Berner Innovationen
Die Ernährungsrevolution hat begonnen
Was wir essen, ändert sich gerade fundamental. Dies zumindest ist die Überzeugung der vier Berner Trendsetter, die hier in Zusammenarbeit mit dem Forum für Universität und Gesellschaft zu Wort kommen. Mit gewagten Geschäftsideen, Pioniersinn, einem Flair fürs Tüfteln und viel Geduld verfolgen sie dasselbe Ziel: die Nahrungsmittelkette umweltverträglicher, ethischer und damit zukunftsträchtiger zu gestalten.
Kevin Schmid, BakeryBakery: Vegane Schoggibrötli
«Seit sieben Jahren ernähre ich mich vegan. Diese Ambivalenz, die ich erlebte, wenn ich Fleisch ass und nachher meinen Hund streichelte, wollte ich nicht mehr erleben. Allerdings vermisste ich bei der veganen Ernährung zusehends die Verpflegungsmöglichkeiten zwischendurch – mal ein Gipfeli oder Schoggibrötli zum Znüni. Ich bin gelernter Koch und begann deshalb vor drei Jahren zusammen mit einem Bäcker, Rezepte für vegane Backwaren zu entwickeln. Die Butter ersetzen wir durch Nussfett, für den Buttergeschmack gibt es natürliches Butteraroma, das man dem Teig beimischt. Als Ei-Ersatz eignen sich Apfelmus, Banane oder auch Linsen. Statt Eiweiss kann man Wasser aufschlagen, in dem Kichererbsen quollen. Sowieso kein Problem ist, Kuhmilch etwa durch Hafermilch zu ersetzen. Die Herstellungsprozesse der veganen Backwaren unterscheiden sich allerdings von den herkömmlichen, so etwa die Backtemperatur. Vor drei Jahren zogen wir mit einem Pop-up-Laden in die Gelateria di Berna. Ein Jahr später konnte ich mir den Wunsch nach einem eigenen Laden mitsamt Backstube erfüllen, indem ich den Mutzenbeck im Breitenrainquartier übernahm. Heute betreiben wir zwei Läden in Bern und einen in Zürich. Mit einer Tiefkühllinie beliefern wir zudem die Gastronomie: Aufbackwaren verursachen weniger Foodwaste. Ich bin überzeugt, dass die Zukunft neue Ernährungsformen bringt. Von Ersatzprodukten hingegen, etwa für Fleisch, wird man wegkommen.»
Assi Grunder, New Roots: Käse ohne Kuhmilch
«Für unsere Ernährung sollten wir keine Tiere mehr ausnutzen. Der CO2-Ausstoss, die Hormone und Medikamente im Futter, die Abholzung von Regenwald für die Futtermittelproduktion – all das macht keinen Sinn. Vielen Menschen fällt eine vegane Ernährung aber schwer, weil sie auf Käse und andere Milchprodukte verzichten müssen. Deshalb haben wir 2015 damit begonnen, nach Möglichkeiten zu suchen, wie man Käse ohne Kuhmilch erzeugen kann. Statt tierischer Milch verwenden wir Milch aus Cashewnüssen, anschliessend verläuft die Produktion wie bei herkömmlichem Käse. Der Ertrag im Verhältnis zur Menge der verwendeten Inhaltsstoffe ist ungleich höher: Ein halber Liter Milch aus Cashewnüssen ergibt ein Kilo Käse, hingegen braucht es für dieselbe Menge acht bis zwölf Liter Kuhmilch. Die Cashews beziehen wir aus fairem Anbau in Burkina Faso und Vietnam. Seit diesem Jahr verwenden wir allerdings weniger Nüsse. Wir möchten in Zukunft vermehrt mit Rohstoffen – zum Beispiel Kichererbsen oder Lupinen – aus lokalem Anbau arbeiten. Unser Ersatz scheint auch Nichtveganerinnen und -veganern gut zu schmecken: Fast 95 Prozent unserer Kundschaft isst flexitarisch, ernährt sich also sowohl vegan als auch mit tierischen Produkten. Ich bin überzeugt, dass wir daran sind, die neuen Traditionen der Zukunft zu schaffen, und wünsche mir, dass bis in 50 Jahren mehr vegane als nicht vegane Produkte im Kühlregal stehen.»
Christian Bärtsch, Essento: Protein aus Biomehlwürmern
«Im aargauischen Endingen betreiben wir die weltweit erste biologisch zertifizierte Insektenfarm. Denn es macht Sinn, unseren Speisezettel mit Zutaten aus Insekten zu ergänzen. Sie liefern uns wertvolle Nährstoffe wie Vitamin B12, Mineralstoffe und hochwertige Proteine. Die Aufzucht der Insekten ist im Kreislauf unseres Ernährungssystems einfach möglich. Denn wir verfüttern die Seitenströme der Nahrungsproduktion, etwa von Getreidemühlen oder aus der Zuckerproduktion. Die Ausscheidungen der Insekten wiederum dienen in der Landwirtschaft als Dünger. Wir rechnen so bis ins Jahr 2030 mit dem Upcycling von 2000 Tonnen Seitenströme der Nahrungsmittelproduktion. Vor fünf Jahren sind wir mit zwei Produkten gestartet, einem Hamburger und Falafelbällchen aus gemahlenen Biomehlwürmern. Mittlerweile können wir mehr als acht verschiedene Produkte anbieten, darunter Knuspersnacks und Proteinriegel. Verkauft werden die Artikel unter anderem bei Coop. Um überhaupt produzieren zu können, mussten wir eine Gesetzesänderung erwirken und haben dafür viel Lobbyarbeit betrieben. Seit Mai 2017 ist die Schweiz das erste westliche Land, das dauerhaft drei Insektenarten als Lebensmittel zugelassen hat – Mehlwürmer, Grillen und Heuschrecken. Es braucht heute eine gesellschaftliche Diskussion darüber, wie wir uns sinnvoll ernähren – und es braucht schmackhafte Produkte. Mein Favorit ist unser Hamburger. Mit frischem Salat und eingelegten Zwiebeln ergibt das eine hervorragende Mahlzeit.»
Karin Spori, foodwaste.ch: Essen retten
«Vereinfacht gesagt entstand unser Verein beim Kauf eines Gipfelis und zwei Masterarbeiten: Gründungsmitglied Claudio Beretta stand in seiner Lieblingsbäckerei und sah, wie nicht verkaufte Waren entsorgt wurden. Er fragte sich, wie gross wohl die Masse aller weggeworfenen Lebensmittel in der Schweiz ist und machte das Thema im Rahmen seines ETH-Studiums in Umweltnaturwissenschaften zu seiner Masterarbeit. Dadurch lernte er João Almeida kennen, der an der Uni Basel ebenfalls für seine Masterarbeit zum Thema Lebensmittelverschwendung forschte. Vor zehn Jahren gründeten sie den Verein foodwaste.ch, und 2017 trat ich hinzu. Wir informieren, sensibilisieren und aktivieren die Schweizer Bevölkerung, damit sie Lebensmitteln mehr Wertschätzung entgegenbringt. Heute werden hierzulande pro Jahr 2,8 Millionen Tonnen Lebensmittel verschwendet. Der Bund möchte diese Zahl bis 2030 halbieren. Ein Drittel der Lebensmittelverschwendung in der Schweiz wird von den Konsumentinnen und Konsumenten verursacht. Dieser Anteil wiegt für die Umwelt besonders schwer, weil das weggeworfene Essen bereits die gesamte Produktionskette durchlaufen und dadurch besonders viele Ressourcen unnötig verbraucht hat. Mit unseren Workshops – etwa Kursen fürs Haltbarmachen von Lebensmittelüberschüssen – möchten wir eine neue Begeisterung für die Nahrungsmittel schaffen und eine Verhaltensänderung bewirken. Um selbst etwas zu tun, lohnt es sich, die eigenen Food-Waste-Fallen zu analysieren. Ich persönlich kaufe heute weniger Brot, weil es zu häufig hart wurde.»
Forum Universität und Gesellschaft
Ernährungstrends
Karin Spori (foodwaste.ch) und Christian Bärtsch (Essento) treten am Samstag, 21. Januar 2023, im Rahmen der Veranstaltungsreihe «Ernährungstrends – zwischen Realität und Dogmen» des Forums für Universität und Gesellschaft (FUG) auf.
Über die Autorin
Julia Konstantinidis studierte an der Berner Fachhochschule Soziale Arbeit und war mehrere Jahre in diesem Bereich tätig. Nach einem Intermezzo als Reiseleiterin stieg sie 2003 mit einem Volontariat im Pressebüro Kohlenberg Basel in den Journalismus ein, wo sie noch heute tätig ist.
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