«Brände wie in Australien drohen auch in Europa»
Willy Tinner ist Spezialist für die Feuergeschichte Europas. Im Interview spricht der Paläoökologe darüber, was die Buschbrände in Australien mit dem Klimawandel zu tun haben, warum die Symbolkraft des Feuers der Klimabewegung nützt und weshalb die Mittelmeerländer besser keine Pinien mehr anpflanzen sollten.
Willy Tinner, wie einzigartig sind die gegenwärtigen Waldbrände in Australien?
Auch im Mittelmeerraum werden jedes Jahr erstaunlich grosse Waldflächen durch Brände zerstört. In Italien sind es im Schnitt über 1'000 Quadratkilometer pro Jahr, in Spanien sogar 2'000 Quadratkilometer. Rechnet man das auf die Fläche von Australien hoch, dann kommt man etwa auf 30'000 Quadratkilometer, das entspricht der halben Fläche von Irland. Wir kennen in Europa – immer aufs Mittelmeer bezogen – also durchaus auch Brände, die sich von ihrer Dimension her mit der gegenwärtigen Katastrophe in Australien vergleichen lassen.
Grosse Teile Australiens sind allerdings Wüsten, da brennt es ja kaum...
... genau da liegt das Problem: Die Feuer konzentrieren sich auf New South Wales. Diese Konzentration macht diese Brände tatsächlich aussergewöhnlich. Besieht man sich nur die tatsächlich betroffenen Regionen, wurden Flächen verwüstet, die 20 Mal grösser sind, als was wir bisher aus dem Mittelmeerraum kennen. Das ist wirklich verrückt. Auch in Alaska, wo man ebenfalls grosse Brände gewohnt ist, kommt man auf Zahlen wie bei uns in Europa. Das bedeutet dann aber, dass jedes Jahr Wald in der Grösse des Kantons Bern abbrennt. So gesehen sind die Brände der vergangenen Wochen in Australien wirklich erschreckend und bisher einzigartig. Doch das muss nicht so bleiben: Brände in Dimensionen wie jetzt in Australien drohen auch in Europa.
Wie steht es mit den Bränden im Amazonas?
Die habe ich bewusst ausgeklammert – das sind ganz andere Dimensionen, da geht es um Ökosysteme, die nicht feuerangepasst sind, der ökologische Schaden ist also grösser. Vor allem aber sind diese Brände absichtlich von Menschen gelegt worden. Ich habe nur über nicht gewollte oder natürliche Brände gesprochen. Man muss allerdings sagen, dass auch die meisten dieser Feuer menschliche Ursachen haben – im Mittelmeergebiet sind es über 90 Prozent. Das sind keine Brandstiftungen, sondern schlicht Unachtsamkeiten. Zigaretten oder so unglaubliche Ursachen wie Funkschlag durch die Bahn. Im Tessin zum Beispiel gibt es entlang der Bahnlinien überdurchschnittlich viele Feuer.
Und wann können sich aus solchen Unachtsamkeiten grossflächige Waldbrände entwickeln?
Entscheidend ist das Wetter, wenn es immer regnet und kalt ist, kann man ohne Gefahr im Freien grillieren. Bei Feuerwetter hingegen wird das zum Problem. Damit sind ausgesprochen trockene und heisse Bedingungen gemeint. In dieser Hinsicht haben sich die Bedingungen in Australien und auch im Mittelmeerraum extrem verschlechtert.
Ist das eine Folge des Klimawandels?
Ja, das ist unbestritten. Wir haben es mit längeren und extremeren Hitzephasen zu tun, die auch mit Trockenheit verbunden sind. Kommen zu dieser Kombination noch starke Winde hinzu, dann wird es ganz schlimm. Am allerschlimmsten ist, wenn das Feuer selbst diese Winde entfacht. Dann entstehen die sogenannten Fire Tornados, die sind auch im Mittelmeerraum berüchtigt. Ein Quadratkilometer grosses Feuer kann ein eigenes Windsystem generieren. Da entsteht eine ungeheure Thermik. Und dann finden wir uns in einer negativen Spirale wieder aus trockenem und heissem Wetter, Feuer und Feuerstürmen, die brennende Teilchen kilometerweit transportieren.
Sie untersuchen in Ihren Forschungsprojekten vergangene Waldbrände in Europa. Sind die gegenwärtigen Feuer auch aus historischer Perspektive aussergewöhnlich?
Unter den Jägern und Sammlern waren Feuer ein unbedeutendes Phänomen, aber sobald die Menschen damit begannen, eine Produktionswirtschaft aufzubauen, hat sich das verändert. In den Seesedimenten, in denen wir Holzkohleteilchen bestimmen, zeigt sich ganz klar, dass die Feuer in dem Moment zunahmen, als der Mensch daran interessiert war, etwas zu produzieren. Man kann sich fragen, weshalb das so ist. Der Mensch verfügte ja schon viel früher über Feuer – etwa seit einer halben Million Jahre, schon der Homo erectus kannte das Feuer, das ist keine Errungenschaft von uns modernen Menschen. Die Zunahme der Feuer, die wir sehen, hat damit zu tun, dass die frühen Bauern ihre Produktionssysteme im Wald errichten...
...Sie sprechen von Brandrodung.
Genau. Das sehen wir überall in Europa. Die Menschen versuchen mit Hilfe von Feuer günstige Bedingungen für Kulturpflanzen zu schaffen, die aus dem Nahen Osten stammen und die viel Licht und trockene Verhältnisse brauchen. Dazu müssen sie offenes Land schaffen. Dieses Vorgehen wiederholt sich immer wieder, denn die Natur hat die Tendenz, die durch Brandrodung geschaffenen Wunden zu schliessen. Will man diesen Prozess unterbrechen, muss man wieder mit Feuer roden. Durch das Aufkommen der Produktionswirtschaft gab es immer mehr Feuer im System. Das fängt in der Jungsteinzeit an, nimmt in der Bronzezeit, als die Leute sesshaft werden, zu und gipfelt schliesslich in der Eisenzeit. Da gibt es mancherorts in Europa richtige Feuerwirtschaften. In der Lüneburger Heide und in vielen anderen Gebieten Westeuropas wurde das wertvolle Heidekraut dadurch erhalten, dass man es jedes Jahr ein wenig abbrannte. Da hat der Mensch nach der Rodung eine richtige Feuervegetation installiert.
Welche Rolle spielt die klimatische Entwicklung in dieser Feuergeschichte Europas?
Wir versuchen im Oeschger-Zentrum, die klimatischen Veränderungen mit jenen der Vegetationsgeschichte zu verbinden. Es gibt im Frühholozän vor rund 10'000 - 8'000 Jahren eine Phase, da war es im Mittelmeerraum relativ trocken und heiss. Das hatte nichts mit dem Treibhauseffekt zu tun wie heute, sondern mit den Orbitalparametern, die dazu führten, dass die Sonneneinstrahlung im Sommer sehr stark war. In dieser Periode zeigen unsere Untersuchungen in Sizilien und Sardinien, dass es noch mehr brannte als heute mit dem menschlichen Einfluss. Das ist besorgniserregend. Wir wissen aus unseren Studien, dass damals Arten häufiger waren, die sich ans Feuer angepasst hatten. Perfiderweise brennen diese Arten teilweise selbst sehr gut, da sie viel ätherische Öle enthalten...
...wie der Eukalypthus, der in Australien lodert.
Genau, neben dem Feuerwetter spielt in Australien auch das sogenannte Brandgut eine grosse Rolle. Eukalyptus verfügt über soviel ätherische Öle, dass er fast explosionsartig brennt. Dass führt zu den Feuerspiralen, von denen ich gesprochen haben. Im Mittelmeerraum sind es dann Arten wie Zistrose, Salbei oder Rosmarin, die so schnell brennen – all die Pflanzen, die wir so schätzen, weil sie gut riechen.
Greta Thunberg startete ihre Proteste 2018 vor dem Hintergrund der Waldbrände in Schweden und sagt, ohne diese Umweltkatastrophe vor der eigenen Haustür wäre daraus nie eine Bewegung geworden. Auch in Australien demonstrieren die Menschen gegen ihre Regierung. Reagieren die Menschen bei der Klimapolitik besonders sensibel auf Feuer?
Ja, ich denke das ist so. Feuer hat etwas Symbolisches. Es steht nicht nur für Geborgenheit und Wärme, sondern auch für Gefahr. Ein Feuer praktisch vor der eigenen Haustür ist ein starkes Bild – so wie die Eisbären auf der Scholle. Aber im Unterschied dazu werden Menschen durch das Feuer ganz unmittelbar bedroht. Das sensibilisiert für den Klimawandel. Das sieht man in Australien sehr schön, dort kommt Kritik jetzt auch von Menschen, die bis jetzt kaum fürs Klima auf die Strasse gingen.
Gibt es Strategien, um sich an das steigende Waldbrandrisiko anzupassen?
Ja, durch Pflanzen, die das Feuer unterdrücken. Oliven, Stein- und Korkeichen zum Beispiel. Diese Pflanzen bilden Schatten, und der Zerfall ihres Laubes ist mit Prozessen verbunden, die das Feuer gewissermassen zähmen. In unseren Rekonstruktionen sehen wir, dass die Häufigkeit der Feuer abnimmt, wenn immergrüner Oliven-Eichen-Wald auftaucht. Wir empfehlen deshalb den Städten und den Forstdiensten im Mittelmeergebiet, künftig weniger feueranfällige Bäume wie Eukalypten und Pinien anzupflanzen. Wir können mit unseren Vegetationsmodellen zeigen, dass es viel besser wäre, auf Pflanzen zu setzen, die natürlicherweise im Wald vorkommen. Die bilden einen Feuchtigkeitsschild und könnten unter Umständen als Feuerbrecher wirken. Diese Methode sollte man dringend testen.
Über Willy Tinner
Prof. Dr. Willy Tinner ist Ko-Direktor des Instituts für Pflanzenwissenschaften der Universität Bern, Leiter der Gruppe Paläoökologie, und Mitglied des Oeschger-Zentrums für Klimaforschung.
Kontakt
Prof. Dr. Willy Tinner
Oeschger-Zentrum für Klimaforschung (OCCR), Universität Bern
Telefon: +41 31 631 49 32
Mail: willy.tinner@ips.unibe.ch
Zum Autor
Kaspar Meuli ist Journalist und PR-Berater. Er ist verantwortlich für die Kommunikation des Oeschger-Zentrums für Klimaforschung.