«Flucht & Studium»: Kartograph aus Leidenschaft

Drei Jahre musste Asadullah Adib nach seiner Flucht aus Afghanistan dafür kämpfen, dass sein Bachelor-Abschluss in der Schweiz anerkannt wird. Nun möchte Adib ein Geographie-Masterstudium an der Universität Bern beginnen, wie er bei «Flucht & Studium», einer Veranstaltung der Studierendenschaft SUB, erzählte.

Von Martin Zimmermann 31. März 2022

Asadullah Adib floh aus Afghanistan, kam 2015 in die Schweiz und kann im Herbst ein Masterstudium an der Universität Bern beginnen. © Ruben Hollinger
Asadullah Adib floh aus Afghanistan, kam 2015 in die Schweiz und kann im Herbst ein Masterstudium an der Universität Bern beginnen. © Ruben Hollinger

 

Karten sind Asadullah Adibs Leidenschaft: politische Karten, geologische Karten, Landeskarten – vor allem aber topographische Karten. Schon in der Schule war ihm die Kartenkunde im Geographieunterricht am liebsten und so beschloss er, diese Passion zum Beruf zu machen. Nach der Matur nahm er zusammen mit 100'000 weiteren jungen Afghaninnen und Afghanen an einem landesweiten Examen teil und schaffte es als eine von nur 4'000 Personen, einen Studienplatz an der Kabul University zu erhalten.

2012 schloss Adib nach vier Jahren den Bachelor in Geowissenschaften ab und fand bald darauf Arbeit als Vermessungsingenieur im Strassenbau. Er half mit, das marode Strassennetz der Hauptstadt Kabul zu sanieren. Doch dann eroberten die Taliban Adibs Heimatprovinz Gazni, wo Adibs Eltern und die Familie seines Bruders lebten. «Sie bedrohten meinen Vater, sie sagten, ich müsste unverzüglich meinen Job aufgeben und nach Hause kommen», erzählt Assadullah Adib. Und er musste den Milizionären seinen Lohn abgeben, «alles, jeden Cent».

Kein Geld für Schlepper dank Karten-Kenntnissen

Adib sah bald keine Zukunft mehr in seiner Heimat: «Die Taliban hätten mich höchstens noch als Strassenhändler arbeiten lassen.» Er beschloss zu fliehen. Nach einer mehrmonatigen Reise durch den Iran, die Türkei, Griechenland und Österreich erreichte er schliesslich im September 2015 die Schweiz. Insbesondere in Europa kamen ihm bei der Routenfindung seine kartographischen Kenntnisse zugute, wie Adib erzählt: Im Gegensatz zu vielen anderen Geflüchteten habe er Karten lesen und daher kein Geld für Schmuggler bezahlen müssen.

Mit seiner Familie in Gazni steht Asadullah Adib seit seiner Flucht regelmässig in Kontakt. Seine Sorge um sie ist gross; umso mehr, seit die Taliban im August 2021 Kabul erobert haben und nun ganz Afghanistan kontrollieren. «Ich hoffe, dass ich sie bald in die Schweiz holen kann», sagt er.

Odyssee durch die Ämter

Adib kam in einer Unterkunft für Geflüchtete in Ringgenberg bei Interlaken unter, wo er die nächsten drei Jahre verbrachte und eine andere Art Odyssee begann: die Anerkennung seines Bachelor-Diploms in der Schweiz. Adib wollte weiterstudieren, um danach wieder Fuss zu fassen in seinem Beruf. Informationen, Beratungen oder auch nur Sprachkurse gab es keine in der abgeschiedenen Unterkunft. Niemand habe ihm sagen können, welche Dokumente er welchen Stellen habe schicken müssen, und so klopfte er erfolglos bei verschiedenen kantonalen und städtischen Ämtern an.

Unterstützung fand Adib schliesslich bei «Perspektiven – Studium», ein Projekt des Verbands der Schweizer Studierendenschaften (VSS), das studieninteressierte Geflüchtete berät und ihnen einen Überblick über die Schweizer Hochschullandschaft und die Anforderungen für ein Studium bietet. Mit ihrer Hilfe schickte Asadullah Adib seine Dokumente an swissuniversities. Die Dachorganisation der Schweizer Hochschulen anerkannte 2021 seinen Bachelor und vermittelte ihm zudem eine Praktikumsstelle beim Bundesamt für Landestopografie Swisstopo.

«Arbeiten und studieren sind die beste Integration»

Inzwischen hat Assadullah Adib auch eine neue Alma Mater gefunden: die Universität Bern. Im Herbst 2022 möchte er hier einen Master beginnen. Geographie natürlich, mit einem Fokus auf Kartographie. Adib hofft, nach dem Abschluss wieder zu Swisstopo zurückkehren zu können, diesmal als vollwertiger Mitarbeiter. Der 32-Jährige blickt zurück: «Die Anerkennung meines Diploms hat mich drei Jahre gekostet, deshalb wünsche ich mir sehr, dass es mit dem Master klappt.»

Adibs alte Heimat, wo eine humanitäre Krise herrscht, ist unterdessen aus dem Bewusstsein der Öffentlichkeit verschwunden. Stattdessen beherrscht der Krieg in der Ukraine die Schlagzeilen. In der Schweiz sind bereits weit über 10'000 Vertriebene angekommen. Asadullah Adib kennt die Situation, in der sich viele junge Ukrainerinnen und Ukrainer nun hierzulande befinden, gut. «Ich wünsche mir, dass sie es einfacher haben werden als ich, eine Arbeit oder einen Studienplatz zu finden. Arbeiten und Studieren sind die beste Integration.»

Über Asadullah Adib

Asadullah Adib kam 1989 im Quarabagh-Distrikt in der afghanischen Provinz Gazni südlich der Kapitale Kabul zur Welt. Er besuchte das Gymnasium und begann 2009 ein vierjähriges Bachelor-Studium in Geowissenschaften an der Kabul University. Adib arbeitete danach als Vermessungsingenieur im Strassenbau. Nachdem die Taliban Gazni erobert hatten, musste er 2015 aus Afghanistan fliehen. Seit 2018 lebt er in Bern. Aktuell besucht er einen C1-Deutschkurs. Im Herbst 2022 beginnt er ein Master-Studium in Geographie an der Universität Bern.

«Flucht & Studium»

Mit der Flucht erleben viele Menschen eine Dequalifizierung: Zwar haben sie in ihrem Herkunftsland studiert und hoffen, in der Schweiz angekommen, ihr Potenzial auch hier einbringen zu können. Dennoch bleiben Hochschulen und der qualifizierte Arbeitsmarkt schwer zugänglich. Drei Personen mit Fluchthintergrund – darunter Asadullah Adib – diskutierten Ende März am Event «Flucht & Studium» der Studierendenschaft der Universität Bern SUB über ihre Erfahrungen und die Chancen, welche durch das Studium entstehen – sowohl für die geflüchteten Personen selbst wie auch für die Gesellschaft, die sie aufnimmt.

Scholars at Risk

Die Universität Bern ist Mitglied von Scholars at Risk (SAR), ein internationales Netzwerk von Universitäten. Das Ziel von SAR ist, jene Forschende zu schützen, deren Leben, Freiheit und Wohlergehen ernsthaft bedroht sind. In Zusammenarbeit mit den Partneruniversitäten arrangiert SAR temporäre Forschungs- und Lehrpositionen an Institutionen des SAR-Netzwerkes, damit verfolgte Forschende ihre Arbeiten in Sicherheit fortführen können. SAR bietet zudem den Gastinstitutionen Beratung und Unterstützung an.

Ukraine

Zu Fragen zur Unterstützung von Forschenden aus der Ukraine wenden Sie sich bitte direkt an die Koordinationsstelle SAR UniBE.

Zum Autor

Martin Zimmermann ist freier Wissenschaftsredaktor.

Oben