«Wie wenn man mit einem Teleskop in die Ferne schaut»
Mit einer neuen Raumsonde will die NASA ab 2024 zu den Grenzen unseres Sonnensystems und darüber hinaus blicken. Beim Bau der «Interstellar Mapping and Acceleration Probe» (IMAP) hilft auch die Universität Bern mit. Für Peter Wurz und André Galli von der Abteilung Weltraumforschung und Planetologie ist eine solche Mission nie Routine.
«uniaktuell»: Was will die NASA mit IMAP genau herausfinden?
André Galli: Die Mission erforscht die Heliosphäre. Dazu muss man zunächst wissen, dass die Heliosphäre den gesamten Raum um die Sonne bezeichnet, der durch den Sonnenwind definiert ist. Die Erde und alle grösseren Planeten befinden sich in diesem Raum. Der Sonnenwind besteht aus geladenen Teilchen mit einem Magnetfeld, die mit rund 400 Kilometern pro Sekunde von der Sonne wegfliegen. Dann gibt es eine Grenzschicht, wo der Sonnenwind auf den interstellaren Raum ausserhalb des Sonnensystems trifft. Diese Grenzschicht hat Auswirkungen auf uns auf der Erde.
Peter Wurz: Im interstellaren Raum gibt es im Gegensatz zum Sonnenwind auch andere Teilchen, die hochenergetisch sind. Diese kosmische Strahlung ist grundsätzlich schlecht für Leben. Leben wie wir es kennen, ist da draussen nicht möglich. Umgekehrt ist die Heliosphäre für uns auf der Erde eine Art Schutzschild.
André Galli: Wir wollen nun herausfinden, was an dieser Grenzschicht zwischen dem interstellaren Raum und dem Raum, der vom Sonnenwind definiert ist, passiert. Wie viele interstellare Teilchen schaffen es durch die Grenzschicht? Und wie sieht der interstellare Raum hinter der Grenzschicht überhaupt aus? Wie ist seine chemische Zusammensetzung und wie gross ist das Magnetfeld?
Wie wollen Sie das anstellen?
André Galli: Die IMAP-Sonde wird rund 1.5 Millionen Kilometer von der Erde in Richtung Sonne positioniert. Von dort aus werden mit den Messgeräten an Bord der Sonde die Teilchen registriert, die von der Grenzschicht kommen.
Peter Wurz: Es ist, wie wenn man mit einem Teleskop in die Ferne schaut. Dort nutzt man die Lichtteilchen aus der Ferne. Bei IMAP nutzen wir Spektrometer, um die Energie der Teilchen und die Teilchenart nachzuweisen. Zudem kennen wir auch die Richtung, aus der die Teilchen kommen. Wenn man alles zusammensetzt, kann man am Schluss eine Himmelskarte zeichnen. Sie erzählt etwas über den Ursprung der Teilchen. Mit diesem bildgebenden Verfahren können wir also die Grenzschicht sichtbar machen und auch darüber hinausblicken.
Wäre es nicht genauer, wenn man diese Messungen direkt in der Grenzschicht machen würde?
André Galli: Eine Sonde dort hinzuschicken, würde schlicht zu lange dauern. Die Raumsonden Voyager 1 und 2 der NASA befinden sich jetzt ungefähr in Bereich dieser Grenzschicht. Sie sind 1977 gestartet. Bis man draussen ist, im interstellaren Raum, dauert es ein halbes Jahrhundert.
Peter Wurz: Der Anflug der IMAP-Sonde dauert nur drei Monate. Nach einem weiteren halben Jahr haben wir dann die erste Karte.
Was steuert die Abteilung Weltraumforschung und Planetologie der Universität Bern zu IMAP bei?
André Galli: Die IMAP-Mission besteht aus zehn verschiedenen Instrumenten. Das Herzstück bilden drei Kameras, die Teilchen in drei verschiedenen Energiebereichen messen. Wir bauen an IMAP-Lo, der Kamera für den Niederenergiebereich, mit. Konkret stellen wir spezielle Oberflächen her, mit denen man die Teilchen so ionisiert, dass sie schliesslich im Detektor nachweisbar sind. Wir sind eine der wenigen europäischen Institutionen im ganzen Konsortium, die Hardware zur Mission beisteuern.
Peter Wurz: Ein wichtiger Teil, den wir beitragen, ist das optische Design. Und am Schluss wird das Instrument an der Universität Bern auch für den Flug geeicht. Damit stellt man sicher, dass die Daten auch sinnvoll ausgewertet werden könne.
Wieso wurde gerade die Universität Bern für die IMAP-Mission ausgewählt?
Peter Wurz: Der Auswahlprozess der NASA für solche Missionen ist eine Art Bieterwettbewerb.
André Galli: Ja, und die IMAP-Sonde wird von einem grossen Konsortium gebaut, dem die Universität Bern angehört. Es ist üblich, dass sich schon im Vorfeld solcher Ausschreibungen grössere Zusammenschlüsse bilden, die sich gemeinsam für die Mission bewerben. Kein Institut der Welt kann alle Instrumente zugleich bauen.
Peter Wurz: Wir haben also im Verbund mit anderen einen Antrag gestellt, der dann von einer Jury ausgewählt wurde. Es hat sicher eine Rolle gespielt, dass wir an der Universität Bern schon zu IBEX, der Vorgängermission von IMAP, einen wertvollen Beitrag geleistet haben. IBEX – das kann man in aller Bescheidenheit sagen – funktionierte sehr gut und liefert noch immer zuverlässige Daten. Wir haben eine spezielle Nachweistechnologie entwickelt, und wir haben auch die Eichanlage, die weltweit einzigartig ist.
Der Start der Mission ist für 2024 angesetzt. Wie sieht der Zeitplan bis dahin aus?
André Galli: 2024 ist bisher das einzige Datum, dass schwarz auf weiss existiert – und es ist ziemlich ambitioniert. Das bedeutet, dass wir bis 2020 einen Prototypen unseres Instruments haben müssen. Zwischen 2020 und 2022 folgt der eigentliche Bau der Instrumente. Ab 2022 kommt dann die sogenannte Integration. Bei diesem Prozess werden die einzelnen Instrumente zu einer Sonde zusammengesetzt und nochmals getestet. Für 2024 ist der eigentliche Start vorgesehen. Dieser straffe Zeitplan ist nur möglich, weil wir schon einen guten Vorgänger haben und wissen, wie wir die Sache angehen wollen.
Gibt es potenzielle Stolpersteine?
Peter Wurz: Solche Missionen sind nie Routine. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass immer irgendwann etwas schiefgeht. Dann sitzt man gemeinsam am Tisch und fragt sich: Wie lösen wir das? Der Moment kommt immer, und bis jetzt haben wir ihn immer überstanden.
André Galli: Ein Unterfangen wie dieses besteht aus vielen Teilen und vielen Leuten. Wenn irgendwo etwas hakt, dann gibt es eine Kettenreaktion. Der Bau eines Weltrauminstruments ist hochkomplex, da gibt es manchmal Verzögerungen.
Worauf freuen Sie sich am meisten?
Peter Wurz: Sicherlich auf die Eichung. Es ist immer eine Belohnung für viele Jahre Arbeit, wenn man sieht, wie das Instrument funktioniert. Und dann natürlich auch auf den Moment, wenn wir die erste Karte haben. Es war schon bei IBEX so, dass wir eine Vorstellung davon hatten, was wir sehen würden. Und trotzdem sah dann die Karte ganz anders aus als erwartet. Es ist hochspannend, wenn man Sachen entdeckt, die man nicht antizipiert. Das sind die schönsten Momente.
ZU DEN PERSONEN
Prof. Dr. Peter Wurz ist Professor am Physikalischen Institut der Universität Bern und leitet die Abteilung für Weltraumforschung und Planetologie (WP). PD Dr. André Galli ist Privatdozent in der Abteilung für Weltraumforschung und Planetologie (WP). Als Co-Investigators sind sie beide Teil des wissenschaftlichen Teams für IMAP.
PHYSIKALISCHES INSTITUT, WELTRAUMFORSCHUNG UND PLANETOLOGIE (WP)
Die Forschung der Abteilung Weltraumforschung und Planetologie beschäftigt sich mit dem Ursprung, der Geschichte, und der Entwicklung des Sonnensystems. Wir untersuchen unser eigenes Sonnensystem mit seinen Kleinkörpern (Kometen und Asteroiden), seinen Planeten und deren Atmosphären, bis hin zu den vor kurzem endeckten Planeten bei anderen Sternen (die Exoplaneten), um die physikalischen Prozesse die der Entstehung und Entwicklung der planetaren Körper zu Grunde liegen zu verstehen. Diese Fragen werden mit direkten Messungen vor Ort, mittels Fernerkundung, mit Laboruntersuchungen, und numerischen Modellen bearbeitet. Die Untersuchungen beinhalten auch die Wechselwirkung der Sonne mit den Magnetosphären und Atmosphären der Planeten und Kometen.
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ZUM AUTOR
Ivo Schmucki arbeitet als Redaktor bei Corporate Communication an der Universität Bern.