«Ambitionierte Klimapolitik ist politisch machbar»

Eine konsequente Klimapolitik verliert an Zustimmung, wenn persönliche Verhaltensänderungen gefragt sind, zeigt eine Studie unter Leitung des Berner Politologen Lukas Fesenfeld. Zugleich macht sie deutlich, wie sich beim Thema Klimaerwärmung die Kluft zwischen Wissen und Handeln überbrücken lässt.

Interview: Kaspar Meuli 16. April 2021

Der Politologe Dr. Lukas Fesenfeld ist PostDoc am Oeschger-Zentrum für Klimaforschung (OCCR) und am Institut für Politikwissenschaft (IPW) der Universität Bern. © zvg
Der Politologe Dr. Lukas Fesenfeld ist PostDoc am Oeschger-Zentrum für Klimaforschung (OCCR) und am Institut für Politikwissenschaft (IPW) der Universität Bern. © zvg
Ihre Resultate zeigen: Wer die Klimaerwärmung als dringendes Problem wahrnimmt, befürwortet ehrgeizige Klimaziele stärker – nicht aber konkrete politische Massnahmen, die auf persönliche Verhaltensänderungen abzielen. Weshalb?

Lukas Fesenfeld: Einerseits werden staatliche Zielsetzungen oft eher unterstützt als konkrete Massnahmen, da sie nicht direkt die Auswirkungen auf das persönliche Leben sichtbar machen und im ersten Moment als weniger einschneidend wahrgenommen werden. Andererseits gibt es auch viele Bürger und Bürgerinnen, die nur dann zu Verhaltensänderungen bereit sind, wenn sie sich sicher sind, dass auch ihre Mitbürgerinnen und Mitbürger mitziehen. Viele Menschen fragen sich sonst, was bringt es, wenn ich alleine mein Verhalten ändere, aber alle anderen so weitermachen wie immer. Staatliche Massnahmen, die für alle gelten, können dieser Sorge entgegenwirken.

Was braucht es, damit die Menschen, die der Meinung sind, der Klimawandel sei ein dringendes Problem, auch bereit sind persönlich zu handeln?

Aus unserer Sicht geht es vor allem um die Verknüpfung von abstraktem Wissen über die Dringlichkeit des Klimawandels mit konkreten persönlichen Erfahrungen, wie etwa mit extremen Wetterereignissen, sowie mit Emotionen. Nur wenn die Menschen beim Klimawandel Denken und Fühlen zusammenbringen, ist von einer grösseren persönlichen Handlungsbereitschaft auszugehen. Zudem konnten wir in unserer Studie zeigen, dass es wichtig ist, nicht nur die Risiken des Klimawandels, sondern gleichzeitig auch konkrete und wirksame Klimaschutzlösungen zu kommunizieren – vor allem solche, die auch kurzfristiger einen sichtbaren Beitrag zur Bekämpfung der Klimakrise leisten können.

Zum Beispiel kann die Reduktion des Fleischkonsums einen schnellen und effektiven Beitrag zum Klimaschutz leisten, da die Fleischproduktion einer der Treiber für die globale Entwaldung etwa in den Tropen ist. Zudem ist er für einen grossen Anteil der globalen Methanemissionen verantwortlich. Methan ist ein kurzfristig besonders klimaschädliches Treibhausgas, und die Tropenwälder, vor allem der Amazonas, sind sogenannte Klimakipppunkte. Das bedeutet, wenn ein bestimmtes Mass an Entwaldung erreicht ist, kann sich der Klimawandel selbstständig beschleunigen.

Ausgangspunkt Ihrer Studie war der Eindruck, Politikerinnen und Politiker würden sich vor ehrgeizigeren Klimaschutzmassnahmen drücken, weil sie eine negative Reaktion der Bevölkerung fürchten. Ist diese Befürchtung mit Blick auf Ihre Resultate nun begründet oder nicht?

Verschiedene unserer Studien zeigen, dass Politikerinnen und Politiker die politischen Risiken ehrgeiziger Klimapolitik überschätzen. Die Bevölkerung ist nicht das Haupthindernis. Wenn die Politik transparent und offen kommuniziert, warum es einschneidende Massnahmen braucht, und wenn die Massnahmen so ausgestaltet sind, dass die Kosten und Vorteile geschickt kombiniert werden, gibt es eine hohe Bereitschaft in der Bevölkerung für ambitionierte Klimapolitik.

Lässt sich eine ambitionierte Klimapolitik denn nur mit Zustimmung der Bevölkerung durchsetzen?

Ja, wenn die Politik direkte Auswirkungen auf das alltägliche Leben der Menschen hat, was wirksame Massnahmen häufig haben, dann ist zumindest in Demokratien die Zustimmung oder wenigstens die Akzeptanz der Bevölkerung relevant. Selbst in Autokratien können sich Entscheidungsträger längerfristig nur schwer leisten, komplett gegen die Interessen der Bevölkerung zu agieren. Zudem wird der Umsetzungserfolg von klimapolitischen Massnahmen durch geringe Akzeptanz untergraben. Die Akzeptanz der Bevölkerung ist also zentral. Wie wir in dieser und weiteren Studien in Ländern wie China zeigen, gibt es glücklicherweise in vielen Ländern eine steigende Akzeptanz für ambitionierte Klimapolitik.

Weshalb haben Sie für Ihre Studie gerade Menschen in Deutschland und den USA befragt?

Deutschland und die USA sind zwei zentrale Akteure in der internationalen Klimapolitik. Deutschland ist zudem ein entscheidender Akteur in der europäischen Politik. Zudem tragen beide Länder erheblich zu den globalen CO2-Emissionen bei und stehen beispielhaft für industrialisierte, wohlhabende Demokratien, die eine besonders grosse Verantwortung für den Klimaschutz tragen.

Lassen sich Ihre Erkenntnisse auch auf die Schweiz übertragen?

Ich würde sagen bedingt. Zwar ähneln sich Deutschland und die Schweiz in zahlreichen Aspekten, aber es gibt natürlich auch grosse Unterschiede – zum Beispiel durch die direkte Demokratie, die Geografie und die Grösse. Nichtsdestotrotz würde ich die Prognose wagen, dass die Ergebnisse in der Schweiz nicht fundamental anders aussehen würden.

Die Schweiz stimmt im Juni über das CO2-Gesetz ab. Wie sehen Sie den Ausgang dieser Abstimmung vor dem Hintergrund Ihrer Studie?

Darüber kann ich natürlich nur spekulieren, da wir in unserer Studie nicht das voraussichtliche Abstimmungsverhalten zum CO2-Gesetz untersucht haben. Trotzdem denke ich, dass das Gesetz eine gute Chance hat, von der Schweizer Bevölkerung angenommen zu werden. Zum einen steht das Thema Klimawandel weiterhin hoch oben auf der politischen Agenda. Zum anderen konnten wir in verschiedenen Studien zeigen, dass vor allem Klimaschutzpakete, die verschiedene Massnahmen kombinieren, eine höhere Unterstützungswahrscheinlichkeit haben. Genau das macht das CO2-Gesetz.

Mit dem revidierten CO2-Gesetz wollen Bundesrat und Parlament den Treibhausgas-Ausstoss der Schweiz weiter senken. © Pixabay
Mit dem revidierten CO2-Gesetz wollen Bundesrat und Parlament den Treibhausgas-Ausstoss der Schweiz senken. © Pixabay
Sie schreiben in Ihrer Studie, dass das Bewusstsein für die Dringlichkeit mit den persönlichen Erfahrungen mit den Folgen des Klimawandels wächst. Braucht es also möglichst viele Hitzewellen und schneearme Winter, damit es in der Klimapolitik vorwärts geht?

Leider ist dies wohl so. Durch die persönlichen Erfahrungen mit Extremwetterereignissen ändert sich wahrscheinlich nicht nur die persönliche Handlungsbereitschaft, sondern auch die sozialen Normen und der öffentliche Druck, politisch zu handeln. Dabei ist auch die mediale Aufmerksamkeit für die konkreten Folgen des Klimawandels von Bedeutung. Vor allem wenn der öffentliche Druck gross ist und der Klimawandel als Thema oben auf der politischen Agenda steht, spielt die öffentliche Meinung im Vergleich zu Lobbyinteressen meist eine grössere Rolle.

Da die Bevölkerung durchaus bereit ist, ambitionierte Klimapolitik zu unterstützen, ist es zentral, dass das Klimathema oben auf der politischen Agenda steht und wahlentscheidend bleibt – darauf reagieren Politikerinnen und Politiker. Hier spielen Extremwetterereignisse und ihre klare mediale Verbindung zum Klimawandel aus meiner Sicht eine entscheidende Rolle.

Planen Sie zusätzliche Forschung zur Akzeptanz von Klimaschutzmassnahmen?

Ja, wir führen derzeit zahlreiche Studien zu dieser Frage durch. Unter anderem sind wir in der Gruppe von Professorin Karin Ingold an der Universität Bern gerade dabei, zwei umfassende Umfragen mit zentralen Vertreterinnen und Vertretern der deutschen und Schweizer Klimapolitik durchzuführen. Ziel dieser Umfragen ist es, die politische Machbarkeit ambitionierter Klimapolitik nicht nur aus öffentlicher, sondern auch aus Sicht verschiedener Interessenvertreter zu untersuchen. Zudem untersuche ich derzeit in verschiedenen Ländern gemeinsam mit anderen Forschenden die Akzeptanz für klimapolitische Massnahmen im Ernährungssektor, vor allem in Bezug auf den Fleischkonsum und die Lebensmittelverschwendung.

Literaturreferenz der Studie

Fesenfeld, L.P., Rinscheid, A. (2021). Emphasizing Urgency of Climate Change is Insufficient to Increase Policy Support. One Earth, Volume 4, Issue 3, 19 March 2021, Pages 411-424. DOI: https://doi.org/10.1016/j.oneear.2021.02.010 Free (download) access for 50 days via: https://authors.elsevier.com/a/1cmC69C%7EItuWt8

Über Lukas Fesenfeld

Dr. Lukas Fesenfeld hat an der Hertie School of Governance in Berlin einen Master in Public Policy gemacht. Danach hat er an der ETH Zürich in Internationaler Umweltpolitik und politischer Ökonomie doktoriert. Titel seiner Dissertation: «Die politische Machbarkeit einer transformativen Klimapolitik – die öffentliche Meinung über die Transformation von Ernährungs- und Transportsystemen.» Seit 2020 arbeitet der Politologe Fesenfeld als PostDoc am Oeschger-Zentrum für Klimaforschung an der Universität Bern. Er ist Teil der Forschungsgruppe Policy Analyse mit Schwerpunkt Umwelt, wo er sich unter anderem mit experimentellen Methoden zur Untersuchung von Klima- und Ernährungspolitik befasst.

 

Oeschger-Zentrum für Klimaforschung

Das Oeschger-Zentrum für Klimaforschung (OCCR) ist eines der strategischen Zentren der Universität Bern. Es bringt Forscherinnen und Forscher aus 14 Instituten und vier Fakultäten zusammen. Das OCCR forscht interdisziplinär an vorderster Front der Klimawissenschaften. Das Oeschger-Zentrum wurde 2007 gegründet und trägt den Namen von Hans Oeschger (1927-1998), einem Pionier der modernen Klimaforschung, der in Bern tätig war.

Über den Autor

Kaspar Meuli ist Journalist und PR-Berater. Er ist verantwortlich für die Kommunikation des Oeschger-Zentrums für Klimaforschung.

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