«Wir schauen, wie beim Sport die Muckis wachsen»

Der Sportwissenschaftler Sascha Ketelhut lässt für die Forschung Probanden schwitzen und manchmal auch gamen. Die Ideen für seine Projekte kommen dem leidenschaftlichen Sportler oft, wenn er selbst sportlich aktiv ist.

Sascha Ketelhut untersucht, welche Trainingseffekte Videogames haben können.
Sascha Ketelhut untersucht, welche Trainingseffekte Videogames haben können. © Universität Bern, Bild: Dres Hubacher
Sascha Ketelhut, wie wurden Sie Sportwissenschaftler?

Sascha Ketelhut: Ich bin selbst ein begeisterter Sportler. Das Interesse für den Sport führte dazu, dass ich meine Leiden­schaft zum Beruf machte. Ich komme aus der Leichtathletik und stellte mir schon immer Fragen zum Training: Warum trainiert man etwas so und nicht anders? Weshalb setzen die einen auf bestimmte Trainingsinhalte und andere nicht – und was bewirken diese unter­schiedlichen Ansätze?

Können Sie solche Fragen in Ihrer Forschung untersuchen?

Ja, denn unsere Forschung ist sehr praxisorientiert. Viele Sportwissenschaftlerinnen und Sportwissenschaftler haben wie ich einen persönlichen Bezug zum Sport. Die Ideen für Forschungsprojekte entstehen deshalb oft aus der Praxis heraus. Die Teildisziplinen der Sportwissenschaft sind breit gestreut und reichen von der Sportpsychologie über die Sportpädagogik bis zur Sportmedizin. Wir beschäftigen uns mit dem Menschen, der bekanntlich ein komplexes Wesen ist. Um ihn in seiner Interaktion mit der Umwelt zu erforschen, muss man viele Dinge berücksichtigen, was einen interdisziplinären Ansatz erforderlich macht. Diese Vielfalt zwingt uns immer wieder, über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen.

Wie erheben Sie Ihre Daten?

Je nach Gebiet unterscheiden sich die Forschungsmethoden stark. Während etwa Sportpsychologen häufig mit Fragebogen arbeiten, erhebe ich im Bereich der Gesundheitswissenschaft physiologische Daten im Labor. Dabei möchte ich herausfinden, was im und mit dem Körper geschieht, wenn wir uns bewegen. Ein Gerät, das ich bei meinen Untersuchungen fast immer einsetze, ist ein Herzfrequenzsensor: Der Herzschlag ist der zentrale Indikator, um die Belastung und Beanspruchung des Körpers einzuschätzen und sichtbar zu machen.

Mit welchen Instrumenten ist Ihr Labor ausserdem bestückt?

Neben verschiedenen Sportgeräten wie Laufbändern und Fahrradergometern verfügen wir über diverse Messsysteme, um physiologische Reaktionen im Körper wie den Herzschlag, den Blutdruck, den Sauerstoffverbrauch oder den Stoffwechsel sichtbar zu machen.

Woran forschen Sie derzeit?

Unter anderem untersuche ich aktuell die Effektivität sogenannter Exergames. Das sind interaktive Videospiele, bei denen Spieler und Spielerinnen durch körperliche Aktivität das Spiel steuern. Für dieses Projekt haben wir im Labor einen sogenannten ExerCube aufgestellt. Bei diesem Spiel ist der Proband von drei Wänden umgeben, auf die ein Spielszenario projiziert wird. Während des Spiels navigiert der Spieler einen Avatar auf einem Hoverboard entlang einer virtuellen Rennstrecke und muss dabei unterschiedliche motorisch-kognitive Aufgaben ausführen, damit er verschiedene Hindernisse überwinden kann. Wir messen, was bei diesem Spiel physiologisch passiert und wie der Körper langfristig reagiert. Falls der Trainingseffekt so gross ist wie beim Ausdauertraining, wäre diese Art von körperlicher Aktivität eine Alternative für Menschen, die sich nicht für herkömmliche Sportarten wie Jogging oder Fitness interessieren.

Sie erforschen also nicht nur die Leistungen von Sportlern?

Keineswegs, ich befasse mich mit Kindern, Alten, Jungen, sportlichen Menschen und Couch-Potatoes. Als begeisterter Sportler musste ich mir für Letztere eine Sensibilität erarbeiten und akzeptieren lernen, dass sich nicht alle Menschen gerne bewegen. Erkenntnisse aus der Sportwissenschaft fliessen aber in die Gesundheits- und Bewegungsförderung ein. Mir als Wissenschaftler ist es wichtig, dass meine Forschungsresultate für die Praxis relevant sind und man aus ihnen etwas für den Umgang mit dem Körper ableiten kann. Das macht den eigentlichen Wert meiner Arbeit aus.

Können Sie Ihre Ideen an der Uni Bern gut umsetzen?

Ich bin im April 2020 als Postdoktorand an die Uni Bern gekommen. Hier kann ich meine Forschungsschwerpunkte relativ frei setzen und werde bei meinen Projekten unterstützt. Nebst der Forschung bin ich hier auch in der Lehre tätig. Während des Semesters macht diese Arbeit ungefähr mein halbes Pensum aus.

Was schätzen Sie besonders an Ihrem Forschungsgebiet?

Die Interdisziplinarität und der hohe Praxisbezug sagen mir sehr zu. Ausserdem treffe ich durch die Arbeit mit Probandinnen und Probanden auf eine Vielzahl unterschiedlicher Menschen. Gelegentlich macht die Datenerhebung mithilfe von freiwilligen Teilnehmenden 40 Prozent meiner Tätigkeit aus. Dieser intensive Kontakt ist aussergewöhnlich. Im Vergleich zu anderen Fächern gehen wir entspannt und kameradschaftlich miteinander um – wie im Sport auch.

Sascha Ketelhut konnte seine Leidenschaft, den Sport, zum Beruf machen.
Sascha Ketelhut konnte seine Leidenschaft, den Sport, zum Beruf machen. © Universität Bern, Bild: Dres Hubacher
Welche Schwierigkeiten begegnen Ihnen in Ihrem Alltag als Wissenschaftler?

Wie in anderen Disziplinen auch sind Forschungsstellen an den Unis jeweils auf einige wenige Jahre befristet. Das macht die Lebensplanung schwierig. Für die Institute bedeutet es, dass die Forscherinnen und Forscher alle paar Jahre mit ihrem Wissen an einen anderen Ort weiterziehen. Das bringt eine hohe Fluktuation mit sich, und Know-how geht verloren. Auch angesichts der aufwendigen Einarbeitungszeit ist dies schade.

Wie gehen Sie mit Niederlagen in der Karriere um?

Ich musste noch keinen grösseren Misserfolg einstecken, jedoch habe ich bereits viele kleinere Niederlagen erlebt: ein Projekt, das nicht angenommen, oder ein Paper, das nicht publiziert wurde. Da sage ich mir: «Aufstehen und weitermachen.» Durch meine Erfahrungen im Sport habe ich gelernt, mit Rückschlägen umzugehen und gestärkt daraus hervorzugehen. Ausserdem beschäftige ich mich nicht nur mit der Forschung, sondern auch mit der Lehre. Damit kann ich allfällige Niederlagen in der Forschung gut ausbalancieren.

Goldmedaillen werden in der Forschung nicht vergeben. Trotzdem: Was würden Sie als Ihren grössten Erfolg bezeichnen?

Auch hier macht die Summe vieler kleiner Erfolge meine Zufriedenheit aus. Ich hatte das Glück, dass ich immer eine Forschungsstelle gefunden habe. Ich kenne frühere Kommilitonen, die nun das Fach gewechselt haben, weil der wissenschaftliche Weg für sie nicht weiterführte. Dass es bei mir funktioniert hat, empfinde ich als Erfolg.

Konnten Sie sich vorstellen, auch eine andere Laufbahn einzuschlagen?

Ich habe mich auch für ein Medizinstudium interessiert, scheiterte aber am Numerus clausus. Hätte ich nicht Sport­wissenschaft studiert, wäre ich vielleicht als Athletiktrainer oder Bewegungstherapeut in die Praxis eingestiegen. Im Rückblick bin ich sehr zufrieden mit meiner Berufswahl. Denn ein Studium muss auch Spass machen. Das war bei mir der Fall, und meine jetzige Arbeit in der Forschung erfüllt mich.

Würden Sie Ihren Beruf weiterempfehlen?

Sowohl die Forschung als auch die Lehre sind sehr spannend. Der Beruf als Wissenschaftler ist jedoch nicht immer einfach. Nebst den genannten Planungsschwierigkeiten aufgrund befristeter Arbeitsverträge sind die Stellen für Sportwissen­schaftler rar, und die Finanzierung für Projekte ist oft ungewiss.

Wie erklären Sie einem Kind, was Sie tun?

Wir beobachten, wie die Muckis wachsen und das Herz arbeitet, wenn wir Sport treiben.

Über Sascha Ketelhut

Dr. Sascha Ketelhut arbeitet seit 2020 als Postdoktorand in der
Abteilung Gesundheitswissenschaft am Institut für Sportwissenschaft der Uni Bern.

Kontakt: sascha.ketelhut@unibe.ch

 

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