Tourismusforschung
Nachhaltiger Tourismus durch soziale Innovation
Der Tourismus beeinflusst Klima, Gesellschaft und Wirtschaft. Umgekehrt bedroht der Klimawandel den klassischen Schweizer Wintertourismus. Monika Bandi Tanner, Co-Leiterin der Forschungsstelle Tourismus (CRED), plädiert dafür, nüchtern abzuklären, welche Transformation sinnvoll und machbar sind.
Nach den Beschränkungen während der Pandemie wird heute in Sachen Reisen viel nachgeholt. Macht dieser Reisehunger das im nachhaltigen Tourismus bisher Erreichte zunichte?Monika Bandi Tanner: Tatsächlich hat die Pandemie Ferien in der Nähe stark in den Fokus gerückt und die Ausrichtung auf Fernmärkte in Frage gestellt. Doch Tourismus ist ein international bedeutender Wirtschaftszweig. Zudem ist das Fernweh im modernen Menschen fest verankert. Obwohl Fluggesellschaften geschrumpft und Hotels Konkurs gegangen sind, bleibt die Nachfrage nach touristischen Leistungen gross. Die wachsende Sensibilität für nachhaltigeres Reisen ist dabei kein Selbstläufer. Denn am bequemsten ist es, wieder in den alten Trott zu verfallen.
Früher galt ein Hotel als nachhaltig, wenn es den Abfall trennte und nicht jeden Tag das Bettzeug wechselte. Ist man heute weiter?Tatsächlich wird die Nachhaltigkeit inzwischen viel breiter betrachtet. Zum einen gehören auch Menschenrechte oder Inklusion dazu, wie etwa das Hotel Dom in St. Gallen zeigt, wo psychisch beeinträchtigte Menschen beschäftigt sind. Zum andern wird kontinuierlicher und systematischer gearbeitet. Die Schweizer Jugendherbergen beispielsweise haben seit 2000 ihre Klimaemissionen um beeindruckende 60 Prozent reduziert. Beim Wintertourismus wiederum sind Energie und Wasser die Schwerpunkte, das ist auch finanziell relevant. Zentral ist aber, was in der Praxis auch umgesetzt wird.
Wie hat sich der Fokus Ihrer Forschungsstelle seit der Gründung 2012 weiterentwickelt?Als ich vor zehn Jahren hier begann, waren die Erlebnisökonomie und Qualitätsorientierung wichtig. Heute stehen soziale Innovationen als Chancen für eine nachhaltige Entwicklung im Blickfeld. Ein Beispiel ist Adelboden, wo viele Ferienwohnungen stehen, die dringend saniert werden sollten, damit sie für Gäste attraktiv bleiben. Beim Projekt «Sanieren ist die halbe Miete» bezahlt die Gemeinde die Beratung vor und während des Umbaus, wenn die Wohnung nachher während mindestens drei Jahren vermietet wird. Für die Sanierungsarbeiten wurden bevorzugt lokale Bauunternehmen beauftragt. Das zeigt, dass eine Idee aus der Bevölkerung eine neue Zusammenarbeitsform ermöglicht und gleichzeitig wirtschaftliche Impulse gibt.
Für den Wintertourismus sind Seilbahnen zentral – aber lohnen sie sich noch?
Das Thema ist bei uns ein Dauerbrenner. Ein Projekt an der Forschungsstelle Tourismus untersucht, wie weit die Wettervorhersagen einen Einfluss auf die Nachfrage nach den Leistungen von Bergbahnen haben. Eine andere Studie diskutiert die Frage, wie weit sich Investitionen in Seilbahnen lohnen, wenn gleichzeitig die Gäste immer mehr aufs Geld achten. Wir untersuchen nicht nur, wie Subventionen den Betrieb einer Seilbahn selbst beeinflussen, sondern auch, was das für die regionale Wirtschaft bedeutet. Doch wir müssen auch berücksichtigen, ob Angebote und Investitionen in der Nachbarschaft einander konkurrenzieren. Dabei hilft uns, dass wir an unserer Forschungsstelle interdisziplinär aufgestellt sind.
Gleichzeitig sinkt die Zahl der Schneetage. Erkennen die Bahnbetreiber, was auf sie zukommt?Viele Seilbahnen denken kurz- und mittelfristig und versuchen, das Tagesgeschäft zu meistern. Besonders die mittelgrossen Anlagen in den Voralpen kommen zunehmend in die Bredouille. Die explodierenden Stromkosten verschärfen das Problem. Denn die Elektrizität für die Beschneiung entspricht bei vielen Bahnen etwa der Hälfte der benötigten Energie.
Kann das gut gehen?Bei vielen nicht, nein. Die Destinationen sind diesbezüglich weitsichtiger als früher und überlegen heute schon, wie der Tourismus in 20, 30 Jahren aussehen könnte. Hier spricht man offen darüber, dass es mittelfristig im Wintersport neue Angebote braucht, von Winterwandern über Schlitteln bis zu Wellness und Genusswochen. Besonders weitsichtig macht das Scuol. Aus der früheren Schwäche der Abgelegenheit hat sich mit dem Vereinatunnel eine Stärke ergeben. Scuol ist innovativ, fokussiert auf die Nachhaltigkeit im Tourismus und profitiert natürlich auch stark von der Nähe zum Nationalpark.
Scuol kennt jeder, aber will auch jeder hin? Oder anders gefragt, machen die Gäste mit?Viele Gäste sind zwar umweltbewusster eingestellt, ihr Verhalten weicht aber meist deutlich von der Theorie ab. Wir reisen trotzdem mit dem Auto an, machen Kurzferien, buchen Heliskiing und kompensieren die Klimaemissionen unserer Reisen nicht. Es bleibt darum die Frage, wie man als verantwortungsvoller Veranstalter die Gäste anspricht. Verzicht kommt gerade beim positiv besetzten Thema Tourismus schlecht an.
Was also raten Sie?Transparenz ist schon mal wichtig. Ein Ansatz aus Deutschland macht es vor, hier berechnen mehrere Reiseanbieter und Onlineportale die CO2-Emissionen mit derselben Methode und legen sie auch offen. Das hilft den Gästen, nicht nur den Preis, sondern auch die Klimaauswirkungen zu vergleichen. Einen anderen Ansatz wählt Davos, wo Gäste und Unternehmen in einen Klimafonds einzahlen, der von der Gemeinde ergänzt wird und wieder regional in Klimaschutzmassnahmen investiert wird.
Und wo bleibt der Schweizer Tourismus angesichts des Klimawandels?Ohne Beschneiung funktioniert alpines Skifahren bei uns nicht mehr. Nach den ersten Schneefällen im Mittelland, also im November und Dezember, wollen alle auf die Bretter – aber dann wären viele Pisten ohne Kunstschnee noch nicht bereit. Wintertourismus wird deshalb exklusiver und damit teurer werden. Hierzulande zeigen sich drei Typen von Skigebieten: Auf dem Gurten und anderswo im Unterland wird ein Kinderskilift aufgestellt, sobald es zum ersten Mal weiss ist. Das ist in erster Linie Marketing, um den Nachwuchs zu fördern, ohne gross investieren zu müssen. Die ganz grossen Gebiete wie Zermatt positionieren sich exklusiv und engagieren sich mit Klimaanpassungs- und -verminderungsmassnahmen. Schwer haben es längerfristig mittelgrosse Skigebiete ohne Gletscher. Destinationen wie Aletsch, Saanenland, Meiringen, Sörenberg oder Melchsee-Frutt werden kämpfen, solange sie können – und verpassen es womöglich, im richtigen Moment aus- und umzusteigen.
Welche Strategie schlagen Sie vor?Es besteht die Gefahr, dass die Regionalpolitik blind ist für die Folgen des Klimawandels und weiter in defizitäre Seilbahninfrastruktur investiert. Dabei gilt es, nüchtern abzuklären, welche Transformation sinnvoll und machbar ist. Auch touristische Kooperationen mit Nachbardestinationen oder anderen touristischen Teilbranchen können zu einem Erfolg beitragen, was die Regionalentwicklung als Ganzes stärkt. Dabei gilt es, Vorurteile aus dem Weg zu räumen: Kooperationen sind kein Armutszeugnis, sondern ein Gütesiegel.
Über Monika Bandi Tanner
Monika Bandi Tanner ist Co-Leiterin der Forschungsstelle Tourismus am Zentrum für Regionalentwicklung (CRED) der Universität Bern.
Über die Forschungsstelle Tourismus (CRED)
Die Forschungsstelle Tourismus ist Teil des Center for Regional Economic Development (CRED) integriert. Als interdisziplinäre Forschungsstelle befasst sie sich mit touristischen Fragestellungen mit breiter volkswirtschaftlicher Perspektive und unter Einbezug anderer relevanter Aspekte und Disziplinen. Zudem gilt sie als Anlaufstelle für Fragen der touristischen und regionalwirtschaftlichen Entwicklung sowie für angewandte Forschung und Dienstleistung. Sie fiert 2022 ihr zehnjähriges Bestehen.
Zum Autor
Pieter Poldervaart ist freier Journalist und spezialisiert auf Themen rund um Nachhaltigkeit. Er schreibt regelmässig für die Universität Bern.