Exzellenz braucht Chancengleichheit
Exzellenz ist die Handlungsmaxime für die Wissenschaft. Die Initiative Better Science fordert eine neue Wissenschaftskultur, die es allen ermöglicht, exzellent zu arbeiten. Welche Hindernisse es gibt, und weshalb die Chancengleichheit dabei eine Schlüsselrolle spielt, wurde an einem Podium der Universität Bern diskutiert.
Forschung muss nachhaltig sein. Und sie soll gesellschaftlichen Mehrwert bringen. Eine wichtige Voraussetzung dafür ist eine Wissenschaftskultur, die es allen ermöglicht, exzellente Arbeit zu leisten. Das Bild des «idealen Forschenden als Publikationsmaschine» sei überholt, findet Dr. Julia Nentwich, Titularprofessorin Psychologie an der Universität St. Gallen.
Sie sagte dies im Rahmen eines Podiumgesprächs mit dem Titel «Gute Wissenschaftskultur als Grundlage für Exzellenz», das am 9. Juni 2022 an der Universität Bern stattgefunden hat. Julia Nentwich stellte ihr Inputreferat unter den Titel «Exzellenz braucht Chancengleichheit» und eröffnete mit der Frage: «Was müssen wir tun, um die Wissenschaftskultur zu verändern?» Sie wies darauf hin, dass gewisse Kriterien die Wahl der «Besten» verhindern würden, da beispielsweise exzellente Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die Care-Arbeit leisteten, ausgeschlossen würden.
Diversität schafft Mehrwert
Zum Austausch geladen haben die Verantwortlichen des Projekts Better Science Initiative (vgl.Kasten), das auf die Probleme eines beschleunigten und kräftezehrenden Wissenschaftssystems aufmerksam macht. Sie fordern mehr Chancengleichheit, Inklusion in der Akademie und Nachhaltigkeit – mit dem Ziel: Qualität vor Quantität in der Forschung.
Am Podiumsgespräch, das von Monika Hofmann, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Interdisziplinären Zentrum für Geschlechterforschung (IZFG) der Universität Bern, moderiert wurde, ging es um die zentrale Frage, wie diese neue Wissenschaftskultur gestaltet werden soll und welche Schritte die Hochschulen und das akademische Umfeld einleiten müssen, um der gemeinsamen Vision näherzukommen. In diesem Zusammenhang spielt der Begriff «Diversität» eine wichtige Rolle, wie Dr. Laetitia Philippe, Mitglied der Geschäftsleitung des Schweizerischen Nationalfonds (SNF), ausführte: «Je vielfältiger die Forschung ist, desto spannender und bahnbrechender werden die Ideen sein, die sie hervorbringt», so ihr Statement. Der SNF arbeite deshalb an einer Verfeinerung der Bewertungsverfahren, um der Vielzahl von Gruppen und Arten von Forschung besser Rechnung tragen zu können.
Wissenschaftskultur nachhaltig entwickeln
Ein Kulturwandel braucht Zeit. Er verändert Werte, Normen, Einstellungen und Verhaltensweisen. Ein solcher Prozess schliesst nicht nur einzelne Hochschulen und Fachgebiete ein, sondern das gesamte akademische Umfeld. Prof. Dr. Hugues Abriel, Vizerektor Forschung der Universität Bern, erachtet die sogenannte DORA-Erklärung, welche die Leistungen von Forschenden nach neuen Kriterien bewertet, als wichtigen Etappe.
Zudem plädiert er dafür, dass sich alle Hochschul-Angehörigen mit dem Thema auseinandersetzen. «Es ist mir ein wichtiges Anliegen, dass wir uns an der Universität Bern in Richtung einer nachhaltigen Wissenschaftskultur entwickeln», sagte er. «Es darf nicht sein, dass Mitarbeitende krank werden oder die Universität verlassen, weil die Vorstellung einer sehr kompetitiven Akademie vorherrscht.» In einer nachhaltigen Wissenschaftskultur hätten Führungskräfte die Kompetenz und die Kapazität, ihre Mitarbeitenden zu befähigen und zu unterstützen.
Stabile Arbeitsbedingungen schaffen
Wie sich Leistungsdruck auf die Gesundheit und Karrieren von Wissenschatlerinnen und Wissenschaftlern auswirkt, weiss Dr. Lucas Müller, PostDoc am Institut für Geographie und Umwelt der Universität Genf. Er amtiert auch als Sprecher der Swiss Young Academy und hat das Projekt Ungleichheit und prekäre Arbeitsbedingungen an Schweizer Hochschulen mitgeprägt.
Er verweist auf den grossen Anteil befristeter Stellen an Universitäten und sieht dieses Element als Hindernis, um stabile Karriereperspektiven zu entwickeln. «Eine kreative, offene und faire Wissenschaftskultur beruht auf guten und stabilen Arbeitsbedingungen», so sein Votum. In einer Sache waren sich alle Podiumsteilnehmenden einig: Die Hierarchien an Hochschulen müssen aufgeweicht werden, um die angestrebten Ziele zu erreichen. Sie plädierten dafür, den Mittelbau zukünftig stärker in Entscheidungsprozesse einzubeziehen.
Den Nerv der Zeit treffen
Wenn Exzellenz auf dem unermüdlichen Streben nach Bestleistung beruht, werden bestimmte Gruppen von Forschenden aufgrund ihrer Lebens- und Arbeitsumstände benachteiligt. Chancengleichheit sei somit eine Bedingung für Exzellenz, führte Julia Nentwich am Podium aus. Die Veranstaltung hat Wege zu einer neuen Wissenschaftskultur aufgezeigt und klar gemacht, welche Bilder und Verständnisse von Exzellenz derzeit die Hochschullandschaft prägen. Einzelne Voten im Publikum lassen darauf schliessen, dass die Better Science Initiative mit ihren Inhalten und Zielen den Nerv der Zeit trifft.
Better Science
Das Projekt «Better Science Initiative» präsentiert zehn Handlungsaufforderungen und macht Vorschläge für eine neue Wissenschaftskultur. Im Zentrum steht die Verknüpfung von Exzellenz und Chancengleichheit. Forschende und akademische Führungspersonen sollen für das anspruchsvolle Arbeitsumfeld an Hochschulen sensibilisiert werden. Die Schweizer Better Science Initiative wurde 2020 an der Universität Bern lanciert. Finanziert wird das Projekt von swissuniversities, der Rektorenkonferenz der Schweizer Hochschulen, im Rahmen des Bundesprogramms Chancengleichheit. Leading House ist die Universität Bern, als Partnerhochschulen fungieren die Universitäten Genf, Luzern, St. Gallen, die Pädagogische Hochschule der Fachhochschule Nordwestschweiz und die Zürcher Hochschule der Künste.
Zur Autorin
Monika Bachmann ist freie Journalistin und selbständige Kommunikationsfachfrau.