Die Anwältin der rätselhaften astronomischen Objekte
Braune Zwerge sind rätselhafte astronomische Objekte, die schwerer und heisser als Planeten, aber leichter und kälter als Sterne sind. Einem Forschungsteam unter der Leitung von Clémence Fontanive von der Universität Bern ist es kürzlich gelungen, vier neue dieser rätselhaften Himmelskörper direkt abzubilden. Im Interview erklärt die Astrophysikerin, warum Braune Zwerge für unser Verständnis von Sternen und Planeten wichtig sind.
«uniaktuell»: Woher kommt Deine Faszination für Braune Zwerge, Objekte, die zwischen Sternen und Planeten angesiedelt sind?Clémence Fontanive: Bevor ich mich für mein PhD-Projekt bewarb, hatte ich noch nie von Braunen Zwergen gehört. Mit meiner Betreuerin verstand ich mich auf Anhieb, und sie hat mir das Projekt wirklich gut verkauft. Je mehr ich über die Braunen Zwerge erfuhr, desto interessanter und faszinierender fand ich sie. Braune Zwerge sind sehr seltsame Objekte, und ich werde definitiv nicht arbeitslos, wenn ich weiter über sie forsche. Jedes Mal, wenn wir einen neuen Braunen Zwerg finden, wirft das neue Fragen auf, denn jede neue Entdeckung ist genauso geheimnisvoll wie die vorherigen.
Kannst Du kurz erläutern, wie die Entdeckung von vier neuen Braunen Zwergen um Sterne, die Dir und dem Team kürzlich gelungen ist, einzuschätzen ist?99% der exoplanetaren Forschung erfolgt indirekt, zum Beispiel wenn Forschende den Anteil des Lichts eines Sterns analysieren, der abgeschwächt wird, wenn ein Planet vor diesem Stern vorbeizieht. Die direkte Bildgebung hingegen ermöglicht es uns, Fotos von Riesenplaneten oder Braunen Zwergen selbst zu machen, wodurch wir ihre Atmosphären sehr detailliert untersuchen können. Leider ist dies nur schwer möglich, und in fast drei Jahrzehnten der Suche konnten nur wenige Planeten und etwa 40 Braune Zwerge um Sterne herum direkt abgebildet werden. Wir haben eine neue Forschungsstrategie entwickelt und konnten damit vier neue Braune Zwerge abbilden, indem wir nur 25 sorgfältig ausgewählte Sterne betrachteten, bei denen wir zuvor festgestellt hatten, dass sie wahrscheinlich verborgene Begleiter haben. Anschließend konnten wir die vier neuen Braunen Zwerge mit dem Very Large Telescope der ESO in Chile fotografieren, und diese Systeme werden für die Untersuchung der Entstehung und der Atmosphären von Riesenplaneten von entscheidender Bedeutung sein.
Macht Dich das nun zur Königin der Braunen Zwerge?Ich weiß nicht, ob das ein offizieller Titel ist, aber es ist auf jeden Fall ein Schritt nach vorn. Wir sind nicht das einzige Team, das diese Art von Forschung betreibt und eine Vorauswahl von Zielen auf der Grundlage zusätzlicher Informationen der ESA-Weltraumsonde Gaia trifft. Aber wir sind die ersten, die diese Studie als vollständige Übersicht veröffentlichen, d. h. wir zeigen genau, wie viele Sterne wir untersucht und wie viele Begleiter wir gefunden haben. Es ist ein enormer Fortschritt in der Entdeckungsrate im Vergleich zu früheren bildgebenden Untersuchungen, bei denen die Forschenden wahllos Sterne untersuchten, ohne eine Vorauswahl zu treffen.
Es wird viel mehr über Planeten geforscht als über braune Zwerge.Ich denke definitiv, dass Braune Zwerge unterschätzt werden. Wir kennen in etwa so viele Braune Zwerge wie Exoplaneten: Bisher wurden 4’000 bis 5’000 Braune Zwerge entdeckt, wenn man all jene mitzählt, die mit anderen Methoden gefunden wurden als mit der direkten Bildgebung, und jene, die allein im Weltraum treiben. Die erste Entdeckung eines Braunen Zwerges wurde 1995 bekannt gegeben – im selben Jahr und auf derselben Konferenz, auf der auch die erste Entdeckung eines Exoplaneten gemeldet wurde. Es gibt also diese beiden grossen Felder der Exoplaneten und der Braunen Zwerge, die, was die Entdeckungen betrifft, parallel gewachsen sind. Aber aus irgendeinem Grund wissen alle, was ein Planet ist, und Exoplaneten machen ständig Schlagzeilen, während weit weniger Forschende sich mit Braunen Zwergen beschäftigen und die meisten Menschen keine Ahnung haben, was sie sind.
Glaubst Du, dass es daran liegt, dass wir auf einem Planeten und nicht auf einem Braunen Zwerg leben? Und warum ist die Erforschung von Braunen Zwergen überhaupt wichtig?Braune Zwerge gibt es überall im Universum, ausser in unserem eigenen Sonnensystem, das ist also eindeutig ein Teil des Problems. Sie könnten fast so häufig sein wie Sterne, und meiner Meinung nach sind sie ebenso interessant und wertvoll für das Verständnis von Planeten- und Sternenpopulationen. Die kleinsten Braunen Zwerge sind mit Riesenplaneten vergleichbar, die um Sterne kreisen, und werden oft zur Untersuchung von Planetenatmosphären verwendet, da sie leichter zu entdecken sind, während die massereicheren Zwerge den Sternen ähneln und sogar Planeten beherbergen können. Wenn die Modelle über die Entstehung und Entwicklung von Planeten und Sternen nicht erklären können, wie Braune Zwerge entstanden sind, gibt es ein Problem mit diesen Modellen, denn wir wissen, dass Braune Zwerge entweder aus denselben Entstehungsmechanismen wie Sterne oder aus denselben Prozessen wie Planeten hervorgehen. Es macht keinen Sinn zu behaupten, dass wir wissen, woher das Sonnensystem stammt, wenn die Entstehungsmechanismen, die den Ursprung unserer Sonne und Planeten und der anderen Sterne und Exoplanetensystemen erklären, nicht in der Lage sind, auch die beobachteten Populationen Brauner Zwerge zu reproduzieren. Braune Zwerge sind also so etwas wie ein fehlendes Glied, das benötigt wird, um unser Wissen über Sterne und Planeten zu verbessern und zu bestätigen. Da sie meiner Meinung nach nicht die Aufmerksamkeit erhalten, die sie verdienen, habe ich mich zur Anwältin für Braune Zwerge gemacht, sowohl in der wissenschaftlichen Gemeinschaft als auch in der Öffentlichkeit.
Viele Astrophysikerinnen und Astrophysiker erzählen mir von ihrer Faszination für das Universum, die sie schon als Kinder hatten. Was wolltest Du als Kind werden?Ich war schon als Kind sehr neugierig auf das Universum. Ich wollte immer verstehen, wie die Dinge funktionieren, und brauchte für alles eine Erklärung. In dieser Hinsicht war ich immer sehr wissenschaftlich orientiert. Mein Vater war ein begeisterter Astronomie-Amateur und hat mich schon sehr früh damit vertraut gemacht. Aber erst als ich mit dem Studium begonnen hatte, dachte ich an die Forschung als Beruf.
Du hast kürzlich einen witzigen und leicht verständlichen Twitter-Thread über die Studie veröffentlicht, in der die Entdeckung der vier Braunen Zwerge beschrieben wurde. Warum ist es Deiner Meinung nach wichtig, der Wissenschaft in den sozialen Medien einen Platz zu geben?Ich habe vor zwei Jahren angefangen mit Twittern, als die letzte Medienmitteilung über eine meiner Studien veröffentlicht wurde. Ich denke, soziale Medien sind eine einfache Plattform für die Wissenschaftskommunikation. Es dauert ein bisschen, bis man Follower hat, aber der Inhalt ist für alle sichtbar. Für mich besteht der Hauptgrund, in den sozialen Medien aktiv zu sein, darin, die Sichtbarkeit von Frauen in der Wissenschaft zu erhöhen, da sie immer noch unterrepräsentiert sind. Das ist auch der Grund, warum ich eine Karriere in der Astronomie nicht in Betracht gezogen habe, als ich jung war. Ich hatte keine Vorbilder. Alle Wissenschaftler, die ich sah, waren alte Männer mit Bärten. Ich hoffe, dass ich mit meinen Postings über die Wissenschaft in den sozialen Medien ein paar mehr Mädchen ermutigen kann, eine wissenschaftliche Laufbahn in Betracht zu ziehen.
Medienmitteilung
Eine bahnbrechende Anzahl von Braunen Zwergen entdeckt
Braune Zwerge, geheimnisvolle Objekte, die sich an der Grenze zwischen Sternen und Planeten befinden, sind für unser Verständnis von Stern- und Planetenpopulationen von entscheidender Bedeutung. Allerdings konnten in fast drei Jahrzehnten der Suche nur 40 Braune Zwerge um Sterne abgebildet werden. Ein internationales Team unter der Leitung von Forschenden der Open University und der Universität Bern hat dank einer neuen innovativen Suchmethode vier neue Braune Zwerge direkt abgebildet.
Zur Person
Clémence Fontanive ist seit drei Jahren unabhängige Forschungsstipendiatin am Center for Space and Habitability der Universität Bern. Nach ihrem Physikstudium am Imperial College London in England promovierte sie in Astronomie an der Universität Edinburgh in Schottland, wo sie boden- und weltraumgestützte Teleskope einsetzte, um die Entstehung und die Eigenschaften von Braunen Zwergen und Riesenplaneten zu verstehen. Als Postdoktorandin in Bern erforschte sie weiterhin die Populationen Brauner Zwerge, sowohl als Einzelgänger-Objekte als auch als Begleiter von Sternen, mit besonderem Schwerpunkt auf der Entwicklung neuer Methoden zur Verbesserung unseres Verständnisses von Braunen Zwergen und ihrer Verbindung zu Sternen und Planeten. Seit ihrem Umzug in die Schweiz leitete sie ein Team, das ein extremes System zweier planetenähnlicher Brauner Zwerge in einem ungewöhnlichen Doppelsternsystem entdeckte und erfolgreich Beobachtungszeit mit dem Hubble-Weltraumteleskop erhielt, um die Entfernungen zu messen und die Atmosphären der kältesten isolierten Braunen Zwerge zu untersuchen.
Kontakt:
Dr. Clémence Fontanive
Center for Space and Habitability (CSH) und NFS PlanetS, Universität Bern
T: +41 31 684 33 13
Email: clemence.fontanive@unibe.ch
BERNER WELTRAUMFORSCHUNG: SEIT DER ERSTEN MONDLANDUNG AN DER WELTSPITZE
Als am 21. Juli 1969 Buzz Aldrin als zweiter Mann aus der Mondlandefähre stieg, entrollte er als erstes das Berner Sonnenwindsegel und steckte es noch vor der amerikanischen Flagge in den Boden des Mondes. Dieses Solarwind Composition Experiment (SWC), welches von Prof. Dr. Johannes Geiss und seinem Team am Physikalischen Institut der Universität Bern geplant, gebaut, und ausgewertet wurde, war ein erster grosser Höhepunkt in der Geschichte der Berner Weltraumforschung.
Die Berner Weltraumforschung ist seit damals an der Weltspitze mit dabei: Die Universität Bern nimmt regelmässig an Weltraummissionen der grossen Weltraumorganisationen wie ESA, NASA oder JAXA teil. Mit CHEOPS teilt sich die Universität Bern die Verantwortung mit der ESA für eine ganze Mission. Zudem sind die Berner Forschenden an der Weltspitze mit dabei, wenn es etwa um Modelle und Simulationen zur Entstehung und Entwicklung von Planeten geht.
Die erfolgreiche Arbeit der Abteilung Weltraumforschung und Planetologie (WP) des Physikalischen Instituts der Universität Bern wurde durch die Gründung eines universitären Kompetenzzentrums, dem Center for Space and Habitability (CSH), gestärkt. Der Schweizer Nationalsfonds sprach der Universität Bern zudem den Nationalen Forschungsschwerpunkt (NFS) PlanetS zu, den sie gemeinsam mit der Universität Genf leitet.
Zur Autorin
Brigit Bucher arbeitet als Leiterin Media Relations in der Abteilung Kommunikation & Marketing an der Universität Bern und ist Themenverantwortliche «Space».