Dünndarm der Nachkommen durch Signale der mütterlichen Mikrobiota «eingeschaltet» werden.
Sie arbeiten mit sterilen Mäusen der Clean Mouse Facility des DBMR. Warum sind diese notwendig für Ihre Forschung?
Unser Ziel ist es, eines Tages bakterielle Moleküle zu finden, welche gezielt unser Immunsystem oder unsere Mikrobiota positiv verändern können. Um die exakten Wirkmechanismen solcher Stoffe zu erforschen, ist es von grosser Bedeutung, die Interaktion zwischen den Mikroben im Darm und dem Wirtsorganismus zu verstehen. Da die Mikrobiota von Menschen zu komplex ist und es auch keine «keimfreien» Menschen gibt, müssen wir auf das Mausmodell zurückgreifen. Keimfreie Mäuse erlauben es uns, den Darm gezielt mit einzelnen oder mehreren Bakterien zu besiedeln und deren Wirkung auf das Immunsystem des Wirts zu untersuchen. Die Clean Mouse Facility des DBMR ist weltweit führend im Gebiet der Mikrobiota-Wirts-Interaktionen. Dies und das Forschungslabor der Gastroenterologie, das ich zusammen mit Andrew Macpherson leite, ist für mich der ideale Ort für meine Arbeit und um mich in diesem Bereich weiterzubilden.
Inwiefern können Ihre Erkenntnisse dazu dienen, das Immunsystem von Neugeborenen zu stärken?
Ich möchte unter anderem Stoffe aus Bakterien finden, welche normalerweise in der Muttermilch vorhanden sind und das Immunsystem von Neugeborenen stärken. Diese könnten zum Beispiel bei solchen Neugeborenen Anwendung finden, die aus verschiedensten Gründen nicht gestillt werden können. Oder aber in Drittweltländern, in denen die hygienische Situation mangelhaft ist. Noch immer sterben jährlich mehr als 5 Millionen Kinder unter 5 Jahren an Folgen von Infektionen.
Sie haben für Ihre Forschung diverse Auszeichnungen erhalten, unter anderem einen Pfizer Forschungspreis. Was bedeutet der Johanna Dürmüller Bol DBMR Forschungspreis 2018 für Sie persönlich?
Es ist eine grosse Ehre, mit dem Johanna Dürmüller Bol Forschungspreis ausgezeichnet zu werden. Das damit verbundene Preisgeld wird es mir erlauben, erste wichtige Experimente als unabhängige Gruppenleiterin durchzuführen. Die hieraus gewonnen Ergebnisse werden die Grundlage für weitere Forschungsanträge sein, welche ich für meine Forschungsvorhaben brauche. Eine solche Etablierungsphase ist für junge Forschende von grosser Bedeutung und nicht immer einfach.
Sie sind von Haus aus eigentlich Naturwissenschaftlerin. Wie kamen Sie zur Medizin?
Tatsächlich bin ich Naturwissenschaftlerin, allerdings habe ich mich schon immer sehr für die Medizin interessiert. Schon während meiner Kindheit habe ich zu Hause viele Aspekte der Medizin mitbekommen. Mein Vater und Grossvater sind, beziehungsweise waren, Ärzte. Daher habe ich mich auch für den Diplomstudiengang Molekulare Medizin in Freiburg i. Br. entschieden, welcher naturwissenschaftliche und medizinische Fächer vereint. Für mich stand immer fest, dass ich mit meiner Forschung das medizinische Wissen vorantreiben möchte.
Was mögen Sie an Ihrer Arbeit besonders?
Das Tolle in der Forschung ist: kein Tag ist wie der andere. Stetig steht man vor neuen Herausforderungen und Fragestellungen. Ausserdem liebe ich es, meine Arbeit auf internationalen Konferenzen vorzustellen und mit Forschenden aus ähnlichen Gebieten über diese zu sprechen.
Was möchten Sie in den nächsten 10 Jahren erreichen?
Selbstverständlich möchte ich Fortschritte auf dem Forschungsgebiet der Interaktion Mikrobiom-kindliches Immunsystem machen. Beruflich strebe ich eine Assistenzprofessur an, welche mir die Möglichkeit geben wird, meine eigene Forschungsgruppe zu leiten und junge Studierende für dieses tolle Forschungsgebiet zu motivieren.
Das ausgezeichnete Forschungsprojekt
Unsere inneren und äusseren Körperoberflächen, wie die Haut, die Atemwege und der Darm werden von einer Vielzahl von Mikroben besiedelt, welche als Mikrobiota bezeichnet werden. Diese Mikroben sind für den menschlichen Körper von grosser Bedeutung; sie helfen uns nicht nur bei der Verdauung und bei der Herstellung von Vitaminen, sondern lassen auch unser Immunsystem reifen, so dass wir Krankheitserreger besser abwehren können. Der ungeborene Fötus im Mutterleib gilt als komplett keimfrei, da die Besiedlung des Körpers mit Mikrobiota erst während und vor allem nach der Geburt stattfindet. Lange Zeit ist man davon ausgegangen, dass der positive Einfluss dieser gutartigen Mikroben auf den Wirtsorganismus erst nach der Geburt beginnt. In ihrer Arbeit konnte Stephanie Ganal-Vonarburg zusammen mit Kollegen zeigen, dass bereits während der Schwangerschaft bakterielle Botenstoffe von der mütterlichen Mikrobiota über die Plazenta und nach der Geburt über die Muttermilch auf das Neugeborene übertragen werden und zur Reifung des Immunsystems beitragen. Dabei lassen sich Veränderungen an der Immunantwort des Kindes beobachten – unter anderem wird die Besiedelung durch gute Bakterien nach der Geburt besser akzeptiert. Ein solcher Einfluss auf das kindliche Immunsystem war von langer Dauer und teilweise auch im Erwachsenenalter noch nachweisbar.
Zur Person
Stephanie Ganal-Vonarburg wurde in Offenburg (Deutschland) geboren. Von 2003 bis 2009 studierte sie Molekulare Medizin an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg i. Br. und an der University of British Columbia in Vancouver, Kanada. Im Anschluss promovierte sie im Labor von Prof. Andreas Diefenbach an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg und erhielt im Jahr 2013 ihren Doktortitel (Dr. rer. nat.) in Molekularer Medizin und Immunologie. Ganal-Vonarburg kam 2013 mit Hilfe eines Marie-Curie Stipendiums der Europäischen Union und eines EMBO Stipendiums als Postdoktorandin in die Schweiz. Von 2013 bis 2016 forschte sie im Labor von Prof. Andrew Macpherson am Department for BioMedical Research der Universität Bern an der Rolle der mütterlichen Mikrobiota in der Entwicklung des kindlichen Immunsystems. Die Ergebnisse dieser Studie wurden 2016 in der Fachzeitschrift «Science» veröffentlicht. Seit September 2016 leitet Ganal-Vonarburg zusammen mit Andrew Macpherson das Forschungslabor der Gastroenterologie am DBMR und ist in der Leitung der CMFCore Facility involviert.
Kontakt:
Dr. Stephanie Ganal-Vonarburg
Universitätsklinik für Viszerale Chirurgie und Medizin, Inselspital, Universitätsspital Bern, sowie Department for BioMedical Research, Universität Bern
Mail: stephanie.ganal@dbmr.unibe.ch
Das Department for BioMedical Research DBMR
Das Department for BioMedical Research DBMR (ehemals DKF) hat – als Institut der Medizinischen Fakultät – den Auftrag, den 45 Forschungsgruppen des Inselspitals (Universitätsspital Bern) eine optimale Infrastruktur und wissenschaftliche Unterstützung zur Verfügung zu stellen. Die Mehrheit dieser Forschungsgruppen sind Gruppen an Kliniken des Inselspitals. Die restlichen Gruppen sind DBMR-interne Forschungsgruppen, welche an der täglichen wissenschaftlichen Unterstützung und der Koordination der Geräte und Infrastruktur beteiligt sind. Weiter ist das DBMR verantwortlich für den Betrieb von Technologie und Tier Core Facilities. Die Gruppen des Departements werden von den Zentralen Diensten unterstützt, welche für die Administration, die Informatik, die technische Unterstützung und die Bioinformatik verantwortlich sind.
Tag der BioMedizinischen Forschung
Seit 1996 veranstaltet das Department for BioMedical Research DBMR (ehemals DKF) jedes Jahr den «Tag der BioMedizinischen Forschung» und gibt einen Einblick in die klinische Forschung an der Universität Bern. Am Tag der BioMedizinischen Forschung werden neben dem Johanna Dürmüller-Bol DBMR Forschungspreis weitere Preise verliehen. Die Veranstaltung fand am Mittwoch, 7. November 2018 statt.
Johanna Dürmüller-Bol DBMR Forschungspreis
Bereits von 2012 bis 2017 wurde der Forschungspreis von der Fondation Johanna Dürmüller-Bol gestiftet, und sie unterstützt das Department for BioMedical Research DBMR weiterhin bis 2021. Die Fondation will damit in ihren Förderfeldern Medizin und Wissenschaft Nachwuchsforschende der Medizinischen Fakultät der Universität Bern motivieren und unterstützen.
Zur Autorin
Nathalie Matter arbeitet als Redaktorin bei Media Relations der Universität Bern