Schub für tierversuchsfreie Methoden

Gleich drei Forschungsgruppen an der Universität Bern erhalten vom 3R Kompetenzzentrum Schweiz (3RCC) Fördergelder für innovative Projekte, die Tierversuche ersetzen sollen. Um Krebstumore, Lungenfibrose und den Arzneimitteltransfer zwischen Mutter und Fötus zu untersuchen, werden Zellen von menschlichen Patienten im Labor kultiviert.

Das 3R Kompetenzzentrum Schweiz (3RCC) unterstützt dieses Jahr vier Projekte mit insgesamt 1,3 Millionen Franken. Drei davon sind an der Universität Bern angesiedelt, eines an der ETH Zürich. Dies hat das 3RCC am 1. Juli bekanntgegeben. Das 3R Kompetenzzentrum fördert die sogenannten 3R-Prinzipien (Replace, Reduce, Refine) – also die Bestrebungen, Tierversuche wenn immer möglich durch Alternativmethoden zu ersetzen, die Anzahl Versuchstiere zu reduzieren und die Belastung für die Tiere so gering wie möglich zu halten. «Wir haben die 3R-Prinzipien seit langem aktiv auf dem Radar und fördern die entsprechende Forschung», betont Daniel Candinas, Vizerektor Forschung der Universität Bern – dies zeige sich nun auch in den aktuellen Zusprachen.  

Alle drei Berner Projekte verfolgen das Ziel, Tierversuche in spezifischen, dafür geeigneten Bereichen durch Zellkulturen zu ersetzen. So züchten Wissenschaftler am ARTORG Center for Biomedical Engineering Research und am Inselspital menschliche Lungenzellen auf einem Chip, während Forscherinnen am Department for BioMedical Research (DBMR) dreidimensionale Zellstrukturen (Organoide) zur Untersuchung des Tumorwachstums entwickeln wollen. Am Institute of Biochemistry and Molecular Medicine (IBMM) schliesslich entwickelt eine Forschungsgruppe ein Zellmodell, um zu untersuchen, wie Medikamente während der Schwangerschaft von der Mutter auf das Kind übertragen werden können.

Zellen von Patientinnen und Patienten werden auf einem «Organ-on-a-Chip» kultiviert: Mit dieser Methode ersetzen Berner Forschende Tierversuche.
Zellen von Patientinnen und Patienten werden auf einem «Organ-on-a-Chip» kultiviert: Mit dieser Methode ersetzen Berner Forschende Tierversuche. © ARTORG Center, aus Stucki et al., Scientific Reports 2018, https://doi.org/10.1038/s41598-018-32523-x

Die Lunge auf dem Mikrochip

Menschliche Lungenzellen zu züchten auf einem sogenannten «Organ-on-a-Chip», einer neuen Generation von In-vitro-Modell: Das ist das Ziel von Olivier Guenat (ARTORG) und Thomas Geiser (Universitätsklinik für Pneumologie). Sie entwickeln ein neues Modell zur Untersuchung der idiopathischen Lungenfibrose (IPF), einer tödlichen Lungenerkrankung, die zu einer Vernarbung der Lunge führt. Um Therapien gegen die Krankheit zu entwickeln und zu testen, verursachen Forschende heute durch Verabreichung gewisser Substanzen in den Lungen von Mäusen Entzündungen und Fibrosen. Viele neue Arzneimittel, die in diesem präklinischen Modell getestet werden, scheitern jedoch später bei entsprechenden Tests am Menschen – selbst wenn sie im Tierversuch vielversprechende Resultate erzielten.

«Menschen und Mäuse unterscheiden sich stark in ihrer Physiologie und in ihrer Reaktion auf Lungenmedikamente», erklärt Guenat: «Beim Menschen ist die idiopathische Lungenfibrose eine fortschreitende Krankheit, während sie bei Mäusen durch Wirkstoffe ausgelöst wird und reversibel ist. Daher können Testergebnisse nicht ohne weiteres von einer Spezies auf die andere übertragen werden.»

Die Lunge-auf-Chip-Technologie des ARTORG Centers der Universität Bern verwendet Zellen von Patienten, die auf einem Mikrochip kultiviert werden. Dadurch können die Forschenden relevante klinische Informationen über den fibrotischen Prozess im Menschen generieren. Dies soll es Forscherinnen und Klinikern ermöglichen, experimentelle Lungen-Medikamente zu testen und bestehende Behandlungen so zu optimieren, dass sie besser auf den einzelnen Patienten oder die einzelne Patientin zugeschnitten sind. «Unsere Forschung trägt dazu bei, die Entwicklung tierversuchsfreier Modelle voranzutreiben und gleichzeitig jedem Patienten die bestmögliche Therapie zu bieten», so Guenat.

Ein Teil des Forschungsteams von Professor Olivier Guenat (oben Mitte) bei einem virtuellen Meeting. Foto: zvg
Ein Teil des Forschungsteams von Professor Olivier Guenat (oben Mitte) bei einem virtuellen Meeting. Foto: zvg

Zellen aus Plazenta und Nabelschnur

Schädigen Medikamente, die eine Mutter während der Schwangerschaft einnimmt, ihr ungeborenes Kind? Diese Frage soll in Zukunft ein sogenanntes zellbasiertes Perfusionsmodell beantworten können. Entwickelt wird es von Christiane Albrecht vom Institute of Biochemistry and Molecular Medicine (IBMM) der Universität Bern zusammen mit Kolleginnen und Kollegen von der Karls-Universität in der Tschechischen Republik und der Curio Biotech SA.

Konkret schaffen die Forschenden aus Zellen der Plazenta der Mutter und aus der Nabelvene des Kindes ein dreidimensionales System. Diese direkt von den Patientinnen gewonnenen Zellen sind für den menschlichen Körper relevanter als die in Zellkulturen vermehrten immortalisierten Zellen, die in dieser Art der Forschung meist verwendet werden, oder das Tiermodell. Mit dieser neuen Methode soll man künftig kostengünstig, schnell und sicher prüfen können, ob neue Medikamente den Fötus erreichen und toxische Auswirkungen auf das ungeborene Kind haben können.

Christiane Albrecht will eine kostengünstige, schnelle, sichere und tierversuchsfreie Methode entwickeln, um Medikamente zu testen.
Christiane Albrecht will eine kostengünstige, schnelle, sichere und tierversuchsfreie Methode entwickeln, um Medikamente zu testen.© zvg

«Bei den derzeit angewandten Ansätzen für das Medikamenten-Screening werden mehrere hundert Tiere pro Medikament eingesetzt, um potenziell toxische Auswirkungen auf den sich entwickelnden Fötus zu untersuchen», erklärt Christiane Albrecht. «Ein validiertes, reproduzierbares und auf menschlichen Zellen basierendes Modell, das von den Zulassungsbehörden anerkannt ist, könnte in Zukunft als primäres Screening-Modell dienen. Dadurch wird die Verwendung zahlreicher Tiere verhindert und die offensichtlichen Einschränkungen von Tiermodellen können überwunden werden.»

Dreidimensionale Zellstrukturen

Wie wachsen Tumore, wie sprechen sie auf Medikamente an und wie bilden sie Resistenzen gegen Therapien? Diese Fragen wollen Marianna Kruithof-de Julio und Mark Rubin am Department for BioMedical Research (DBMR) der Universität Bern mit Hilfe von sogenannten Organoiden beantworten. Das Fördergeld des 3RCC werden sie für die Züchtung dieser kleinen dreidimensionalen Zellstrukturen verwenden.

Organoide sind Mikrostrukturen, die aus dem Gewebe von Patienten gewonnen werden, die an Blasen- und Prostatakrebs erkrankt sind. Die Forschenden wollen die Verfahren optimieren und standardisieren, mit denen zuverlässig patienteneigene Organoide erzeugt werden können.

«In unserem Präzisions-Onkologie-Programm wollen wir verstehen, warum einige Patientinnen und Patienten auf eine bestimmte Krebstherapie nicht ansprechen», erklärt Kruithof-de Julio: «Diese Therapieresistenz und die Unterschiede zwischen den Patienten können mit herkömmlichen Zelllinien und Tiermodellen nicht problemlos nachgeahmt werden.»

Marianna Kruithof-de Julio will mit ihrem Projekt dazu beitragen, eine der grössten Hürden in der Krebstherapie zu überwinden und Tierversuche zu ersetzen.
Marianna Kruithof-de Julio will mit ihrem Projekt dazu beitragen, eine der grössten Hürden in der Krebstherapie zu überwinden und Tierversuche zu ersetzen. © zvg

Die Organoid-Gruppe der Universität Bern wird stabile patienteneigene Organoide erzeugen, die den Forschenden in einer Biobank zugänglich gemacht werden und ihnen helfen sollen, neue Behandlungsansätze gegen Krebs zu entwickeln.

«Dieses Projekt soll die Art und Weise, wie wir Tumorresistenz untersuchen, verändern», sagt Kruithof-de Julio: «Wir wollen dazu beitragen, eine der grössten Hürden in der Krebstherapie zu überwinden und gleichzeitig Tierversuche in diesem Bereich ersetzen.»

ZU TIERVERSUCHEN UND DEN 3R-PRINZIPIEN

Tierversuche werden in der Schweiz gemäss Tierschutzgesetz auf das unerlässliche Mass beschränkt: Sie dürfen nur durchgeführt werden, wenn keine geeignete Alternativmethode bekannt ist, mit der das angestrebte Ziel ebenfalls erreicht werden kann. Die Forschenden müssen für jeden Tierversuch begründen und belegen, dass der Nutzen, den die Gesellschaft aus dem geplanten Tierversuch zieht, die Belastung der Tiere während des Versuchs rechtfertigt. Diese sogenannte Güterabwägung ist ein zentrales Element im Bewilligungsverfahren.

Das 3R-Prinzip umfasst drei Werkzeuge, die den maximalen Schutz der Versuchstiere ermöglichen, ohne die Aussagekraft der wissenschaftlichen Forschung einzuschränken:

  • Replace: Das Ersetzen eines Tierversuches soweit möglich, wenn es geeignete Alternativmethoden gibt.
  • Reduce: Die Reduktion der Tierversuche und der Anzahl der Versuchstiere soweit wie möglich. Entscheidend dabei ist, so viele Tiere einzusetzen, wie für eine statistisch abgesicherte Aussage notwendig sind. Dabei müssen genügend Tiere verwendet werden, da sonst die Resultate zu wenig aussagekräftig wären.
  • Refine: Die Methoden und der Umgang mit den Tieren während der Versuche und in der Haltung sollen sicherstellen, dass deren Belastung so gering wie möglich ist und es ihnen möglichst gut geht. 

ZUM 3R KOMPETENZZENTRUM SCHWEIZ 3RCC

In der Schweiz fördert das 3R Kompetenzzentrum Schweiz (3RCC) die 3R-Prinzipien. Das 3RCC ist eine gemeinsame Initiative von Hochschulen, Industrie, Aufsichts- und Regierungsbehörden sowie Tierschutzorganisationen.

www.swiss3rcc.org 

ZU DEN AUTORINNEN UND ZUM AUTOR

Timm Eugster arbeitet als Redaktor Corporate Publishing in der Abteilung Kommunikation & Marketing der Universität Bern. Er ist verantwortlich für die Themen Klima, Nachhaltigkeit und Tierversuche/3R.

Monika Kugemann ist Kommunikationsbeauftragte des ARTORG Center for Biomedical Engineering Research

Chantal Britt ist Kommunikationsbeauftragte des 3R Kompetenzzentrums Schweiz 3RCC

Oben