«Konkreter Nutzen für Mensch und Natur»
«Die Universität Bern will mit ihrer Spitzenforschung weltweit einen konkreten Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung der Gesellschaft leisten», sagt Rektor Christian Leumann im Interview mit dem Wissenschaftsmagazin UniPress. Unter dem Titel «Heisse Zukunft» zeigt das aktuelle Heft, was auf uns zukommt – und wie jetzt die Wissenschaft gefordert ist.
Herr Leumann, viele Hochschulen betreiben heute Forschung im Bereich Nachhaltigkeit. Was zeichnet die Universität Bern aus?
Christian Leumann: Unsere Erfahrung in diesem Forschungsgebiet ist ausserordentlich gross. Wir haben die aktuellen Fragen der Nachhaltigkeit bereits vor langer Zeit in Angriff genommen. Unsere Klimaforschung geht zurück auf Hans Oeschger, der 1963 die Abteilung für Klima- und Umweltphysik gründete und der zu den ersten Warnern vor einem menschengemachten Klimawandel gehörte. Im Jahr 2000 konnte die Universität Bern in der allerersten Serie von Nationalen Forschungsschwerpunkten (NCCR) zwei nach Bern holen: den einen zur Klimaforschung, den anderen zu Nord-Süd, in dem es vor allem auch um die Frage der nachhaltigen Landnutzung ging. Unsere Forschenden sind weltweit präsent, etwa mit Thomas Stocker, der beim Weltklimarat eine wichtige Rolle spielte für das Pariser Klimaabkommen von 2015, mit Markus Fischer beim Weltbiodiversitätsrat IPBES, und jüngst mit Peter Messerli, der im letzten Herbst als Co-Leiter des Weltnachhaltigkeitsberichts vor der UNO auftrat.
Kurz vor Weihnachten hat der Mäzen und Unternehmer Hansjörg Wyss 100 Millionen Franken zur Gründung der «Wyss Academy for Nature» an der Universität Bern zugesagt. Wie konnten Sie ihn überzeugen?
Ich kann mich noch gut erinnern, wie wir Hansjörg Wyss im November 2017 ein erstes Mal zu uns nach Bern einluden und in einem sehr einfachen Rahmen mit Thomas Stocker, Peter Messerli und Markus Fischer unser Konzept darlegten. Wir hatten die Idee, unsere international renommierte Forschung zu Biodiversität, Klimaentwicklung und Landnutzung übergeordnet zu bündeln und konkrete Projekte umzusetzen, die direkt Natur und Mensch zugutekommen. Hansjörg Wyss sagte spontan: Das interessiert mich! Auch die Wyss Foundation fand unseren neuartigen Ansatz spannend, und wir erhielten eine erste Vorunterstützung für Pilotprojekte in Kenia und Peru. Dass nun die Wyss Foundation und der Kanton Bern voll eingestiegen sind und wir mit dem Aufbau bereits begonnen haben, freut mich ausserordentlich, und ich möchte unseren Partnern meinen grossen Dank aussprechen.
Um das laufende Massenaussterben aufzuhalten, muss laut Wissenschaftlern mindestens ein Drittel der Erde unter Schutz gestellt werden. Welche Rolle kann da die Wyss Academy for Nature spielen?
Unser Ansatz ist nicht primär Naturschutz: Wir machen nicht Naturschutz – wir möchten Wege ausloten, wie der Mensch mit der Natur in Einklang leben kann. Das ist eine riesige Herausforderung, und genau der Aspekt, der auch Hansjörg Wyss interessiert: Lösungen müssen gemeinsam mit der lokalen Bevölkerung in besonders betroffenen Gebieten erarbeitet werden, damit sie funktionieren und damit der Schutz nachhaltig ist.
Was erhoffen Sie sich als Rektor der Universität Bern von der Wyss Academy for Nature?
Wir möchten die Konzepte aus unserer akademischen Forschung einem Realitätscheck unterziehen und mit unseren Partnern in verschiedenen Weltgegenden Lösungen entwickeln, die man dann für andere Regionen übernehmen oder adaptieren kann. Die Universität Bern kann damit ihre Position national und international massiv stärken können und einen konkreten Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung der Gesellschaft weltweit leisten können. Das ist meines Erachtens eine der Hauptaufgaben einer Universität – und wir stellen uns dieser Herausforderung gerne.
Nach drei erfolgreich beendeten Nationalen Forschungsschwerpunkten zu Nachhaltigkeitsthemen – Klima, Nord-Süd und Trade Regulation – hat die Universität Bern einen neuen NCCR zum Thema Biodiversität eingegeben, jedoch nicht erhalten.
Wir waren alle sehr überrascht und natürlich enttäuscht über diesen forschungspolitischen Entscheid des Eidgenössischen Departements für Wirtschaft, Bildung und Forschung. Unsere Eingabe war in der Endauswahl der Projekte, die das wissenschaftliche Qualitätssiegel des Nationalfonds erhalten haben, das einzige zum Thema Biodiversität. Wir sind nun schon etwas verunsichert: Denkt das Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation SBFI an Alternativen, die Biodiversitätsforschung zu unterstützen, oder ist das Thema tatsächlich zu tief unten auf der Prioritätenliste? Man sieht in Australien, wie die Biodiversität durch die Klimaerwärmung zusätzlich unter Druck gerät: In kurzer Zeit kamen rund eine Milliarde Tiere um, das ist fatal für bedrohte Arten.
Was bedeutet dieser Entscheid für die Biodiversitätsforschung?
Der NCCR hätte es ermöglicht, dringend benötigte Daten zum Wandel der Biodiversität in der Schweiz zu erheben und die an den akademischen Institutionen in der Schweiz tätigen Forschungsgruppen zusammen zu bringen und zu vernetzen. Die Universitätsleitung hat sich im Nachgang zum negativen Entscheid dafür ausgesprochen, zentrale Elemente des NCCRs trotzdem umzusetzen. Wir wollen eine führende Rolle in diesem Gebiet übernehmen und durch nationale und internationale Allianzen unsere internationalstarke Position in der Biodiversitätsforschung weiter ausbauen können. Sie ist auch für die Wyss Academy ein wichtiger Grundpfeiler.
Setzt die Universität Bern auch im Betrieb auf Nachhaltigkeit?
Wir prüfen intensiv, ob die Universität bis 2025 klimaneutral gestaltet werden kann, zumindest in den Bereichen, in denen wir direkt Einfluss nehmen können. In naher Zukunft werden wir unsere Empfehlungen zu Dienstreisen weiter präzisieren und Lösungen anbieten. Es ist für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unmöglich, nicht zu reisen, aber wir möchten dafür sorgen, dass dies klimaneutral geschieht. Wir haben mit Genugtuung zur Kenntnis genommen, dass wir im Rating der nachhaltigen Universitäten des WWF zu den Besten gehören. Das ist uns ein Ansporn, noch weiterzugehen. Nachhaltigkeit ist auf allen Ebenen ein Markenzeichen der Universität Bern.
Zur aktuellen Ausgabe von UniPress – Schwerpunkt Klima & Nachhaltigkeit
Es wird heiss in der Schweiz – wir brauchen mehr Hitzeschutz. Die Alternativen sind da: Wie können wir gesellschaftlich gerechter und ökologisch verträglicher leben? Nachhaltiger Handel: So geht’s. Diese und weitere Beiträge finden Sie in der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsmagazins UniPress.
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Über Christian Leumann
Prof. Dr. Christian Leumann ist seit 2016 Rektor der Universität Bern. Zuvor war er bereits als Vizerektor Forschung seit 2011 Mitglied der Universitätsleitung. Christian Leumann, 1958 geboren, dissertierte an der ETH Zürich in Biochemie. Nach einem Post-Doktorat an der University of California arbeitete er als Oberassistent an der ETHZ. 1993 wurde er ordentlicher Professor für bioorganische Chemie am Departement für Chemie und Biochemie an der Universität Bern. Christian Leumann ist Vater zweier erwachsener Kinder und lebt mit seiner Frau in Bern.
Zum Autor
Timm Eugster arbeitet als Leiter UniPress und Themenverantwortlicher Nachhaltigkeit in der Abteilung Kommunikation & Marketing der Universität Bern.