«Landdeals sind Risikofaktor für Pandemien»

Grossflächige Landdeals im Agrarsektor zerstören weiterhin Regenwälder und natürliche Lebensräume: Zu diesem Schluss kommt der neuste Bericht der Land Matrix Initiative. Das unabhängige Netzwerk warnt auch vor einem Post-Covid-Boom – und einem zunehmenden Risiko für weitere Pandemien. Im Gespräch mit Markus Giger vom Centre for Development and Environment (CDE) der Universität Bern, einem der Hauptautoren des Berichts.

Interview: Gaby Allheilig 28. September 2021

«Wir müssen die Biodiversitäts- und Klimakonventionen zusammen mit den Landfragen betrachten»: Markus Giger. Foto: CDE
«Wir müssen die Biodiversitäts- und Klimakonventionen zusammen mit den Landfragen betrachten»: Markus Giger. Foto: CDE

Markus Giger, die Land Matrix Initiative veröffentlicht jetzt zum dritten Mal einen wissenschaftlichen Bericht zu grossen, grenzüberschreitenden Landdeals im Agrarbereich. Was hat sich seit dem letzten Report von 2016 punkto Land Grabbing verändert?
Die Landdeals, die 2016 bereits getätigt waren, werden zunehmend umgesetzt. Aber der Trend zu neuen grossen, internationalen Landdeals ist in den letzten Jahren etwas abgeflacht. Das mag daran liegen, dass die Preise für die Agrarrohstoffe nicht mehr so hoch waren wie im Zeitraum von 2008 bis 2015. Allerdings besteht die Gefahr, dass sich dieser Trend wieder umkehren kann, weil die Nahrungsmittelpreise seit 2020 erneut steigen.
Hinzu kommt, dass praktisch alle Staaten im Zuge der Covid-19-Krise viel Geld in die Wirtschaft pumpen – Geld, das nach Profit sucht. Deshalb erwarten wir, dass massiv mehr Produktionsflächen aus bestehenden Deals in Betrieb genommen werden und auch neue Deals dazukommen. Einige Länder wie Indonesien, Indien und Brasilien haben schon damit begonnen, ihre Märkte vermehrt zu liberalisieren, um mehr Investoren anzulocken und die Wirtschaft anzukurbeln.

Ein Landstück in Westafrika wird für den Zuckerrohranbau bereit gemacht. Das Unternehmen, dem das Land gehört, produziert aus dem Zuckerrohr sogenannten Biotreibstoff. Foto: Patrick Bottazzi
Ein Landstück in Westafrika wird für den Zuckerrohranbau bereit gemacht. Das Unternehmen, dem das Land gehört, produziert aus dem Zuckerrohr sogenannten Biotreibstoff. Foto: Patrick Bottazzi

Die Spanne an Auswirkungen des globalen «Landrauschs» reicht von Entwaldung und Artenschwund bis hin zu Menschenrechtsverletzungen. Im Bericht schreiben Sie, die Ergebnisse der jüngsten Analyse seien ernüchternd, ja, teils alarmierend. Was ist besonders besorgniserregend?
Wir haben unsere Informationen mit wissenschaftlichen Studien über die Auswirkungen der Deals abgeglichen und daraus können wir schliessen, dass die Landdeals die Abholzung der letzten tropischen Urwälder dieser Welt weiter vorantreiben. Das wirkt sich stark auf das Klima und den Artenschwund aus und führt zu noch mehr Konkurrenz um Wasser. Derweil ist der Nutzen der Landakquisitionen im Sinn von der Schaffung permanenter Arbeitsplätze, neuer Infrastruktur, Steuereinnahmen oder Belebung der regionalen Wirtschaft meist sehr bescheiden.

Und in Sachen Transparenz – wie sieht es da aus?
Das ist alarmierend. Für über 80 Prozent der Landdeals aus unserer Datenbank gibt es immer noch keine Informationen, nicht einmal minimale. Das heisst, man kennt weder den Kaufpreis, noch die genaue Lage oder den Perimeter dieser Deals, geschweige denn Businesspläne, Umwelt- oder Sozialstudien. Weder Investoren noch Regierungen machen die Daten öffentlich – obwohl die meisten Staaten und der Privatsektor die «Freiwilligen Leitlinien für die verantwortungsvolle Verwaltung von Boden- und Landnutzungsrechten» des UN-Ausschusses für Welternährungssicherheit unterstützt haben und somit für eine transparente Abwicklung von Landdeals sorgen müssten.

Staaten, in denen Schweizer Unternehmen direkt in grosse Landdeals investieren. Quelle: Land Matrix
Staaten, in denen Schweizer Unternehmen direkt in grosse Landdeals investieren. Quelle: Land Matrix

Die Schweiz hat sich für diese Richtlinien engagiert. Weiss man denn mehr über die Agrardeals von Schweizer Unternehmen in andern Ländern?
Die Schweiz war tatsächlich sehr an diesen Richtlinien interessiert und hat aktiv an deren Formulierung mitgearbeitet. Gemäss unseren Informationen gibt es relativ wenig Schweizer Unternehmen, die direkt in solche Landakquisitionen investieren. Auf der Land Matrix Plattform sind rund 50 Schweizer Deals verzeichnet. Wir wissen aber nicht, ob ein Teil des Geldes, das beispielsweise Schweizer Banken oder Pensionskassen in die Kapitalmärkte investieren, auch in solche Landkäufe fliesst. Denn, auch das zeigen unsere Daten: Ganz generell werden viele Landkäufe über Offshore-Finanzplätze getätigt. Diese Finanzflüsse können wir nicht nachverfolgen.

Wenn es so sehr an Transparenz mangelt – was bedeutet das für die Betroffenen?
Für die lokalen Bevölkerungen hat das weitreichende Konsequenzen: Sie sind in der Regel weder über die Deals informiert noch haben sie Mitspracherechte. Wären die Landdeals transparent, könnten sie versuchen, darauf Einfluss zu nehmen, ihre Interessen und Rechte wahrzunehmen und zu verteidigen. Deshalb ist es äusserst wichtig, diese Transparenz herzustellen, bevor die Deals abgeschlossen sind.

Das sind die Zahlen

  • Die Land Matrix Datenbank hat weltweit 1865 transnationale Landdeals im Agrarbereich erfasst, die grösser als 200 Hektar sind. Das betrifft über 33 Millionen Hektar Land.
  • Zwischen 15 und 28 Millionen Hektar werden derzeit noch gar nicht für die geplante Produktion genutzt. 
  • Nur für 250 Deals liegen der Land Matrix Informationen über einen Konsultationsprozess vor – wobei es nur für 15 Prozent davon eine freie, vorherige und informierte Zustimmung der betroffenen Bevölkerung für den Deal gab. 
  • 39 Prozent der Landdeals im Agrarbereich liegen zumindest teilweise in Biodiversitäts-Hotspots.
  • 54 Prozent der in der Land Matrix Datenbank erfassten Deals sind für den Anbau von Pflanzen mit hohem Wasserverbrauch bestimmt.

In mehreren Ländern sind nicht alle grossen Deals in der Land Matrix Datenbank erfasst. 


Auffallend ist: Längst nicht alle Deals schöpfen ihre konzessionierten Flächen bisher voll aus. Woran liegt das?
Wir schätzen, dass bisher höchstens die Hälfte der 33 Millionen Hektar an bestehenden Landdeals, die in unserer Datenbank sind, in Betrieb genommen wurde. Das kann einerseits operationelle Gründe haben. Um das Land zu erschliessen und urbar zu machen, braucht es viel Kapital. Dieses ist manchmal schlicht nicht vorhanden. Deshalb werden zuerst die am besten geeigneten Landflächen in Produktion genommen. Andererseits gibt es Landkäufe mit spekulativen Absichten.

Ist also zu erwarten, dass sich die Umweltschäden nur schon wegen der Landreserven in den bestehenden Konzessionen künftig weiter massiv verschärfen werden? 
In den kommenden Jahren können mindestens noch einmal 15 Millionen Hektar in Betrieb gehen – neue Deals nicht eingerechnet. Damit ändert sich die Landnutzung. Aus Waldgebieten und traditionellen, extensiven Bewirtschaftungsformen werden Monokulturen. Es ist absehbar, dass so die CO2-Emissionen weiter steigen, die Biodiversität noch mehr geschädigt und der Wasserhaushalt zusätzlich beeinträchtigt wird.

Der Regenwald im Amazonas schwindet – weil unsere Konsummuster den Anbau in Monokulturen fördern. Bild: Wikimedia
Der Regenwald im Amazonas schwindet – weil unsere Konsummuster den Anbau in Monokulturen fördern. Bild: Wikimedia

Wichtig ist: Das ist nur ein Teil des globalen Trends. Denn die Land Matrix hat ja kein Inventar aller Landdeals dieser Welt. Landkäufe unter 200 Hektar oder lokale Investitionen bilden wir nicht umfassend ab. Gerade Länder wie Indonesien und Brasilien haben aber einen grossen Agrarbusiness-Sektor, der auch im Inland die Entwaldungen und den Anbau in Monokulturen vorantreibt. Und auch die Summe all der zahlreichen kleineren Deals ergeben zusammen grosse Flächen. Zudem: Wo wir nicht wenigstens den Namen eines Investors, eine Information über die Grösse und ungefähre Lage des Deals haben, nehmen wir die Informationen nicht auf.

Stichwort Biodiversität und CO2-Emissionen: Die Staatengemeinschaft will demnächst einmal mehr verhandeln, wie sich der Artenschwund stoppen und die Klimakrise bremsen lässt. Bleiben die Ziele der Umweltkonferenzen nicht alle Schall und Rauch, solange man nicht das System von riesigen Monokulturen, wie sie auch den Landdeals zugrunde liegen, einen Riegel schiebt?
In unserem Bericht fordern wir unter anderem, dass Landdeals, die zur weiteren Zerstörung der letzten Urwälder führen, gestoppt werden. Allerdings: Das Modell ist das eine, das Ausmass das andere. Unsere Konsummuster fördern den Anbau in Monokulturen. So dient Soja vor allem der Fleischproduktion. Wenn wir unseren Fleischkonsum nicht senken, wird es nicht möglich sein, die Expansion der Sojakulturen zu bremsen. Ein anderes Beispiel ist das Palmöl. Von dem Teil, der in die EU exportiert wird, geht rund die Hälfte in Biotreibstoffe – damit wir im Auto herumfahren können. Hier braucht es dringend ein Umdenken. Und es zeigt auch, dass wir die Biodiversitäts- und Klimakonventionen zusammen mit den Landfragen betrachten müssen.

Sie gehen in dem Bericht auch auf ein Thema ein, das erstmals im Zusammenhang mit Landdeals betrachtet wird: Das Risiko weiterer Pandemien. Machen Sie da nicht etwas auf Panik?
Unsere Analysen haben gezeigt, dass über 85 Prozent der Landdeals in Gebieten mit hoher Biodiversität, vor allem in tropischen Wäldern, stattgefunden haben. Ein Drittel liegt nahe von oder sogar innerhalb geschützter Gebiete. Spezialisten haben schon lange auf den Zusammenhang von Landnutzungsänderungen und dem Risiko, dass so neue Krankheiten entstehen können, hingewiesen. Denn durch das Vordringen des Menschen in immer entlegenere Regionen nimmt die Wahrscheinlichkeit zu, mit pathogenen Organismen in Kontakt zu gelangen.

Auch in entlegenen Gebieten und tropischen Urwäldern leben Menschen.
Solange es isolierte Bevölkerungsgruppen sind, bleiben die Auswirkungen begrenzt. Und betrachtet man nur einzelne Landdeals, mag das Risiko als nicht sehr gross erscheinen. Aber in der Masse sind sie zu einem Risikofaktor für Pandemien geworden. Zudem gibt es Untersuchungen, die nachweisen, dass gewisse Arten wie Nagetiere, Sperlingsvögel oder Fledermäuse, die zoonotische Erreger übertragen, in Monokulturen häufiger vorkommen als in naturnahen Räumen. Dies und der Handel, Konsum und die Haltung von gewissen Wildtieren steigert das Risiko von Zoonosen. Betrachten wir die immensen Kosten der Corona-Pandemie, wären die Kosten einer Politik, die den Wald weltweit besser schützt, gut angelegtes Geld. Solche systemischen Risiken werden bisher aber viel zu wenig beachtet, wenn es um die Landkäufe im Globalen Süden geht.

Landarbeiter auf einer Plantage in Laos. Bild: Peter Messerli
Landarbeiter auf einer Plantage in Laos. Bild: Peter Messerli

Was ist denn der Ausblick? Eine eigentliche Trendwende scheint sich ja nicht abzuzeichnen. 
Das hängt weitgehend von den politischen Konjunkturen ab. Mit der neuen Regierung in den USA besteht die leise Hoffnung, dass man der Umsetzung der globalen Konventionen wieder mehr Gewicht beimisst, inklusive den Richtlinien für Landnutzung.

Die Land Matrix Initiative und ihr Bericht 2021 zu Landdeals

Die Land Matrix Initiative (LMI) ist ein globales unabhängiges, wissenschaftlich gestütztes Netzwerk. Sie dokumentiert und monitoriert grenzüberschreitende Landdeals (Kauf, Pacht, Leasing) von landwirtschaftlichen Flächen von 200 Hektar und mehr. Die LMI führt eine öffentliche Datenbank und publiziert Berichte, welche die Situation grossflächiger Landdeals auswerten und einordnen. Der dritte Bericht ist soeben erschienen. Das Netzwerk ist eine Partnerschaft zwischen CDE, CIRAD, GIGA, GIZ und ILC auf globaler Ebene sowie den regionalen Partnern FUNDAPAZ, Universität Pretoria, Ecoaction und der Asian Farmers' Association for Sustainable Rural Development.

Medienmitteilung und Analytical Report III, Land Matrix (PDF, 1010KB)

Zur Autorin

Gaby Allheilig ist Kommunikationsverantwortliche beim Centre for Development and Environment (CDE) der Universität Bern.

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