«Die Karten im Tourismus werden neu gemischt»
Während des Lockdowns half Monika Bandi Tanner von der Forschungsstelle Tourismus (CRED-T), kurzerhand für alle Mitarbeitenden im Schweizer Tourismus ein kostenloses E-Learning-Angebot zusammenzustellen: «Faszination Tourismus». Im Interview erklärt sie die Hintergründe und wie sich der Tourismus durch COVID-19 verändern kann.
Monika Bandi, wie kamen Sie auf die Idee, mitten im Lockdown ein Weiterbildungsprogramm zu entwickeln und allen im Schweizer Tourismus Tätigen kostenlos anzubieten?Der Gstaader Tourismusdirektor erkundigte sich in unserer Forschungsstelle, ob es eine digitale Weiterbildung für seine Angestellten gebe, um sie während des Lockdowns sinnvoll zu beschäftigen. Weil dies nicht der Fall war, trafen der ehemalige Tourismusprofessor und Kollege Hansruedi Müller und ich einen «Küchentischentscheid» und kreierten «Faszination Tourismus». Inhalte dafür lieferte unser 2019 herausgegebenes Lehrbuch «Grundkenntnisse Tourismus». Die 15 Module behandeln Themen wie Chancen und Gefahren, Förderung von Qualität und Nachhaltigkeit sowie weitere wichtige Trends im Tourismus. Damit Gstaad Tourismus so rasch wie möglich mit der Weiterbildung starten konnte, schrieben wir in nur einer Woche drei Module. Gstaad erprobte das Programm, und die Idee kam auf, es für alle Mitarbeitenden im Schweizer Tourismus kostenlos zugänglich zu machen, damit sie ihr touristisches Fachwissen erweitern können. Dafür spannten wir mit der Höheren Fachschule für Tourismus IST zusammen. Das Programm wurde über elf Tourismuskanäle gestreut und in Fachmedien wie der «Hotel Revue» publik gemacht. Es schrieben sich über 500 Teilnehmende aus insgesamt 200 Organisationen ein, darunter die gesamte Belegschaft von Zermatt Tourismus und Basel Tourismus.
Können Sie die Hintergründe genauer erläutern?Diesen Frühling herrschten im Schweizer Tourismus wegen des Lockdowns beispielsweise hinsichtlich Bettenbelegung gleiche Zustände wie letztmals im Zweiten Weltkrieg. Mit «Faszination Tourismus» erinnerten wir uns an unsere Wurzeln und unseren Grundauftrag: Das Forschungsinstitut für Freizeit und Tourismus FIF (Anm. Red.: Vorgängerorganisation der Forschungsstelle Tourismus) wurde 1941 im Zweiten Weltkrieg per Regierungsratsbeschluss gegründet, um die gebeutelte Schweizer Tourismuswirtschaft mit Know-how und Forschung zu unterstützen. Das E-Learning-Programm sollte ein Beitrag zur Bewältigung der Coronakrise im Tourismus sein. Es ist für die verschiedenen Teilbereiche des Tourismus geeignet und praxisorientiert.
Was war für Sie das Erstaunlichste am Projekt?Einerseits die Freude der Teilnehmenden am Programm. Andererseits aber auch die Freude im Team, die den sehr hohen Aufwand stets übertönte. Wir kamen regelrecht in einen Flow. In der Kooperation mit der IST brachten beide Parteien ihre Stärken ins Projekt ein: von uns kamen die theoretischen Grundlagen, Denkanstösse und Leitfragen, die IST war für die Wissensvermittlung zuständig. Zudem war es spannend, dass in einer Zeit, in der der Tourismus stillstand, trotz Social Distancing eine neue Community entstand.
Sie haben Faszination Tourismus kürzlich von den Teilnehmenden evaluieren lassen. Was kam dabei heraus?Die meisten fanden den Studiengang insgesamt sehr gut. Sie schätzten den Aufbau der Module oder etwa die Kombination von Selbststudium und Livediskussion auf «Zoom». Für uns war die Rückmeldung, dass sowohl die theoretischen Grundlagen als auch der Praxistransfer gleich gut ankamen, sehr wichtig. Alles in allem zeigt uns die Evaluation, dass wir das Bedürfnis der Praxis nach einer modulartigen Weiterbildung richtig interpretiert und mit der richtigen Kooperationspartnerin ein adäquates Angebot geschaffen haben.
Wie hat COVID-19 den Schweizer Tourismus dieses Jahr verändert?Wo und wie unsere touristischen Bedürfnisse befriedigt werden, hat sich kurzfristig geändert. Die Schweizerinnen und Schweizer reisten dieses Jahr anders: Sie waren vor allem im Inland unterwegs, machten Tagesausflüge und besuchten Orte, die vorher ein Mauerblümchendasein führten. Statt Interlaken oder Luzern standen plötzlich das Binntal oder der Lauenensee hoch im Kurs. Das ist insofern interessant, als sich in den letzten acht bis zehn Jahren in den Städten der Tourismus trotz der Frankenstärke sehr positiv entwickelte. In Gebieten, wo der Tourismus eigentlich Leitindustrie ist, etwa in den Alpen, stagnierte das Geschäft hingegen. Das System korrigiert sich zumindest kurzfristig gewissermassen etwas selbst – was auch wieder beruhigend ist. Für die neuerdings beliebten Regionen bedeutet dies aber auch Herausforderungen: Kleinere Räume wie etwa das Gantrischgebiet müssen aus touristischer Sicht neu definiert werden, damit sie mit grossen Touristenströmen umgehen können.
Wie geht es weiter?Gewinnt nachhaltigeres Reisen nun an Bedeutung?
Die Coronakrise bedeutet sicher auch eine Chance für bewussteres Reisen. Bislang federten die Anbieter, die durch die CO2-Emissionen des Tourismus mitverantwortlich für den Klimawandel waren, die negativen Nebenwirkungen des Reisens ab. Etwa die Bergbahnen, die sich wegen fehlenden Schnees um die Beschneiung eines Gebietes kümmern mussten, was für sie zu höheren Kosten führte. Durch die gesundheitliche Bedrohung wird das Reisen nun mühsamer oder sogar risikoreicher – negative Auswirkungen unseres Reisens betreffen uns nun plötzlich persönlich. So werden die Reisenden sowohl zu Täterinnen und Tätern als auch zu Opfern. Deshalb überlegen wir uns nun bewusster, wann wir Risiken oder eine Quarantäne auf uns nehmen wollen. Schliesslich wird aber, so nehme ich an, ein grosser Teil der Bevölkerung nach der Pandemie wieder in alte Muster zurückfallen – das Fernweh bleibt.
Und wie sieht es auf der Angebotsseite aus?Die touristischen Karten werden wohl in den nächsten zwei bis drei Jahren neu gemischt: Auf der Angebotsseite wird sich einiges verändern. Reisen fand in den letzten Jahren beinahe für alle und zu jedem Preis statt – man denke hier etwa an vergünstigte Tickets, wenn man anstelle eines Direktfluges drei Flugstopps in Kauf nahm. Die Schutzkonzepte werden sich in höheren Kosten niederschlagen, da sich Hotelketten oder Airlines auf stark frequenzbasierten, durch hohe Fixkosten gekennzeichnete Geschäftsmodelle abstützen. Ist ein Hotel also wenig ausgelastet, werden die hohen Fixkosten auf weniger Gäste verteilt, was höhere Zimmerpreise bedeutet. Das Reisen könnte somit wieder exklusiver werden. Früher reiste nur der Adel oder wenn man zur Kur ging. Erst die massentaugliche Mobilität führte zur Demokratisierung des Reisens. Gepaart mit höheren Einkommen ist Tourismus ein Wohlstandsphänomen geworden, dass nun durch die Auswirkungen der Pandemie wohl abgebremst wird.
«Faszination Tourismus»
Das E-Learning Programm war für alle Mitarbeitenden im Tourismus kostenlos verfügbar. Ein modular aufgebauter Mix aus Theorie, Praxiswissen und Informationen zu aktuellen Entwicklungen gibt den Teilnehmenden einen vertieften Einblick in die Tourismusbranche. Die Teilnehmenden wurden persönlich via Mail oder Zoom durch die Initiantinnen und Initianten begleitet.
Forschungsstelle Tourismus
Die Tourismusforschung und -lehre ist mit der Forschungsstelle Tourismus im Center for Regional Economic Development (CRED) integriert. Als interdisziplinäre Forschungsstelle befasst sie sich mit touristischen Fragestellungen unter breiter volkswirtschaftlicher Perspektive und bezieht weitere relevante Aspekte und Disziplinen ein. Zudem gilt sie als Anlaufstelle für Fragen der touristischen und regionalwirtschaftlichen Entwicklung sowie für angewandte Forschung und Dienstleistung.
Über Monika Bandi Tanner
Dr. Monika Bandi Tanner war von 2012 bis 2018 Leiterin und ist seit 2019 Co-Leiterin der Forschungsstelle Tourismus am Center for Regional Economic Development (CRED) der Universität Bern.
Kontakt:
Dr. Monika Bandi Tanner
Universität Bern, CRED
E-Mail: monika.bandi@cred.unibe.ch
Zur Autorin
Lisa Fankhauser arbeitet als Redaktorin Corporate Publishing in der Abteilung Kommunikation & Marketing an der Universität Bern. Sie ist Themenverantwortliche «Politik und Verwaltung».