Berner Astronomie feiert Doppeljubiläum

Das Astronomische Institut der Universität Bern (AIUB) lädt am 25. und 26. November zum Doppeljubiläum: 200 Jahre «Alte Sternwarte Bern» (Uraniae) und 100 Jahre AIUB. Im Interview erzählt Direktor Adrian Jäggi, wie und in welchen Bereichen das AIUB weltweit führend wurde.

Interview: Brigit Bucher 11. November 2022

Das Observatorium Zimmerwald gehört zum Astronomischen Institut der Universität Bern (AIUB) und ist eine der weltweit produktivsten Stationen für Laser-Distanzmessungen zu Satelliten © Universität Bern, Bild: Emiliano Cordelli
Das Observatorium Zimmerwald gehört zum Astronomischen Institut der Universität Bern (AIUB) und ist eine der weltweit produktivsten Stationen für Laser-Distanzmessungen zu Satelliten © Universität Bern, Bild: Emiliano Cordelli
Die einzigartige Expertise des AIUB im Gebiet der Fundamentalastronomie führt immer wieder zu internationalen Forschungskollaborationen, beispielsweise mit der ESA oder der NASA. Können Sie uns etwas darüber erzählen, inwiefern die Fundamentalastronomie für Weltraummissionen von Bedeutung ist?

Adrian Jäggi: Die Fundamentalastronomie definiert und realisiert Bezugssysteme am Himmel und auf der Erde. Prominente Anwendungen der Fundamentalastronomie sind, neben Sternkarten und Navigation, die Bestimmung von Bahnen von natürlichen Himmelsobjekten wie Planeten und Monden sowie von künstlichen Himmelsobjekten wie Satelliten und Satellitentrümmern im erdnahen Raum. Diese fundamentalastronomischen Grundlagen sind für Weltraummissionen unabdingbar, da die Flugbahnen von Raumsonden und Satelliten genaustens berechnet werden müssen. Zudem ist das AIUB an vorderster Front dabei, wenn es darum geht, Schwerefelder von Himmelskörpern, insbesondere der Erde, zu bestimmen.

Prof. Dr. Adrian Jäggi ist seit 2012 Direktor des Astronomischen Instituts der Universität Bern. Bild: zvg
Prof. Dr. Adrian Jäggi ist seit 2012 Direktor des Astronomischen Instituts der Universität Bern. Bild: zvg
Warum ist die Vermessung des Schwerefelds der Erde wichtig und welchen Forschungsbereichen nutzen die Daten?

Die Erde ist ein dynamischer Planet, der verschiedenen äusseren und inneren Prozessen unterworfen ist. Massenbewegungen im Erdinnern und an der Erdoberfläche verändern die Massenverteilung und somit auch das Schwerefeld der Erde. Ein prominentes Beispiel dafür ist das Abschmelzen der Eismassen, zum Beispiel in Grönland und der Antarktis, das durch den Klimawandel verursacht wird. Die Veränderungen des Schwerefeldes der Erde sind für die Forschung in den Bereichen Hydrologie, Klimamodellierung, Eisbeobachtung, Geodäsie, Geophysik, Ozeanographie, Atmosphäre und ganz allgemein der Umweltwissenschaften von Bedeutung.

Mit dem Observatorium Zimmerwald verfügt das AIUB über das weltweit grösste optische Observatorium zum Aufspüren von Weltraumschrott. Warum ist die Beobachtung und Katalogisierung von Weltraumschrott wichtig und was ist die grösste Herausforderung dabei?

Seit Sputnik I wurden mit über 6’250 Raketenstarts Satelliten in den Weltraum geschickt. Ausgediente Satelliten, zusammen mit ausgebrannten Oberstufen, Verschalungen, Adaptern, Bolzen, Fragmenten von Explosionen und Kollisionen et cetera, umkreisen die Erde als sogenannter Weltraumschrott, auf Englisch Space Debris). Heute sind dies eine Million Teile, die grösser als ein Zentimeter sind! Aufgrund ihrer hohen Geschwindigkeit stellen sie eine steigende Gefahr für die bemannte und die unbemannte Raumfahrt dar. Die Beobachtung, Katalogisierung und Bestimmung der Bahnen dieser Schrottteile erlaubt es erst, ihnen mit aktiven Satelliten oder den Weltraumstationen auszuweichen. Die grösste Herausforderung ist sicher, kleine Teile von 10 Zentimeter Durchmesser in Distanzen von bis zu 40'000 Kilometern zu finden und zuverlässig zu verfolgen – es ist die sprichwörtliche Suche nach der Nadel im Heuhaufen.

1956 wurde das neu gebaute Observatorium in Zimmerwald bezogen. 2018 erhielt es zwei zusätzliche Kuppeln und ist heute die weltweit grösste optische Beobachtungsstation für Weltraumschrott. © Universität Bern, Bild: Manu Friederich
1956 wurde das neu gebaute Observatorium in Zimmerwald bezogen. 2018 erhielt es zwei zusätzliche Kuppeln und ist heute die weltweit grösste optische Beobachtungsstation für Weltraumschrott. © Universität Bern, Bild: Manu Friederich
Können Sie uns etwas über die Alte Sternwarte Uraniae erzählen?

Die Uraniae wurde 1822 am heutigen Standort des Gebäudes für Exakte Wissenschaften erbaut, dem ExWi an der Sidlerstrasse – exakt an dem Punkt, der später den Ursprung der Schweizerischen Landesvermessung definierte. An dieser Sternwarte wurde um die Mitte des 19. Jahrhunderts der Sonnenfleckenzyklus entdeckt. Zudem war sie eine der ersten Sternwarten überhaupt, an der selbstregistrierende meteorologische Instrumente eingesetzt wurden.

Daguerrotypie (Fotografie) der Sternwarte Uraniae von 1845. © ETH-Bibliothek, KGS-0454-0, Bild: Friedrich Andreas Gerber
Daguerrotypie (Fotografie) der Sternwarte Uraniae von 1845. © ETH-Bibliothek, KGS-0454-0, Bild: Friedrich Andreas Gerber
Zum Doppeljubiläum erscheint eine umfangreiche, reich bebilderte Festschrift. Was hat Sie im Zuge der Aufarbeitung der Geschichte des AIUB am meisten überrascht?

Das unglaublich schöne und vielfältige noch existierende Bildmaterial. Dieses wurde in mühsamer und akribischer Arbeit über mehrere Jahre aus den verschiedensten Archiven, Bibliotheken und Privatbeständen aufgespürt und zusammengetragen. Es war verblüffend, was da alles zum Vorschein kam, wenn man nur systematisch und sorgfältig danach sucht. Viele alte Fotografien sind wahre Trouvaillen. Dieses reichhaltige Bildmaterial dürfte auch für künftige wissenschaftshistorische Forschungen eine solide Grundlage bieten, zusammen mit den umfangreichen Literaturangaben, die in der Festschrift aufgeführt sind.

Wie wird sich das AIUB weiterentwickeln? Welches sind Ihre Wünsche zum Jubiläum fürs AIUB?

Das AIUB wird weiterhin bestrebt sein, die gesamte Kette zu bearbeiten: von den Messkonzepten und der Beobachtungsinfrastruktur über die Analyse- und Modellierungsmethoden bis hin zur Generierung der wissenschaftlichen Resultate im Bereich der Fundamentalastronomie. Zudem wird es bestrebt sein, auf Paradigmenwechsel, die sich insbesondere durch die Entwicklung neuer Technologien ergeben, zu reagieren. Idealerweise wird es dem AIUB gelingen, auch in nah verwandte Gebiete seine Expertise verstärkt einzubringen und mit seinen wissenschaftlichen Forschungsergebnissen Beiträge zu interdisziplinären Fragestellungen zu leisten. Ich wünsche dem AIUB jedenfalls alles Gute und weiterhin viel Erfolg in Forschung und Lehre, so dass die nächste Generation in 100 Jahren wieder ein tolles Jubiläum feiern können wird.

Medienmitteilung

Zum Doppeljubiläum 200 Jahre Uraniae (Alte Sternwarte Bern) und 100 Jahre Astronomisches Institut der Universität Bern (AIUB) erschien auch eine Medienmitteilung.

Über das DOPPELJUBILÄUM: 100 JAHRE AIUB / 200 JAHRE URANIAE

Im November 2022 kann das Astronomische Institut der Universität Bern (AIUB) ein Doppeljubiläum feiern: 200 Jahre Uraniae (Alte Sternwarte) und 100 Jahre Astronomisches Institut AIUB. Am Freitag, 25. November und am Samstag, 26. November 2022 wird das Doppeljubiläum mit einem Festakt, einem wissenschaftlichen Symposium und Aktivitäten für die breite Öffentlichkeit an der Universität Bern gefeiert. Zudem erscheint eine umfangreiche Festschrift.

Über den BILDBAND «ASTRONOMIE UND GEODÄSIE IN BERN»

Das Buch erscheint anlässlich des Doppeljubiläums 200 Jahre «Alte Sternwarte Bern» und 100 Jahre «Astronomisches Institut». Es wird vom AIUB herausgegeben und erscheint am 14. November 2022. Es führt Seite für Seite auf eine «Entdeckungsreise» durch die Geschichte der Astronomie und Geodäsie in Bern. Insbesondere bietet diese einmalige Dokumentation ein reichhaltiges Bild- und Quellen-Material. Ca. 400 Seiten, Grossformat, gebunden, vollfarbig, Verlag Haupt Bern

ÜBER DAS ASTRONOMISCHE INSTITUT DER UNIVERSITÄT BERN

Astronomie wurde in Bern als Disziplin in Verbindung mit der Erdvermessung mit dem Bau der Sternwarte «Uraniae» im Jahr 1822 institutionalisiert. Mit der Gründung der Muesmatt Sternwarte und des Astronomischen Instituts AIUB im Jahr 1922 rückten die beobachtende und praktische Astronomie sowie vor allem die Bahnbestimmung von Himmelsobjekten nach einer Phase rein theoretischer Behandlung wieder ins Zentrum.

Wegen der städtischen Lichtverschmutzung bot sich der höher gelegene Standort Zimmerwald für den Bau eines neuen Observatoriums an. Dieses konnte 1956 bezogen und mit dem neuen Teleskop Supernovae, Kleinplaneten und Kometen gesucht und beobachtet werden. Seit 1964 hat sich das Observatorium Zimmerwald mit seinen optischen Beobachtungen sowie mit Laser-Distanzmessungen als Satellitenbeobachtungsstation etabliert. 2018 wurde das Observatorium mit zwei zusätzlichen Kuppeln schliesslich zur weltweit grössten Beobachtungsstation von Weltraumschrott ausgebaut.

Das AIUB nimmt aber insbesondere auch in der sogenannten Satellitengeodäsie, der Erdvermessung mittels Satelliten, global eine Spitzenposition ein. So wurde in Bern die Bernese GNSS Software entwickelt, ein wissenschaftliches Programmpaket zur hochpräzisen Auswertung von Daten globaler Satellitennavigationssystemen GNSS wie GPS oder GLONASS. Heute ist diese Software an über 700 Institutionen installiert. Zudem ist das Center for Orbit Determination in Europe CODE und der Combination Service for Time-variable Gravity Fields COST-G in Bern angesiedelt, die als Analysezentren operationell die Daten sämtlicher GNSS und Schwerefeldmissionen auswerten und damit wichtige Grundlagen zum Studium des Systems Erde liefern.

ÜBER ADRIAN JÄGGI

Adrian Jäggi ist seit 2012 Direktor des Astronomischen Instituts der Universität Bern. Nach dem Studium der Astronomie an der Universität Bern war er als Carl von Linde Fellow am Institute for Advanced Study an der Technischen Universität München tätig. Seit 2009 ist er zurück an der Universität Bern, erst als wissenschaftlicher Leiter der Satellite Laser Ranging Aktivitäten in Zimmerwald und seit 2012 als Direktor des Astronomischen Instituts. Der Schwerpunkt seiner Forschung liegt auf der präzisen Bahnbestimmung künstlicher Satelliten und der damit verbundenen Bestimmung geophysikalisch relevanter Parameter wie z.B. dem Schwerefeld der Erde.

Kontakt

Prof. Dr. Adrian Jäggi
Astronomisches Institut der Universität Bern (AIUB)
Telefon direkt: +41 31 684 85 96
Email: adrian.jaeggi@aiub.unibe.ch

Über die Autorin

Brigit Bucher arbeitet als Leiterin Media Relations und ist Themenverantwortliche «Space» in der Abteilung Kommunikation & Marketing an der Universität Bern.

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