Ein Wunsch, der den Dialog fördert
Wie kann die Vielfalt in Politik und Wirtschaft gefördert werden? Der Wettbewerb «Wunsch-Schloss» suchte Ideen für diese Frage. Am Dienstag, 18. Juni 2019 wurden in Thun die überzeugendsten Projekte präsentiert – und ein Geschichtsstudent der Universität Bern zum Sieger erkoren.
Es hatte was von einem Klassentreffen, wie Moderator Patrick Rohr an diesem Abend im Rittersaal im Schloss Thun mehrfach feststellte: Bereits zum fünften Mal versammelten sich am auf Einladung von «StrategieDialog21» und «Swiss Venture Club» illustre Gäste aus Politik, Gesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft, um sich mit zehn neuen Visionen für unser Land auseinanderzusetzen. Dieses Jahr widmete sich das Wunsch-Schloss der Frage, wie die Politik die Vielfalt der Schweiz nutzen kann, um die Wirtschaft weiter zu bringen. Mit dabei in der Endauswahl waren auch drei Vertreter der Universität Bern. Diese ist als «knowledge partner» am «Wunsch-Schloss» beteiligt.
Mitwirkung, Kinderbetreuung, Jugendförderung
«Wir leben als Volluniversität die Vielfalt», hielt Christian Leumann, Rektor der Universität Bern, fest. «Und wir haben Studierende aus 120 Nationen.» Im Nachklang des Frauenstreiks verwies Leumann auf die universitären Anstrengungen bezüglich Frauenförderung. «Wir setzen auf Nachwuchsförderung, gute Kinderbetreuungsmodelle und ein Assistenzprofessorensystem, das die Rekrutierung von jungen Frauen erleichtert.» Ganz oben auf der Agenda der eingereichten Wünsche standen bei der diesjährigen Wunsch-Schloss-Ausgabe denn auch die Fragen nach Vereinbarkeit von Familie und Beruf – dazu wurden mehrere alternative Kinderbetreuungs-Modelle vorgeschlagen, die Mitwirkung möglichst breiter Bevölkerungsschichten in der politischen Entscheidfindung und die Förderung junger Menschen.
Amir Sahi (27), der an der Universität Bern Wirtschaft studiert aber auch bereits als Wirtschaftsberater arbeitet, will Kindern mit Flucht- und Migrationshintergrund mit einem «digitalen Schultag» in Sachen ICT auf die Sprünge helfen. Er selber kam als 10-Jähriger ohne Sprachkenntnisse in die Schweiz und weiss, wie wichtig es ist, bereits während der obligatorischen Schulzeit die Weichen richtig zu stellen.
Nico Pfäffli (29), Projektleiter bei Energie Zukunft Schweiz und ebenfalls Student an der Universität Bern, stellte dem Publikum die Frage: «Was macht Sie zufrieden?» Seine Antwort: «Gehört, und im Idealfall auch verstanden zu werden.» Sein Mittel zur Zufriedenheit: Eine Online-Plattform, auf der die Schweizer Bevölkerung niederschwellig und unkompliziert politische Wünsche und Ideen formulieren und in die politische Entscheidfindung einbringen kann.
Sprachgrenzen überwinden
Dass das Gute oftmals ganz nah liegt, zeigte der Vorschlag, der am Schluss das Rennen machte: «Es müssen alle verstehen, wie wichtig meine Idee ist», sagte Christian Siegenthaler in seiner fünf-minütigen Präsentation und erntete damit Lacher beim Publikum und bei der Jury. Dass der Geschichtsstudent über ein hohes Sendungsbewusstsein verfügt, dürfte spätestens nach diesem Satz allen klar gewesen sein. Doch darüber hinaus überzeugte er wohl vor allem mit einer Mischung aus gut schweizerischer Bodenständigkeit, Machbarkeit und Föderalismus: «Was macht die Schweiz aus?» fragte er rhetorisch. «Es ist die Vielfalt.» Die Schweiz zeichne sich durch Weltoffenheit, Spontanität und Lösungsorientiertheit aus. Weltoffenheit und Spontanität seien nicht allen gegeben, manchmal müsse man diesen Tugenden etwas auf die Sprünge helfen. Sein Rezept dafür: Ein obligatorischer Sprachaufenthalt für alle Schülerinnen und Schüler der 7. bis 9. Klassen in einem anderen Landesteil. Heute absolvierten lediglich 2 von 100 Kindern einen solchen Aufenthalt. Es gehe nicht darum, eine Sprache perfekt zu beherrschen, sondern Hemmschwellen abzubauen und dadurch den gesellschaftlichen Zusammenhang zu fördern.
Unterstützung von links bis rechts
Im Übrigen trage seine Idee auch der aktuellen Klimadiskussion Rechnung – weil man dadurch nämlich auf Flüge verzichten könne. «Wir haben kein Öl, unser Öl sind die schlauen Köpfe», rief er in den Saal. Sowohl beim Publikum, wie auch bei der Politik stiess er damit auf offene Ohren. Ständerat Hans Stöckli (SP) und Nationalrat Manfred Bühler (SVP), die beide dem 9-köpfigen Polit-Beirat angehören, sagten dem jungen Mann ihre Unterstützung zu. «Ich sage immer, es ist besser, unperfekt zu diskutieren, als perfekt zu schweigen», betonte Stöckli in seiner gewohnt launigen Art. Und SVP-Mann Bühler – ansonsten bezüglich staatlicher Interventionen ganz auf Parteilinie – vermochte sich für dieses Obligatorium zu erwärmen. «Wenn es ein intelligentes Obligatorium ist, stehe ich gerne als Götti dafür zur Verfügung», sagte er; vielleicht dem Umstand geschuldet, dass er als Vertreter des Berner Juras täglich mit der Mehrsprachigkeit konfrontiert ist.
Der bescheidene Sieger
Sieger Christian Siegenthaler – der in Thun mit seinem Pfadi-Namen «Duracell» eingeführt wurde – kommentierte seinen Erfolg nüchtern. Er sei «zufrieden», sagte er. «Die politischen Pole unterstützen einen und man trifft sich in der Mitte.» Der 24-Jährige kann nun mit einem Reisegutschein seine eigenen Sprachkenntnisse erweitern und seine Idee den Generalsekretariaten der grossen Parteien präsentieren. Zu einem davon hat er allerdings bereits jetzt einen guten Draht: Er arbeitet nämlich im Generalsekretariat der FDP.
Das Wunsch-Schloss
Das Ziel der Wunsch-Schloss-Initianten «StrategieDialog21» und «Swiss Venture Club» ist es, eine Brücke zwischen Gesellschaft, Politik, Wissenschaft und Wirtschaft zu schlagen. Die sechste Ausgabe des Projekts «Wunsch-Schloss» widmet sich dem Thema Vorsorge. Innovative Ideen können im Frühjahr 2020 eingereicht werden.
Zur Autorin
Astrid Tomczak-Plewka ist selbstständige (Wissenschafts-)Journalistin/Texterin.