«Ich wollte etwas tun für Gleichstellung und Nachhaltigkeit»

Silvia Schroer ist seit sechs Jahren Vizerektorin Qualität der Universität Bern. Per 31. Juli übergibt sie ihr Amt an Heike Mayer. Für uniAKTUELL hat sie nochmals auf ihr Wirken als Vizerektorin zurückgeschaut.

Text: Silvia Schroer 06. Juli 2023

Bild: Universität Bern

Sechs ereignisreiche Jahre – eine Rückschau im letzten Monat, noch ohne Distanz, fällt mir da schwer. Wichtige «Erinnerungsbilder» gehen zurück auf die Phase der Einarbeitung, etwa ein grosses Treffen in Oberhofen am Thunersee mit allen damaligen Mitarbeitenden des Vizerektorats Qualität (VRQ), das meine Vorgängerin Doris Wastl-Walter organisiert hatte, damit mir die Verantwortlichen ihre Arbeitsbereiche vorstellen konnten. Ich wurde im VRQ sehr herzlich als neue Chefin aufgenommen und gleichzeitig war ich in manchem ja erst einmal «Lehrling». Ein grosser Teamgeist und gegenseitige Wertschätzung der Arbeit haben die ganze Amtszeit geprägt. 

In Erinnerung bleiben viele, viele Begegnungen mit Menschen und eine Unzahl von kleinen und grossen Projekten. Es war eine ungeheure Bereicherung, die Universität Bern – an der ich seit 1997 Professorin der Theologie bin und wo ich durchaus schon vor der Vizerektoratszeit viele fakultätsübergreifende Kontakte hatte – so nah, direkt und auf allen Ebenen zu «erleben». Fakultäten, Zentren, Zentralbereich, Studierende, Assistierende, ProfessorInnen – eine Universität ist ein Kosmos. Im Gedächtnis haften aber ebenso schwierige Zeiten und Situationen, insbesondere rund um die Corona-Monate, in die leider auch eine wichtige Phase bei der Akkreditierung der Universität fiel.  

Nicht vergessen werde ich die interne Nachricht des Rektors Anfang Juli 2018 – ich stieg in Basel aus einem ICE und hatte gerade mein Mobiltelefon wieder eingeschaltet – dass  Daniel Odermatt, den wir wenige Tage zuvor vergnügt in die Ferien verabschiedet hatten, gestorben sei. Das war furchtbar, menschlich und auch in den Nachwirkungen, weil ein Verwaltungsdirektor nicht so schnell zu ersetzen ist. 

Die grösste Herausforderung war die Akkreditierung 

Von den gestellten Aufgaben hatte die Akkreditierung der Universität, die im Jahr 2021 zu einem sehr glücklichen Schlusspunkt kam, sicher ein maximales Gewicht. Die Herausforderung war, alles zu tun, damit gute Grundlagen und eine dauerhafte Struktur geschaffen, aber natürlich auch ein gutes Ergebnis erzielt werden konnten. Da musste zunächst ein bisschen «gelüftet» und Zuversicht gestreut werden, weil es in den früheren Jahren auch frustrierende Erfahrungen mit Audits und Evaluierungen gegeben hatte.  

Wir haben vonseiten des Vizerektorats alles daran gesetzt, dass eine gesamtuniversitäre Kultur von Qualitätsentwicklung aufgebaut und ein Bewusstsein für Qualitätssicherung und -entwicklung (QSE) in allen Bereichen, bei allen Universitätsangehörigen, geschult wurde. Als Verantwortliche im Vizerektorat Qualität (und Forschung) verstanden wir uns als Lotsenboot des grossen Schiffes. Bei der nächsten Akkreditierung wird die Universität mit diesem soliden Schiff wieder volle Kraft voraus geben können.  

Grosse Fortschritte bei Gleichstellung und Chancengleichheit 

Eine Errungenschaft meiner Amtszeit ist sicher, dass das Vizerektorat Qualität in diesen Jahren zusammengewachsen ist, die drei Bereiche Qualitätsentwicklung, Nachhaltigkeit und Chancengleichheit stehen nicht mehr als Abteilungen nebeneinander, sondern sind gemeinsam unterwegs. Das ist intern ein Fortschritt und Gewinn für alle.  

«Eine Errungenschaft meiner Amtszeit ist sicher, dass das Vizerektorat Qualität ist in diesen Jahren zusammengewachsen ist.»

Silvia Schroer

Unsere Universität hat erhebliche Fortschritte bei der Absicherung von Gleichstellung und Chancengleichheit gemacht hat. Da ist viel passiert seit 2017, zum Beispiel Massnahmen zugunsten von Vereinbarkeit, gegen Diskriminierung. Als ich im Vizerektorat anfing, wurde wegen der schlechten Berufungsquoten von Professorinnen insgesamt und besonders an bestimmten Fakultäten fast wöchentlich die «Temperatur» gemessen, das öffentliche Interesse an Statistik, Zahlen und Kurven war gross. Der Fokus richtete sich dann darauf, die jungen Wissenschaftlerinnen nach dem Doktorat für eine akademische Karriere zu motivieren und auszurüsten. Das war und ist ein gemeinsames Ziel, Chefsache und Priorität aller Vizerektorate. Bedauert habe ich, dass die Universität als Gesamtinstitution sich die Initiative «Better Science» nicht auf die Fahnen geschrieben hat, obwohl soviele Institute und Personen dahinterstehen.  

«Ich bin stolz, dass sich die Universität Bern das Ziel der Klimaneutralität bis 2025 gesetzt hat.»

Silvia Schroer

Stolz bin ich auch, dass diese Universität, die seit langem so viel zur internationalen Forschung im Bereich Klima- und Umweltwissenschaften beiträgt, sich das Ziel «Klimaneutralität bis 2025» gesetzt hat. Von der Reduktion bis hin zur Frage nach konkreten Kompensationsprojekten für Emissionen tut sie alles, um dieses vernünftige Ziel zu erreichen und dann auch zu stabilisieren. Die Universität Bern hat bei der «Bildung für Nachhaltige Entwicklung» die Nase schweizweit und sogar international ziemlich weit vorn, und wir konnten die Kooperation der Berner Hochschulen hier stärken. Gern mehr erreicht hätte ich bei der operativen Umsetzung von manchen Zielen. Die Implementierung der geforderten «Doppellektion Nachhaltige Entwicklung» in den Studienprogrammen holpert auch nach 6 Jahren noch.  

Besondere Freude habe ich zudem an der Realisierung des Projekts «Kompass», einem Hochschulvorbereitungskurs für geflüchtete Studierende, der zunächst für zwei Pilotjahre mit finanzieller Unterstützung von Kanton und Staatssekretariat für Migration geplant ist und im August 2023 mit 20 Personen, vor allem aus der Ukraine und der Türkei, erstmals startet. Hier gab es eine enge Kooperation der Vizerektorate Qualität und Entwicklung. Es steht einer Universität, deren eigene Geschichte und Entwicklung auch auf den Leistungen von MigrantInnen und Geflüchteten fusst, gut an, sich für qualifizierte Geflüchtete zu engagieren. Ich freue mich, dass dieses Engagement in der ganzen Universität so stark und ausdrücklich geteilt wird. 

Mehr Frauen in der Universitätsleitung 

Wie meine Vorgängerin war ich zunächst die einzige Frau in der Universitätsleitung. Die Akzeptanz war immer gross, und ich habe es sehr geschätzt, dass Gleichstellungsthemen und -ziele nicht an mich abdelegiert wurden, sondern von allen Mitgliedern der Universitätsleitung geteilt und getragen wurden. Es gab durchaus mal divergierende Ansichten, welcher Weg zu den vereinbarten Zielen der klügere ist. Ich musste oft Geduld aufbringen, obwohl Geduld nicht zu meinen Tugenden gehört.  

«Gleichstellungsthemen wurden von allen Mitgliedern der Universitätsleitung geteilt und getragen.»

Silvia Schroer

Die Dynamik im Gremium hat sich natürlich verändert, als eine zweite Vizerektorin dazu kam. Sicher spielt es eine Rolle, wenn zwei Frauen in solchen Funktionen bei wichtigen Themen gut zusammenarbeiten und auch zusammenspannen können. Allerdings gab es mehrere personnelle Wechsel in der Universitätsleitung während meiner Amtszeit – und jeder Wechsel hatte, ob Mann oder Frau, Einfluss auf die Dynamik, die Bündniskultur, die Kommunikation, Perspektiven und Gewichtungen. Ich war vor zwei Jahren aber doch sehr froh, nicht mehr die «einzige Frau» zu sein, denn das ist eine Rolle, die ich zeitlebens in allen meinen Berufssituationen und Engagements immer wieder hatte und akzeptieren musste, die aber nicht normal und auch nicht gesund ist. Mit der Wahl meiner Nachfolgerin und der Wahl von Virginia Richter zur Rektorin ab Sommer 2024 ist zwar immer noch Luft nach oben, was die Gleichstellung innerhalb der Universitätsleitung betrifft, aber die Grundlage ist jetzt gut, auch H.I.T., das schweizweit organisierte Trainingsprogramm für Akademikerinnen, die an Führungsaufgaben interessiert sind, zeitigt deutlich Erfolge. 

Professorin,Theologin, Forscherin und Vizerektorin

In der Fakultät musste ich sehr zurückfahren, ich hatte nur noch wenige Lehrveranstaltungen und bin zur Vermeidung von Befangenheit durch die Doppelrolle aus allen fakultären Gremien ausgetreten. Da werden die Kontakte mit Studierenden und KollegInnen natürlich mit der Zeit dünner. Auch für das Sinergia-Forschungsprojekt, das ich mit Kollegen in Zürich, Bern und Tel Aviv seit 2020 und noch bis Ende dieses Jahres durchführe, für Konferenzbesuche in meinem Fachgebiet und Weiteres hätte ich gern mehr Zeit und Energie gehabt. Die «Vereinbarkeit» aller Aufgaben, nicht nur die zeitliche, war immer wieder eine Anforderung. Nach einem Tag voll Gremienarbeit, Unterlagenstudium, Begrüssungen, Eröffnungen und Anlässen und all den Emails ist der Kopf nicht mehr frei für das Lesen oder gar Schreiben von Fachliteratur, die Vorbereitung eines Vortrags oder eines Seminars. Es hat geholfen, dass ich meine Präsenzzeiten im Uni-Verwaltungsgebäude H6 als Vizerektorin auf die Nachmittage konzentriert habe. Das konnten sich alle merken. Mir war die Präsenz wichtig. Menschen sind soziale Wesen. 

«Es gab grosse Schnittstellen zwischen meinen Identitäten als Theologin und als Vizerektorin.»

Silvia Schroer

Dass die Konzeption der Vizerektorate an der Uni Bern mit 50 Stellenprozenten an der Vereinbarung von Professur und Amt festhält, finde ich trotz der hohen Belastung und manchen Engpässen gut. Eine Entkoppelung birgt Gefahren, nicht nur den Verlust von «Bodenhaftung» eines Leitungsgremiums, sondern auch für die Laufbahnentwicklung von Personen, die sich in ein solches Amt begeben. Die Möglichkeit zur Rückkehr in das Fach und die Forschung ist nach einem längeren vollständigen Abbruch der akademischen Tätigkeit nicht möglich.

Aber etwas möchte ich hier noch hervorheben. Für mich gab es grosse Schnittstellen zwischen meinen Identitäten als Theologin und als Vizerektorin. Das mag vielleicht überraschen, aber umgekehrt wäre es schlimm, wenn ich «gespalten» gewesen wäre. Ich habe mich ja beworben für das Vizerektorat, weil ich dort für Gleichstellung und Nachhaltigkeit, die mir als Staatsbürgerin und Theologin wichtig sind, konkret und universitätspolitisch etwas tun wollte. Ich wollte nochmals zu neuen Horizonten aufbrechen. Es ist ein Privileg, dazu mit fast sechzig Jahren die Möglichkeit zu bekommen, ohne alle anderen Brücken hinter sich abreissen zu müssen.

«Nur geglaubter Glaube – ohne Handeln – ist genauso verantwortungslos wie nur gewusstes Wissen und das pure Sammeln von Daten.»

Silvia Schroer

Durch die interdisziplinären Kontakte in den letzten Jahren habe ich extrem viel gelernt – und Überraschendes entdeckt, zum Beispiel die Nähe von Diskursen, die in meiner theologischen Ausbildung unter «Priorität der Orthopraxie» (gegenüber jeder Orthodoxie) eine Rolle spielten, und den aktuellen Diskussionen um den Auftrag von Wissenschaft zur Transformation. Nur geglaubter Glaube – ohne Handeln – ist genauso verantwortungslos wie nur gewusstes Wissen und das pure Sammeln von Daten. Und noch etwas: Das Einstehen für Qualität gehört zu unserer akademischen Passion. Wir haben höchste Ansprüche an uns und andere in unserem Fachgebiet. Wenn etwas «sehr gut» ist und so quittiert und anerkannt wird, motiviert das und setzt neue Kreativität frei. Das Schöpferische macht uns lebendig. Und als Bibelwissenschaftlerin verweise ich da gern auf den ersten Schöpfungsbericht im Buch Genesis – die Erschaffung der Werke Gottes wird mit einem Qualitätssiegel beglaubigt, sie waren «gut» und alles Erschaffene war insgesamt «sehr gut». Ein Qualitätssiegel ist nicht ein billiger Kleber – es bedeutet Aneignung und Identifikation mit dem, was für gut oder sehr gut befunden wird. 

Herausforderungen für die Universität in Zukunft 

Universitäten stehen unter der Vorgabe «Wachstum», die Bedeutung der Rankings oder vergleichende Angaben zu «mehr» Studierendenzahlen, «mehr» Drittmitteln spielen nach wie vor eine riesige Rolle und bergen die Gefahr einer permanenten Überhitzung und Beschleunigung, die nichts mit einem guten Wettbewerb und mit Qualität zu tun hat. Entwicklung ist unabdingbar, aber sie muss meines Erachtens auch ohne Wachstum möglich sein oder zumindest mal so durchdacht werden. Dass wir das können, haben die Corona-Semester gezeigt. In der Krise stand die Sicherung von Qualität überall auf der Prioritätenliste, obwohl viele Möglichkeiten in der Lehre, Forschung und anderem reduziert und beschränkt wurden.  

«Entwicklung ist unabdingbar, aber sie muss meines Erachtens auch ohne Wachstum möglich sein.»

Silvia Schroer

Eine Universität ist ein Haus mit herausragenden Forschungseinrichtungen und eine Denkfabrik. Es scheint mir wichtig, dass Universitäten grundsätzlich den Anspruch aufrecht halten, gesellschaftliche Entwicklungen selber mitzusteuern und nicht nur umzusetzen oder mitzuvollziehen oder dem hinterherzurennen, was andere Kräfte, wie Konzerne, Technik und Digitalisierung uns bescheren. Corona und ein Krieg in Europa – das mag aus der Sicht einer Universität «Schicksal» sein, in dessen Auswirkungen wir uns fügen, die wir mehr oder weniger gut meistern. Aber es gibt Themen und Entwicklungen, da vermisse ich bisweilen das politisch verantwortete «Nein». Universitäten, vor allem ihre Führungsstäbe, aber auch die Lehrenden dürfen sich nicht funktionalisieren lassen – denn sie werden nicht nur morgen, sondern auch in zwanzig oder hundert Jahren mitverantwortlich sein für alles, was heute unter ihrem Dach geschieht, entschieden, gefördert oder mitgemacht, gesagt oder eben nicht gesagt wurde. 

Universitäten sehen sich vor der Aufgabe, ihre etablierten, geschichtlich gewachsenen Strukturen und vieles mehr nicht nur in den Feinstrukturen, sondern auch ganz grundlegend zu prüfen. Eine einzelne Universität hat dabei beschränkte Handlungsspielräume, zum Beispiel eine Fakultät neu zu schaffen oder abzuschaffen, Forschungsschwerpunkte zu setzen. Eigentlich ist die Aufgabe – landesweit und international – eine bildungspolitische und gesamtpolitische Aufgabe. Was mir als Theologin und damit Geisteswissenschaftlerin Sorgen bereitet, ist die Frage, ob Fachgebiete, die gesellschaftlich unbestreitbar von hohem Wert und Nutzen sind, aber keine gewaltigen Summen und keine Schlagzeilen einbringen, Bestand und Unterstützung haben und vorn auf der Bühne der Wissenschaften bleiben, oder ob man ihnen nur noch Nischenplätze und das Gnadenbrot zubilligt, bis sie aufgerieben sind. Wir fördern gerade Diversität und Chancengleichheit in allen erdenklichen Bereichen – aber die Internationalisierung führt beispielsweise zu einer Reduktion von Diversität, wenn die Landessprachen in vielen Forschungsgebieten aussterben. 

Vizerektorat Qualität

Das Vizerektorat Qualität unterstützt die Angehörigen der Universität bei der Förderung der Chancengleichheit, der Verankerung der Nachhaltigen Entwicklung und der Qualitätssicherung und Qualitätsentwicklung.

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