«Wertschätzung motiviert Pflegekräfte in der Pandemie»

Die Wirtschaftsprofessoren Markus Arnold und Arthur Posch haben untersucht, wie sich die erste Covid-19-Welle auf das Pflegepersonal von 19 Schweizer Spitälern ausgewirkt hat. Trotz erhöhter Arbeits- und Stressbelastung stieg die Arbeitszufriedenheit der über 4'100 befragten Pflegekräfte minimal an.

«Die allgemeine Stressbelastung durch reguläre Arbeit ist im Vergleich zu 2019 ungefähr gleich geblieben. Während der ersten Pandemiewelle stieg die Stressbelastung der Pflegefachkräfte aber an», sagt Arthur Posch, Wirtschaftsprofessor an der Universität Bern und Co-Autor einer Studie über Pflegekräfte in der Pandemie. © unsplash
«Die allgemeine Stressbelastung durch reguläre Arbeit ist im Vergleich zu 2019 ungefähr gleich geblieben. Während der ersten Pandemiewelle stieg die Stressbelastung der Pflegefachkräfte aber an», sagt Arthur Posch, Wirtschaftsprofessor an der Universität Bern und Co-Autor einer Studie über Pflegekräfte in der Pandemie. © unsplash
Wie hat die erste Covid-19-Welle die Arbeitslast der Pflegefachkräfte beeinflusst? Und wie sieht es mit Stress aus?

Markus Arnold: Unsere Umfrage bei über 4‘100 Pflegefachkräften an 19 Schweizer Spitälern zeigt klar, dass die erste Covid-19-Welle die Arbeitsbelastung des Pflegepersonals in allen Abteilungen erhöht hat: Die Angestellten mussten also mehr leisten. Besonders stark war der Anstieg der Arbeitsbelastung bei Pflegefachkräften in Not- und Intensivabteilungen. Hier nahm die Arbeitsbelastung nämlich um etwa 30% zu im Vergleich zu den Umfrageergebnissen von 2019.

Arthur Posch: Die allgemeine Stressbelastung durch reguläre Arbeit ist im Vergleich zu 2019 ungefähr gleich geblieben. Unter Stressbelastung wird im Unterschied zur Arbeitsbelastung jener Stress verstanden, dem Pflegefachkräfte bedingt durch Erlebnisse und Erfahrungen während ihrer Arbeit ausgesetzt sind - wie beispielsweise einen Patienten leiden zu sehen oder den Tod eines Patienten zu erleben. Während der ersten Pandemiewelle stieg die Stressbelastung der Pflegefachkräfte aber an. Dies ist hauptsächlich auf die Covid-19-spezifische Stressbelastung zurückzuführen: Als besonders belastend gab das Pflegepersonal bei Covid-19-spezifischen Stressquellen beispielsweise die Gefahr der Übertragung von Covid-19 auf Familienangehörige sowie notwendiges Social Distancing von ihrer Familie an.

Wie steht es um die Arbeitszufriedenheit der Pflegefachkräfte nach der ersten Pandemiewelle?

Markus Arnold: Interessanterweise ist die Arbeitszufriedenheit während der ersten Covid-19-Welle im Vergleich zu 2019 minimal angestiegen, obwohl eine höhere Arbeits- und Stressbelastung die Arbeitszufriedenheit normalerweise senkt. Dies hängt vermutlich damit zusammen, dass die Pflegefachkräfte sehr viel mediale Aufmerksamkeit und öffentliche Wertschätzung erfahren haben, was sich wiederum positiv auf die Zufriedenheit auswirkt.

Die Zufriedenheit mit der Bezahlung ist aber signifikant gesunken …

Arthur Posch: Es zeigt sich, dass die verringerte Zufriedenheit mit der Bezahlung vor allem damit zu erklären ist, dass Pflegefachkräfte einer deutlich höheren Arbeits- und Stressbelastung während der ersten Pandemiewelle ausgesetzt waren. Trotz dieser höheren Belastung konnte die Bezahlung des Pflegepersonals aufgrund des Kostendrucks in Spitälern nicht oder nur ungenügend angepasst werden.

Mit welchen Covid-19-spezifischen Massnahmen war das Pflegepersonal im Spital konfrontiert?

Markus Arnold: Besonders stark haben Spitäler auf die Kommunikation von klaren Richtlinien für den Umgang mit Covid-19-Patientinnen und -Patienten und auf die Bereitstellung von ausreichenden Covid-19-Testkapazitäten für Pflegefachkräfte gesetzt. In geringerem Masse haben Krankenhäuser zusätzliche Kinderbetreuungsangebote geschaffen sowie professionelle psychologische Betreuung und Trainings für den Umgang mit Covid-19 angeboten.

Arthur Posch: Pflegefachkräfte geben zudem an, dass Führungskräfte während der ersten Covid-19-Welle verstärkt auf Regeln und Vorschriften gesetzt haben, während sie den Entscheidungsspielraum der Pflegefachkräfte bei der Ausübung der Pflegetätigkeiten im Vergleich zu 2019 eingeschränkt haben. Die Pflegefachkräfte haben diese Änderungen gut aufgenommen – sie sind sogar leicht zufriedener mit ihren Vorgesetzten als im Vorjahr.

Wie viele Pflegefachkräfte erhielten eine Belohnung für ihren Einsatz in der ersten Pandemiewelle?

Arthur Posch: Lediglich 40 Prozent der teilnehmenden Pflegefachkräfte haben eine Belohnung für ihre Arbeit erhalten. Die Art der Belohnung war dabei sehr unterschiedlich, etwa Geschenkkörbe, Gutscheine oder andere Formen der Anerkennung. Der Erhalt einer Belohnung hat sich stark positiv auf die allgemeine Arbeitszufriedenheit ausgewirkt. Interessant ist, dass für die Zufriedenheit vor allem relevant ist, ob es eine Belohnung vom Spital gab, und nicht, welchen monetären Wert diese hatte.

Trotz grösserer Herausforderungen gaben Pflegefachkräfte an, dass sie im Vergleich zum Jahr 2019 mit mehr Motivation an ihre Arbeit gehen. Wie erklären Sie sich dies?

Markus Arnold: Die Wertschätzung der Bevölkerung hat einen sehr positiven Effekt auf die Motivation. Zudem sind Pflegefachkräfte grundsätzlich eine sehr motivierte Berufsgruppe mit einer sehr hohen Bereitschaft, Patientinnen und Patienten zu helfen. Dies bekam eine zusätzliche Bedeutung während der ersten Pandemiewelle. Auch der stärkere Zusammenhalt zwischen den Pflegefachkräften im Vergleich zu 2019 hat sich positiv auf die Motivation ausgewirkt. So hat die die erste Covid-19-Welle unter Pflegefachkräften zu einer grösseren Kooperationsbereitschaft, mehr Bereitschaft, Wissen zu teilen, und einem besseren Arbeitsklima in der Abteilung geführt.

Welche Faktoren beeinflussen die Bindung von Pflegefachkräften an ihren Arbeitgeber?

Arthur Posch: Ob eine Pflegefachkraft weiterhin für ein Spital arbeiten will oder nicht, hängt von vielen Einflussfaktoren ab. So beeinflussen die Arbeitszufriedenheit und die Zufriedenheit der Pflegefachkräfte mit den Covid-19-spezifischen Massnahmen des Spitals – zum Beispiel die Bereitstellung ausreichender Covid-19-Testkapazitäten – den Verbleib am aktuellen Arbeitsplatz positiv. Eine zu hohe Stressbelastung hingegen wirkt sich negativ auf die Wahrscheinlichkeit des Verbleibs aus.

Der Mangel an Pflegepersonal wird immer grösser. Was müsste sich aus Ihrer Sicht am Arbeitsumfeld ändern, damit der Beruf wieder attraktiver wird?

Markus Arnold: Während die Realisierung einer besseren Bezahlung für Pflegefachkräfte in Spitälern kurzfristig nur sehr schwer möglich erscheint, kann durch ein aktives Personalmanagement der Beruf attraktiver gemacht werden. Konstruktive Mitarbeitendengespräche oder mehr Entscheidungsspielräume bei Pflegetätigkeiten, die das Vertrauen in die Arbeit der Pflegefachkräfte widerspiegeln, können dazu beitragen, den Beruf attraktiver zu machen. Unsere Forschung zeigt zudem, dass das Angebot von regelmässigen Weiterbildungen und die Übernahme von Weiterbildungskosten durch das Spital die Zufriedenheit von Pflegekräften erhöht. Man darf aber die Arbeits- und Stressbelastung nicht vergessen: Es sollte darüber nachgedacht werden, wie Pflegefachkräfte zukünftig entlastet werden können. Während der ersten Covid-19-Welle haben sich Pflegefachkräfte noch als sehr robust erwiesen. Diese Widerstandsfähigkeit wird aber nicht auf ewig weiterbestehen.

Welche Ergebnisse haben Sie persönlich erstaunt?

Arthur Posch: Beeindruckt hat mich die «Widerstandsfähigkeit» der Pflegefachkräfte. Dass sich ihre Motivation sogar erhöht und die allgemeine Arbeitszufriedenheit trotz der Pandemie gleichgeblieben ist, hätten wir vorab nicht erwartet. Unsere Resultate unterstreichen zudem die hohe Leistungsfähigkeit und -bereitschaft der Pflegefachkräfte. Zurzeit untersuchen wir in einem Folgeprojekt, wie es um die Belastbarkeit und Motivation des Pflegepersonals in der deutlich längeren und intensiveren zweiten Welle steht.

Markus Arnold: Pflegefachkräfte leisten nicht nur immens wichtige Arbeit für unsere Gesellschaft, sondern sind auch eine Berufsgruppe, die von grossem Interesse für die Forschung im Healthcare-Bereich ist. Um weitere Forschung auf diesem Gebiet zu fördern, haben wir den Spitalpflegereport Schweiz ins Leben gerufen – ein Forschungsprogramm, bei dem wir in enger Kooperation mit Schweizer Spitälern regelmässig die Arbeitssituation von Pflegefachkräften untersuchen.

Institut für Unternehmensrechnung und Controlling (IUC)

Das Institut für Unternehmensrechnung und Controlling befasst sich in Lehre, Forschung und Beratung mit Themen des Financial und des Managerial Accounting. Die Forschung des IUC konzentriert sich auf die Verwendung und Gestaltung von Rechnungslegungs- und Performanceinformationen für Unternehmenssteuerung und Leistungsbewertung, für die Steuerung über Anreize und für Management-Entscheidungen. Unter anderem forscht das IUC auch zur Rolle von Steuerungssystemen in den Bereichen Healthcare, Public Finance und Risikomanagement.

Über Markus Arnold

Markus Arnold ist seit 2012 Professor für Managerial Accounting in der Abteilung Managerial Accounting des Instituts für Unternehmensrechnung und Controlling sowie Institutsdirektor ebendieses. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören Performance Evaluation und Anreizgestaltung, betriebliche Budgetierungssysteme, die Berichterstattung über Corporate Social Responsibility und Steuerungssysteme sowie die Rolle von Steuerungssystemen im Healthcare Bereich.

Über Arthur Posch

Arthur Posch ist seit 2018 Assistenzprofessor für Managerial Accounting in der Abteilung Managerial Accounting des Instituts für Unternehmensrechnung und Controlling der Universität Bern. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen neben der Rolle von Steuerungssystemen im Healthcare Bereich auch das Design von Controlling- und Steuerungssystemen für Innovations- und Risikomanagementaktivitäten sowie die Frage, wie Unternehmen Ziele für ihre Mitarbeitenden setzen.

Zur Autorin

Lisa Fankhauser ist Redakteurin in der Stabsstelle Kommunikation & Marketing der Universität Bern.

Oben