«Wir sind viel zu langsam unterwegs»
Wir müssen aus Öl, Gas und Kohle aussteigen, und zwar möglichst schnell – sonst sind die Pariser Klimaziele gefährdet. Kein leichtes Unterfangen, wie Klimaphysiker Thomas Stocker in der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsmagazins «UniPress» erklärt.
Herr Stocker, seit wann wissen wir eigentlich, dass der Mensch durch das Verbrennen von Öl, Gas und Kohle das Klima verändert?
Thomas Stocker: Erste Hinweise gab es schon früh. Bereits 1938 liess sich ein globaler Temperaturanstieg nachweisen, und der englische Ingenieur Guy Stewart Callendar vermutete als Ursache das zusätzliche Kohlendioxid (CO2), das durch die Verbrennung von Kohle, Gas und Öl in die Atmosphäre gelangt war. Den Treibhauseffekt – also dass CO2 und andere Treibhausgase in der Atmosphäre die Energiebilanz der Erde verändern und zu einer Erwärmung führen – hat schon 1824 Jean Baptiste Fourier entdeckt. 1896 berechnete Svante Arrhenius die erwartete Temperaturänderung bei einer Veränderung der CO2-Konzentration.
Wie kam der Klimawandel auf die politische Agenda?
1988 wurde das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) – der Weltklimarat – gegründet. Der Auftrag: Die Länder zu informieren, was die Wissenschaft weiss über den Klimawandel. Bereits beim ersten IPCC-Bericht 1990 haben meine Vorgänger hier an der Abteilung für Klima- und Umweltphysik der Universität Bern in führender Rolle als Autoren mitgearbeitet. Am Erdgipfel in Rio von 1992 wurde dann das Rahmenabkommen über den Klimawandel ausgearbeitet. Der berühmte Artikel 2 legt fest, dass wir die Treibhausgaskonzentrationen in der Atmosphäre stabilisieren müssen, damit eine gefährliche Einwirkung des Menschen auf das Klimasystem verhindert wird.
Seit wann wissen wir, dass der durchschnittliche globale Temperaturanstieg auf 2, besser 1,5 Grad beschränkt werden sollte?
Das sind keine scharfen, wissenschaftlich erhärteten Zahlen, so dass man sagen könnte bei plus 1,9 Grad ist alles gut und bei 2,1 Grad haben wir das Inferno. Das 2-Grad-Ziel wurde in einem politischen Verhandlungsprozess bestimmt. Das 1,5 Grad-Ziel ist ebenfalls ein Verhandlungsresultat, weil die Inselstaaten sehen, dass 2 Grad Erwärmung und ein entsprechender Anstieg des Meeresspiegel bereits zu viel ist und die Lebensgrundlage ernsthaft bedroht oder vernichtet wird. Das zeigt: Für besonders verletzliche Regionen ist bereits ein halbes oder 1 Grad im globalen Mittel zu viel. Bei der Erwärmung von 1 Grad reagieren ja bei uns die Gletscher mit einem rasanten Rückzug, in einigen Weltregionen treten grosse Schäden durch den Klimawandel auf, bei 1,5 Grad werden mehr Menschen betroffen sein und bei 2 Grad noch viel mehr.
Um die Klimaziele des Pariser Abkommens zu erreichen, müssen die Netto-Emissionen von CO2 spätestens bis 2050 auf null reduziert sein. Woher weiss man das so genau?
Man hat den Kohlenstoffkreislauf sehr genau untersucht und kann ihn sehr gut simulieren. Für diese Forschung, die heute Professor Fortunat Joos erfolgreich weiterentwickelt, ist die Universität Bern seit vielen Jahrzehnten weltweit bekannt. Uli Siegenthaler und Hans Oeschger, unsere Vorgänger an der Abteilung für Klima- und Umweltphysik, haben 1978 mit einem einfachen Modell abgeschätzt , wie gross die CO2-Konzentration im Jahr 2000 sein wird. Die Aussage hat sich als sehr präzise erwiesen, auf weniger als zwei Prozent genau! Man wusste also schon damals, dass die Gesamtemissionen, die der Mensch ausstossen darf – das sogenannte CO2-Budget – , limitiert ist und früher oder später aufgebraucht sein wird, wenn man eine bestimmte Erwärmung nicht überschreiten will. Es gibt also zu jedem Klimaziel ein CO2-Budget. Wenn man die Erwärmung bei 2 Grad begrenzen will, haben wir noch ein Restbudget von etwa 700 Milliarden Tonnen CO2, die wir ausstossen dürfen. Damit wir es nicht überschreiten, müssen wir jetzt auf einen Absenkpfad einschwenken und bis 2050 auf netto null sein.
Ist mit den heutigen Technologien das Pariser Abkommen umsetzbar?
Ja, wenn man sie weltweit implementieren würde und wenn gleichzeitig die Infrastruktur angepasst wird, um die dezentral «geerntete» Energie zu speichern und zu verteilen.
Dann sieht es ja eigentlich gut aus: Die Wissenschaft hat herausgefunden, dass die Verbrennung von Kohlenstoffen das Klima anheizt, sämtliche Staaten der Welt haben diese Tatsache im Pariser Klimaabkommen anerkannt und ambitionierte Klimaziele beschlossen, die umsetzbar sind. Alles bestens!
Bei der Ozon-Problematik könnte man das tatsächlich so sagen. Hier stehen wir aber vor einer unvergleichlich grösseren Herausforderung, denn die fossilen Energieträger haben die Entwicklung der Menschheit in den letzten 150 Jahren geprägt. Alles ist darauf ausgerichtet. Bei den Klimazielen ist es wie beim Entschluss, aufs Matterhorn steigen wollen. Sie und Ihre Freunde haben sich lange vorbereitet, die Route auf der Karte verhandelt und festgelegt, und gemeinsam beschlossen, den Gipfel zu erklimmen. Aber irgendwann muss jeder Einzelne trotzdem am Morgen aufstehen und den ersten Schritt machen.
Und das haben wir noch nicht getan?
Doch, aber wir sind viel zu langsam unterwegs. Auf dem Weg von Bern aufs Matterhorn sind wir etwa in Thun – und bereits im ersten Café eingekehrt. In der Schweiz haben wir zwar nach Kyoto-Protokoll Emissionen leicht gesenkt, aber man muss sehen, das ist ein Nasenwasser im Vergleich zu dem, was im Pariser Abkommen steht: Wir müssen auf netto null runter – alle Länder.
Sind wir unter dem Strich überhaupt schon auf einem Absenkungspfad?
Nein, weder in der Schweiz noch global. Nach einem Plateau zwischen 2014 und 2016 steigen die weltweiten CO2-Emissionen wieder deutlich an.
Sie haben gemeinsam mit über 26000 Wissenschaftlern aus dem deutschsprachigen Raum eine Stellungnahme veröffentlicht, in der steht: «Jetzt muss gehandelt werden!»
Es ist klar: Wir müssen handeln, wir müssen als Gesellschaft ein Regelwerk ausarbeiten, so dass sich alle gemeinsam an vereinbarte Normen halten. Es darf keine Trittbrettfahrer mehr geben, sonst werden wir die Versprechungen, die wir in Paris abgegeben haben, nicht einhalten können. Das gilt für jedes andere Land auch. Die Industrieländer, die die Mehrheit des CO2-Budgets bisher verbraucht haben, stehen jedoch besonders in der Verantwortung. Sie müssen Emissionen besonders schnell herunterfahren. Diese Transformation der Infrastruktur und die Entwicklung neuer Technologie stellt aber auch eine ungeahnte ökonomische Chance an, vielleicht die allergrösste des 21. Jahrhunderts. Wer, wenn nicht die Schweiz, als Innovationsstandort Nummer 1, will hier vorne dabei sein?
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Zur Person
Thomas Stocker (60) ist seit 1993 Leiter der Abteilung für Klima- und Umweltphysik am Physikalischen Institut der Universität Bern. Zudem ist er Präsident des Oeschger-Zentrums für Klimaforschung, einem strategischen interdisziplinären Kompetenzzentrum der Universität Bern. Von 2008 bis 2015 war Thomas Stocker Co-Vorsitzender der Arbeitsgruppe I des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC). Der Bericht, der unter seinem Vorsitz im September 2013 von allen Ländern verabschiedet wurde, bildet die wissenschaftliche Grundlage für das Klimaabkommen von Paris.
Die Forschung von Stocker und seinem Team umfasst die Entwicklung von vereinfachten Klimamodellen zur Simulation vergangener und künftiger Klimaänderungen, sowie die Bestimmung der Treibhausgaskonzentrationen der Atmosphäre anhand von Eisbohrkernen aus der Antarktis. Diese Rekonstruktionen erstrecken sich über die letzten 800'000 Jahre ─ ein Weltrekord. Thomas Stocker hat für seine Arbeiten den Dr. Honoris Causa der Universität Versailles und der ETH Zürich erhalten und ist Mitglied der American Academy of Arts and Sciences. 2017 wurde ihm der Schweizer Wissenschaftspreis Marcel Benoist verliehen.
Kontakt:
Prof. Dr. Thomas Stocker
Unviersität Bern
Physikalisches Institut, Klima- und Umweltphysik (KUP) und Oeschger Zentrum für Klimaforschung
stocker@climate.unibe.ch
Zum Autor
Timm Eugster arbeitet als Redaktor Corporate Publishing in der Abteilung Kommunikation & Marketing der Universität Bern. Er ist Leiter des Wissenschaftsmagazins «UniPress» und verantwortlich für die Themen Klima, Nachhaltigkeit und Tierversuche/3R.