«Die Idee entstand bei einem spontanen Glas Wein via zoom»

Wegen der Coronakrise wurden auf der ganzen Welt wissenschaftliche Konferenzen reihenweise abgesagt. Das ist gerade für Nachwuchsforschende ein grosses Problem. Sandra Brügger und Tobias Schneider haben ihr Schicksal selbst in die Hand genommen und in nur sechs Wochen eine multidisziplinäre Online-Konferenz für SNF-Postdoktorierende auf die Beine gestellt. Heute geht es los.

Interview: Ivo Schmucki 28. Juni 2020

«uniaktuell»: Sandra Brügger, Tobias Schneider, Sie haben beide an der Uni Bern studiert und am Oeschger-Zentrum für Klimaforschung doktoriert. Nun sind Sie beide mit einem «Early Postdoc.Mobility»-Stipendium des Schweizerischen Nationalfonds in den USA. Wo sind Sie gerade und womit beschäftigen Sie sich in Ihrer Forschung?
Tobias Schneider: Ich bin zurzeit an der University of Massachusetts (UMass) in Amherst und untersuche anhand von Seesedimentkernen aus Süd-grönländischen Seen die regionale temporale Klimavariabilität der letzten ca. 9000 Jahre. Hierzu erforsche ich das Potenzial einer sogenannten «Proxy-to-Proxy Calibration»: Ich versuche räumlich sehr hoch aufgelöste hyperspektrale Bildtechniken (angewandt auf den Sedimentkernen, Produktionsanzeiger) mit tiefaufgelösten Bakterien-Membran-Lipid-Analysen (extrahiert aus dem Sediment, Temperaturanzeiger) zu kalibrieren. Wenn diese Kalibrierung gelingt, erhöht dies die zeitliche Auflösung der Temperaturrekonstruktionen drastisch und reduziert zudem den Zeit-, Kosten- und Materialaufwand der Messungen. Ein Durchbruch könnte ähnliche Studien ermutigen.

Dr. Tobias Schneider erlangte im Sommer 2018 in der Gruppe «Seesedimente und Paläolimnologie» von Prof. Dr. Martin Grosjean seinen PhD of Science in Climate Sciences am Oeschger-Zentrum für Klimaforschung (OCCR) der Universität Bern. Momentan führt er sein SNF Early Postdoc.Mobility-Projekt an der UMass durch. Bild links: © Jürg Schneider / Bild rechts: zvg.
Dr. Tobias Schneider erlangte im Sommer 2018 in der Gruppe «Seesedimente und Paläolimnologie» von Prof. Dr. Martin Grosjean seinen PhD of Science in Climate Sciences am Oeschger-Zentrum für Klimaforschung (OCCR) der Universität Bern. Momentan führt er sein SNF Early Postdoc.Mobility-Projekt an der UMass durch. Bild links: © Jürg Schneider / Bild rechts: zvg.

Sandra Brügger: Ich bin am Desert Research Institut (DRI) der University of Nevada in Reno. Dort untersuche ich optisch Pollen, Holzkohle und Russpartikel in Grönlandeiskernen und vergleiche diese mit chemischen Messungen und Temperaturrekonstruktionen, welche zuvor in den Eiskernen bei uns am DRI gemessen wurden. Wir versuchen herauszufinden, wie vergangene Ökosysteme und Feuerregimes sich über die Zeit veränderten und welche Rolle Klima und menschliche Aktivitäten spielten. Das Projekt trägt dazu bei, die Auswirkungen des Klimawandels in den hohen Breitengraden besser zu verstehen.

Dr. Sandra O. Brugger hat Ende 2018 ihren PhD in Klimawissenschaften am Oeschger-Zentrum für Klimaforschung (OCCR) der Universität Bern in der Paläoökologiegruppe von Prof. Dr. Willy Tinner abgeschlossen und ist seit einigen Monaten mit einem SNF Early Postdoc.Mobility-Projekt am Desert Research Institut (DRI) in Nevada. Bild links: © Manu Friederich / Bild rechts: zvg.
Dr. Sandra O. Brugger hat Ende 2018 ihren PhD in Klimawissenschaften am Oeschger-Zentrum für Klimaforschung (OCCR) der Universität Bern in der Paläoökologiegruppe von Prof. Dr. Willy Tinner abgeschlossen und ist seit einigen Monaten mit einem SNF Early Postdoc.Mobility-Projekt am Desert Research Institut (DRI) in Nevada. Bild links: © Manu Friederich / Bild rechts: zvg.

Die Coronakrise stellt momentan viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf die Probe. Inwiefern sind Sie persönlich in Ihrer Arbeit betroffen?
Brügger: Bei uns am DRI ist bis jetzt Zugang zu Labors nur in Ausnahmefällen gestattet. Da Probenaufbereitung und optische Analysen nicht möglich sind, kann ich seit März keine Daten analysieren. In einem frühen Projektstadium wie bei mir, ist das für das Projektmanagement fatal. Auch die mehrwöchige Eisbohrkampagne in Nordostgrönland mussten wir absagen. Damit fehlt ein ganzer Standort für mein Projekt.

Schneider: Der UMass-Campus wurde Mitte März von einem Tag auf den anderen geschlossen. Ich konnte deshalb meiner Laborarbeit – dem Kern des Projekts – nicht mehr nachgehen. Diese Situation hat mein ganzes Forschungsprojekt behindert und so bin ich nun 3 Monate hinter meinem vorgesehenen Plan. Der Kontakt zu anderen Forschern am Institut ist nur online möglich, was spontanen Austausch nahezu verunmöglicht. Ausserdem wurden alle Konferenzen abgesagt, an welchen ich meine Forschung hätte präsentieren dürfen. Sogar eine Feldarbeit auf Grönland ist der Pandemie zum Opfer gefallen.

Sie sprechen es an: Überall auf der Welt wurden sehr viele wissenschaftliche Konferenzen abgesagt. Sie haben etwas dagegen unternommen und kurzerhand eine virtuelle Konferenz für alle Postdocs, die gerade mit einem SNF-Stipendium im Ausland sind, organisiert. Wie kam es dazu?
Schneider: Seit Beginn der COVID-19-Pandemie stehen wir beide in regem Kontakt und tauschen uns online über mögliche Strategien aus, wie wir mit der sehr unsicheren Lage umgehen können. Alle wissenschaftlichen Konferenzen, an welchen wir beteiligt gewesen wären, sind abgesagt worden. Wir haben vermutet, dass es anderen SNF-Postdocs wohl ähnlich ergeht. Die Idee ist bei einem spontanen Glas Wein via «zoom» entstanden. Dann ging es rasch: Programmentwurf erstellen, die technische Machbarkeit prüfen und schliesslich den Conference Call versenden.

Online-Kontakt auch für das Interview: Tobias Schneider (links) und Sandra Brügger im zoom-Gespräch mit Ivo Schmucki (Kommunikation&Marketing, Universität Bern).
Online-Kontakt auch für das Interview: Tobias Schneider (links) und Sandra Brügger im zoom-Gespräch mit Ivo Schmucki (Kommunikation&Marketing, Universität Bern).

Wieso sind Konferenzen gerade für Nachwuchsforschende so wichtig?
Schneider: Einerseits sind Konferenzen wichtige Projekt-Milestones, um Resultate aufzubereiten und sich Gedanken über deren Interpretation zu machen. Andererseits verleihen Konferenzen uns jungen Forschenden Visibilität und Bekanntheit im Forschungsfeld und schliesslich bieten Konferenzen natürlich auch beste Gelegenheit, um ein Netzwerk aufzubauen und dieses zu pflegen. Oftmals können spontane und informelle Begegnungen mit anderen Forschenden ausserhalb den eigentlichen Konferenzräumen neue Türen öffnen und den Grundstein für Kollaborationen legen.

Die «SNSF Fellows Conference» beginnt morgen Montag, 29. Juni und dauert bis Donnerstag, 2. Juli. Wie lief die Organisation ab? Haben Sie alles nur zu zweit organisiert?
Brügger: Wir haben einen Grossteil der Organisation und das ganze wissenschaftliche Programm zu zweit gestemmt. Vor allem in Sachen Logistik bekamen wir aber Unterstützung: Swissnex Boston und San Francisco haben uns bei der Website, bei der technischen Umsetzung der Konferenz, bei den Social Media und so weiter grosszügig unterstützt. Zudem hat der SNF mitgeholfen, die Konferenz bei den anderen Postdocs bekanntzumachen. Wir hatten das Glück, dass die Professorinnen und Professoren, die wir als Keynote-Speakers angefragt haben, direkt zugesagt haben.  

Die Konferenz ist multidisziplinär, es gibt Präsentationen aus allen möglichen wissenschaftlichen Disziplinen. War das von Anfang so geplant?
Brügger: Wir wollten bewusst eine Plattform schaffen, die allen SNF-Postdocs im Ausland zur Verfügung steht, unabhängig von der Forschungsrichtung, denn die Pandemie hat uns alle getroffen. Deshalb war auch schnell klar, dass die Keynotes sehr divers sein sollten, um eben den interdisziplinären Charakter der Konferenz zu unterstreichen. Bei den Forschungs-Präsentationen hat sich so ein breites Bild ergeben: Insgesamt sind 52 SNF-Fellows von Institutionen auf der ganzen Welt dabei. Und die COVID-19 Panels reflektieren den gemeinsamen Nenner und Auslöser für die Konferenz: COVID-19.

Schneider: Ja, trotz verschiedener Hintergründe haben wir alle eines gemeinsam: Wir SNF Mobility-Stipendiaten leben im Ausland während gesundheitlich – und gerade hier in den USA auch politisch – unsicheren Zeiten. Wir versuchen, das Beste daraus zu machen und unsere Karriereziele deswegen nicht aufzugeben und uns gegenseitig zu unterstützen.

Welche Hürden gab es bei der Organisation zu überwinden?
Brügger: Der Zeitdruck war ein Faktor, da wir die Konferenz möglichst zeitnahe stattfinden lassen wollten und deshalb liegen zwischen der ursprünglichen Idee und dem Konferenzdatum gerade mal sechs Wochen . Es war aber sehr spannend, Einblick in die verschiedenen Perspektiven und Traditionen anderer Forschungsdisziplinen zu bekommen. Zu berücksichtigen gab es auch die verschiedenen Zeitzonen der Teilnehmenden von der West- und Ostküste der USA, aber auch Südamerika, Europa und Australien.

Worauf freuen Sie sich am meisten?
Brügger: Es ist schön, mit dieser Konferenz etwas Positives aus der belastenden Situation aufgrund der Pandemie zu erschaffen. Ich freue mich am meisten auf die Vielfalt der Themen, die unsere Postdoc-Fellows präsentieren werden und auch über die Tatsache, dass wir uns alle auf dieser Plattform über die Disziplinen hinweg vernetzen und austauschen können.

Schneider: Ich freue mich darauf, mich mit anderen Nachwuchsforschenden aus unterschiedlichen Forschungsfeldern auszutauschen. Die COVID-19-Panels werden mir auch einen «Blick hinter die Schlagzeilen» ermöglichen und unverständliche Situationen klären.

INFOBOX: SNSF FELLOWS CONFERENCE

Die «SNSF Fellows Conference» ist eine multidisziplinäre Wissenschaftskonferenz für Nachwuchsforschende, die mit einem Stipendium des Schweizerischen Nationalfonds (SNF) ein Forschungsprojekt an einer Institution im Ausland verfolgen. Die Konferenz findet virtuell statt und dauert von Montag, 29. Juni bis Donnerstag, 2. Juli 2020.

Sandra Brügger und Tobias Schneider wurden bei der Organisation von Swissnex (Boston und San Francisco), dem weltweiten Schweizer Aussennetz für Bildung, Forschung und Innovation, ihren Hostinstitutionen Desert Research Institute und University of Massachusetts Amherst sowie dem Schweizerischen Nationalfonds (SNF) unterstützt.

ÜBER DR. SANDRA O. BRÜGGER

Dr. Sandra O. Brugger hat Ende 2018 ihren PhD in Klimawissenschaften am Oeschger-Zentrum für Klimaforschung (OCCR) der Universität Bern in der Paläoökologiegruppe von Prof. Dr. Willy Tinner abgeschlossen und ist seit einigen Monaten mit einem SNF Early Postdoc.Mobility Projekt am Desert Research Institut (DRI) in Nevada Teil der Forschungsgruppe von Prof. Dr. Joseph R. McConnell. Sie interessiert sich für grossflächige Vegetations-, Landnutzungs-, Feuer- und Klimabeziehungen über lange Zeiträume. Dafür analysiert sie optisch unter dem Mikroskop Mikrofossilien (z. B. Pollen, Holzkohle, Russpartikel) und kombiniert diese mit chemischen Proxies in Eiskernen an Standorten von den Tropen bis in die Arktis, um besser zu verstehen, wie sich Ökosysteme über die letzten Jahrhunderte bis Jahrtausende verändert haben.

Kontakt:

Dr. Sandra O. Brügger
Desert Research Institut (DRI), Reno Nevada
sandra.brugger@dri.edu

ÜBER DR. TOBIAS SCHNEIDER

Dr. Tobias Schneider erlangte im Sommer 2018 in der Gruppe «Seesedimente und Paläolimnologie» von Prof. Dr. Martin Grosjean seinen PhD of Science in Climate Sciences am Oeschger-Zentrum für Klimaforschung (OCCR) der Universität Bern. Momentan führt er sein SNF Early Postdoc.Mobility-Projekt an der UMass in den Gruppen von Isla S. Castañeda (Biogeochemistry lab) und Raymond S. Bradley (Climate System Research Center) durch. Er analysiert mit verschiedenen biogeochemischen, geochronologischen, paläolimnologischen und sedimentologischen Techniken Seesedimente, um damit die regionale Klimavariabilität, Umweltveränderungen und Umweltverschmutzung der Vergangenheit (Holozän) rekonstruieren und untersuchen zu können.

Kontakt:

Dr. Tobias Schneider
University of Massachusetts (UMass), Amherst
tobiasschnei@umass.edu

ZUM AUTOR

Ivo Schmucki arbeitet als Redaktor bei Media Relations und Corporate Publishing in der Abteilung Kommunikation & Marketing an der Universität Bern. Er ist Themenverantwortlicher «Natur und Materie».

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