Die Berner Anatomie «lebt» auch in Sofia
Valentin Djonov vom Institut für Anatomie erhielt den «Goldenen Lorbeerzweig», die höchste Auszeichnung des bulgarischen Aussenministeriums. Er wird für sein langjähriges Engagement in medizinischen Austauschprogrammen sowie für karitative Projekte geehrt. Im Interview erzählt er von Schweizer Spitalbetten in Sofia und einer überraschenden Begegnung.
«uniaktuell»: Herr Djonov, das bulgarische Aussenministerium hat Ihnen den «Goldenen Loorbeerzweig» verliehen. Was bedeutet diese Auszeichnung für Sie?
Valentin Djonov: Zuerst war ich überrascht, weil ich bereits 2019 zum Arzt des Jahres in Bulgarien für die gleiche Tätigkeit gewählt worden bin. Ich habe mich sehr gefreut, immerhin ist es die höchste Auszeichnung des Aussenministeriums und ich habe diese für eine Tätigkeit erhalten, die mir sehr am Herzen liegt.
Sie wurden einerseits für Ihre karitativen Projekte geehrt – Sie haben über 100 Sattelschlepper auf eigene Kosten nach Bulgarien geschickt mit Material und Hilfsgütern für Kliniken, Schulen und andere Institutionen. Was hat Sie dazu motiviert?
Einerseits ist es in der Schweiz relativ einfach, dank Kolleginnen und Freunden freiwillig und schnell gutes Material zu sammeln. Was wir hier innerhalb von Stunden organisieren, wird in Bulgarien noch jahrelang verwendet. Andererseits spielen auch die Nachhaltigkeit und der Umweltschutz eine Rolle: Die Entsorgung eines Spitalbettes kostet in der Schweiz rund CHF 150.-. In der Regel sind diese Betten aber absolut funktionsfähig und können noch mehrere Jahre gebraucht werden. Manche von unseren Studierenden, welche dann in Sofia ein Praktikum absolvieren, staunen, wenn sie die Schweizer «Bigla»-Betten in den bulgarischen Spitälern sehen.
Gibt es ein bestimmtes Ereignis oder eine Begegnung, die Ihnen besonders in Erinnerung geblieben ist?
Mit Guido Stöckli vom Malteserorden Schweiz haben wir letztes Jahr ein Akutspital in Sofia besucht. Wir waren sehr überrascht, als eine ältere und angeschlagene Frau zu uns kam und sich auf perfektem Deutsch bei uns bedankte. Viel wichtiger als die von uns organisierte Schenkung war für sie die Tatsache, dass jemand an sie denkt und versucht, den Leuten in Not zu helfen. Diese Begegnung hat mich sehr berührt.
Sie wurden auch für Ihr Engagement in medizinischen Austauschprogrammen ausgezeichnet. Sie haben ein erfolgreiches Austauschprogramm für Studierende und junge Ärztinnen und Ärzte aufgebaut. Was konnten Sie damit erreichen?
Pro Jahr absolvieren 8 bis 10 Medizinstudierende aus Bern ein 1- bis 3-monatiges Praktikum an der Medical University Sofia. Die meisten Aufenthalte werden via Swiss Medical Student Association (SwiMSA) organisiert. Unsere Studierenden erhalten die Möglichkeit, in einem Akutspital selber «Hand anzulegen», klinisch tätig zu sein und nicht zuletzt ein anderes Land und eine andere Kultur zu erleben. Oft werden sie von Ärztinnen und Ärzten, die bereits in der Schweiz waren, betreut. Ich bekomme immer sehr positive Rückmeldungen zum Spitalpraktikum und den persönlichen Begegnungen in Bulgarien.
Welches Feedback haben Sie von den jungen bulgarischen Ärztinnen und Ärzten zum Schweizer Gesundheitssystem und zum Umgang mit Patientinnen und Patienten erhalten?
In der Regel kommen 4 bis 6 junge Ärztinnen und Ärzte aus Sofia für einen Monat an das Inselspital. Sie sind an Spitzenmedizin und neuen Techniken interessiert. Zusätzlich nehmen sie Know-how bezüglich Klinikorganisation und Patientenmanagement nach Hause. Gewisse Konzepte werden dann sogar 1:1 in bulgarischen Spitälern übertragen. Sie sind vom warmen Empfang und der Bereitschaft der Schweizer Kolleginnen und Kollegen, Wissen weiterzugeben, begeistert und sehr dankbar.
Wie kam es zur Zusammenarbeit mit der Medical University of Sofia?
Ich habe sie Ende der Neunziger Jahre initiiert, nachdem ich dort studiert und zwei Jahre als Assistenzarzt gearbeitet hatte. Seit 2004 haben die Medizinischen Fakultäten Bern und Sofia offiziell ein ERASMUS-Programm abgeschlossen. Zusätzlich bestehen zwischen dem Inselspital und der Medizinischen Universität Sofia sowie der Medizinischen Fakultät Varna seit Jahren enge Beziehungen.
Welches sind die Unterschiede im Fachbereich der Anatomie in Bulgarien und in der Schweiz?
Punkto Lehre gibt es eigentlich keine grossen Unterschiede. Die Anatomie in Sofia wurde vor mehr als 100 Jahren nach deutschem Vorbild organisiert. Dieser Einfluss wurde noch deutlicher, als Prof. Kadanov, damals Dozent in Deutschland, wegen dem nationalsozialistischen Regime Ende der 30er Jahre zurück nach Sofia kam und später die Leitung der Anatomie übernahm.
Doch gibt es zwei wesentliche Unterschiede: In Bern haben wir vorwiegend problembasiertes Lernen (PBL) und weniger Frontalunterricht, In Sofia ist es umgekehrt. Die Kolleginnen und Kollegen in Sofia bauen zurzeit die klinische Anatomie auf, welche in der Weiter- und Fortbildung von Ärztinnen und Ärzten und für die Medizinalberufe essenziell ist. Auf diesem Gebiet ist die Anatomie der Universität Bern schweizweit führend, und wir unterstützen die Kolleginnen und Kollegen in Sofia kräftig mit Know-how und Material.
Gibt es auch gemeinsame Forschungsprojekte zwischen Bern und Sofia?
Ja, diese gibt es seit Jahren mit der Medizinischen Universität Sofia. Sie wurden von Geldern des Schweizerischen Nationalfonds SNF, Bundesstipendien sowie der EU finanziert. Mindestens 10 Kolleginnen und Kollegen aus Sofia haben einen Forschungsaufenthalt in Bern von 1 bis 3 Jahren absolviert. Dieser Forschungsaufenthalt hat in einem guten wissenschaftlichen Output resultiert und die meisten Kolleginnen und Kollegen sind zurzeit habilitiert und leiten wichtige Klinik- und Forschungseinheiten in Bulgarien. Die Berner Anatomie «lebt» sozusagen in Sofia durch diese gemeinsamen Forschungsprojekte.
Wie konnten Sie Ihr jahrzehntelanges Engagement und Ihre Zusammenarbeit mit diversen Behörden und Organisationen wie dem Roten Kreuz mit Ihrer Lehr- und Forschungstätigkeit unter einen Hut bringen?
Wir sind ein Team von Freiwilligen, alleine würde ich wenig machen können. Dank effizienter Organisation und der grossartigen Unterstützung von Kolleginnen und Kollegen aus der Insel, dem Malteser Orden Schweiz und verschiedenen weiteren Organisationen gelingt es uns, mit relativ wenig Aufwand die Transporte zu organisieren.
Ruhen Sie sich nun auf den «Goldenen Lorbeeren» aus, oder planen Sie gar noch weitere Projekte in Bulgarien?
Diese Auszeichnung freut mich natürlich sehr, wird aber unsere Tätigkeit nicht beeinflussen. Im Gegenteil wird sie uns mehr Visibilität und hoffentlich mehr Material sowie Helferinnen und Helfer bringen. 2021 werden wir der Medizinischen Universität Sofia mehrere Mikroskope schenken, so dass wir dort eine zeitgemässe «Imaging Facility» für moderne morphologische Forschung einrichten können. Eine solche haben wir vor rund 10 Jahren bereits in Nairobi organisiert, die bis heute noch recht gut funktioniert.
Zur Person
Prof. Dr. med. Valentin Djonov ist seit 2010 Geschäftsführender Direktor des Instituts für Anatomie der Universität Bern und Leiter der Abteilung Topographische und Klinische Anatomie. Nebst der Zusammenarbeit mit Sofia hat er zahlreiche weitere Kooperationen ins Leben gerufen, unter anderem in Kenia, Japan, Australien, Indien und der Ukraine.
Kontakt:
Prof. Dr. med. Valentin Djonov
Institut für Anatomie, Universität Bern
E-Mail: djonov@ana.unibe.ch
Institut für Anatomie
Das Institut für Anatomie gehört der Medizinischen Fakultät der Universität Bern an. Es ist massgeblich an der vorklinischen Ausbildung der Studierenden der Zahn- und Humanmedizin, sowie der Pharmazie, der Veterinärmedizin, der Biologie und der paramedizinischen (Physiotherapie, Laborschulen etc.) Aus- und Weiterbildung beteiligt. Es betreibt drei Kompetenzzentren, die didaktische Morphologie (Aus-, Weiter- und Fortbildung), die experimentelle Morphologie (Mikroskopie) sowie die klinische Anatomie und bearbeitet zusätzlich weitere Forschungsgebiete.
ZUR AUTORIN
Nathalie Matter arbeitet als Redaktorin bei Media Relations und ist Themenverantwortliche «Gesundheit und Medizin» in der Abteilung Kommunikation & Marketing an der Universität Bern.