Aarewasser gegen die Stadthitze
Im Projekt «Urban Climate Bern» untersuchen Forschende die Folgen von Hitzewellen für Bern. Die Klimawissenschaftlerinnen und -wissenschaftler arbeiten dabei eng mit der Praxis zusammen. Zum Beispiel mit den Verantwortlichen für den öffentlichen Grünraum, Stadtgrün Bern und Energie Wasser Bern.
Der Gedanke tönt spektakulär: Mit einem Leitungsnetz kühles Aarewasser quer durch die Stadt transportieren – dorthin, wo in Bern künftig viel Kälteenergie gebraucht wird. Diese Idee könnte durchaus Realität werden, denn neben Strom und Wärme wird bei Energie Wasser Bern (ewb) zunehmend auch Kälte nachgefragt. Die Lösung sollen nicht ganze Batterien von konventionellen Klimaanlagen sein. Walter Schaad, der Nachhaltigkeitsexperte von ewb, erklärt: «Wir wollen ökologische Energie bereitstellen, und das bedeutet, dass wir auch ökologische Kälteenergie liefern. Zum Beispiel aus kühlem Grund- oder Flusswasser. Wir prüfen gegenwärtig, ob wir der Aare an geeigneten Stellen Wasser entnehmen und zur Klimatisierung nutzen können.»
Gekühlt werden müssen während Hitzephasen bereits heute Gebäude, in denen vulnerable Personen leben, zum Beispiel Altersheime oder Spitäler. Aber auch Industriebetriebe oder der Berner Hauptbahnhof haben einen grossen Kältebedarf. Wie sich die Nachfrage künftig entwickelt, ist entscheidend dafür, welche Infrastruktur ewb bereitstellen muss.
Heute das Energiesystem der Zukunft entwickeln
Genau deshalb ist das Berner Energieversorgungsunternehmen am Projekt «Urban Climate Bern» interessiert. Die Temperaturdaten sollen als einer von verschiedenen Parametern in die Modelle einfliessen, mit denen ewb den künftigen Verbrauch an Wärme und Kälte simuliert. Dadurch soll möglich werden, das Energiesystem auf die Folgen des Klimawandels auszurichten. «Wir entwickeln das Energiesystem laufend weiter», sagt Walter Schaad, «da müssen wir sicher sein, dass auch in Zukunft noch funktioniert, was wir heute bauen.» Die Produktions- und Verteilanlagen, die der Energieversorger erstellt, werden auf einen Zeithorizont von 50 bis 80 Jahren ausgelegt. Bis dann werden bei der Energieversorgung Themen wie Klimawandel, städtische Wärmeinseln sowie heisse Tage und Nächte eine deutlich grössere Rolle spielen als heute.
«Urban Climate Bern», das die verschiedenen Mikroklimas der Stadt Bern erfasst, liefert Grundlagen für Anpassungsmassnahmen (siehe uniaktuell-Artikel «Hitzestress in der Aarestadt»). Das Forschungsprojekt des Oeschger-Zentrums für Klimaforschung der Universität Bern betreibt, verteilt über die ganze Stadt und ihre nahe Umgebung, 65 Temperatursensoren. Ende Mai ist die vierte Saison der Messkampagne angelaufen.
Klimawandel als Gesundheitsrisiko
«In der Schweiz spürt man den Klimawandel in den Städten ausgesprochen stark», erklärt der Klimawissenschaftler Moritz Burger, der im Rahmen des Projekts seine Doktorarbeit schreibt. «Typisches Beispiel sind Tropennächte. Dieses Phänomen der sehr warmen Nächte existierte in der Schweiz früher nicht. In den vergangenen Jahren aber haben wir immer mehr davon registriert. Das ist ein Problem, weil sich der Körper in der Nacht erholen sollte – vor allem während Hitzephasen.» Forschung, wie sie von «Urban Climate Bern» betrieben wird, sei wichtig, um Lösungen für diese neuen Probleme zu finden.
Nicht nur die Energie- und Wasserversorgung gilt es an die Folgen des Klimawandels anzupassen – sondern auch Grünflächen und Parkanlagen. Diese Oasen des Wohlbefindens sind an Hitzetagen für die Stadtbevölkerung zentral. «Die Berner Parkanlagen werden immer intensiver genutzt, entsprechend steigt der Nutzungsdruck», sagt Samira Neuse, Leiterin Strategische Planung bei Stadtgrün. Die verantwortliche Stelle für den öffentlichen Grünraum ist gemeinsam mit dem Tiefbauamt der Stadt Bern Partnerin bei «Urban Climate Bern» und unterstützt das Vorhaben finanziell.
Monitoring und Erfolgskontrolle
Die Projektergebnisse sind für Stadtgrün in doppelter Hinsicht wichtig: Einerseits zeigen die Temperaturdaten, wo genau in der klimatisch heterogenen Stadt die Hitzeinseln liegen, in denen die Bevölkerung in Zukunft noch vermehrt auf schattenspendende Bäume und kühlende Wasserflächen angewiesen sein wird.
«Das Forschungsprojekt wird uns auch zur Wirkungsanalyse dienen», ergänzt Samira Neuse. Vorher-Nachher-Vergleiche anhand von Temperaturmessungen sollen zeigen, was Anpassungsmassnahmen an den Klimawandel tatsächlich bringen. Zum Beispiel das Aufbrechen von versiegelten Oberflächen aus Asphalt oder Beton, die besonders stark zum sogenannten Wärmeinseleffekt beitragen: Je grösser der Anteil versiegelter Flächen in einem Gebiet ist, desto mehr Sonnenstrahlung wird absorbiert. Die Gebäude und Strassen werden somit tagsüber aufgeheizt und wirken wie eine Speicherheizung, die in der Nacht langsam Wärme abgibt.
Eine erste Probe aufs Exempel sollte schon diesen Sommer möglich sein. Die Stadt Bern plant eine Aufwertung des öffentlichen Raums beim Ansermetplatz in Bern-West. Im Rahmen dieser Massnahmen soll der Platz auch klimafreundlich umgestaltet werden. Am Standort Ansermetplatz steht auch einer der Temperaturmesssensoren von «Urban Climate Bern». Deshalb soll sich bald schwarz auf weiss belegen lassen, was Klimaanpassung im urbanen Raum leistet.
Serie Stadthitze
Uniaktuell begleitet in den kommenden Monaten in einer Serie von Beiträgen das Projekt «Urban Climate Bern». Bereits erschienen:
Oeschger-Zentrum für Klimaforschung
Das Oeschger-Zentrum für Klimaforschung (OCCR) ist eines der strategischen Zentren der Universität Bern. Es bringt Forscherinnen und Forscher aus 14 Instituten und vier Fakultäten zusammen. Das OCCR forscht interdisziplinär an vorderster Front der Klimawissenschaften. Das Oeschger-Zentrum wurde 2007 gegründet und trägt den Namen von Hans Oeschger (1927-1998), einem Pionier der modernen Klimaforschung, der in Bern tätig war.
Über den Autor
Kaspar Meuli ist Journalist und PR-Berater. Er ist verantwortlich für die Kommunikation des Oeschger-Zentrums für Klimaforschung.