Wirtschaftsinformatik
Wenn der Algorithmus zum Boss wird
Auf sozialen Medien können Influencer schnell und einfach viel Geld verdienen – oder? Die Wirtschaftsinformatikerin Tatjana Hödl hat untersucht, wie Plattformen das Handeln der Influencer steuern und zeigt auf, wie gross deren Abhängigkeit ist.
Tatjana Hödl, Sie beschäftigen sich in Ihrer Forschung mit dem Phänomen der Influencer auf unterschiedlichen sozialen Plattformen. Sind Sie eigentlich selbst auch Influencer?Sie meinen neben meiner Tätigkeit als Forscherin (lacht)? Nein, dazu nimmt mich die Wissenschaft zu stark ein.
Und falls das mit der Wissenschaft nicht klappen sollte?Wer weiss… (lacht). Aber im Ernst: Das wäre mir wohl zu stressig. Von den Plattformen geht ein ständiger Druck aus. Auf YouTube, beispielsweise, erscheint beim Einloggen direkt ein Fenster, das dir die Performance deines Kanals aufzeigt – und dir entsprechend Rückmeldung gibt, wenn es mal nicht besonders läuft. Ausserdem zeigen meine Forschungsergebnisse, dass da viele Spannungsfelder sind. Das wäre nichts für mich.
Welche Spannungsfelder meinen Sie?Da muss ich etwas ausholen…
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Influencer sind Nutzende auf Social-Media Plattformen, die regelmässig Inhalte hochladen. Diese Inhalte werden von anderen Nutzenden, meist als Follower bezeichnet, konsumiert. Um den Konsum dieser Inhalte kostenlos zur Verfügung stellen zu können, benötigen die Plattformbetreibenden Einnahmequellen. Meist ist das Werbung.
Die Plattformbetreibenden sind daher daran interessiert, möglichst viele Unternehmen dafür zu begeistern, Werbung auf ihrer Plattform zu schalten. Den Werbekunden ist es wiederum wichtig, möglichst genau ihre Zielgruppe zu erreichen. Die Inhalte sollten also werbefreundlich sein.
Wie lösen die Plattformbetreibenden diese Spannungsfelder?Sie nutzen dafür einerseits Algorithmen, um werbefreundliche Inhalte einem grossen Publikum anzuzeigen und beteiligen Influencer andererseits an den Werbeeinnahmen. Plattformen üben also einen gewissen Druck auf die Influencer aus.
Zur Person
Tatjana Hödl ist seit 2018 Doktorandin und Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Wirtschaftsinformatik. Nach einem Bachelor of Science in Business Administration (Vertiefung: General Management) an der ZHAW School of Management and Law, Winterthur und einem Austauschsemester im Master (Fokus: Finanzmanagement) an der University of Technology, Sydney absolvierte sie ihren Master of Science in Business Administration (Schwerpunkt: Finanzmanagement und Rechnungswesen) an der Universität Bern.
Zur Orientierung stehen ihnen die Guidelines der Plattformbetreibenden zur Verfügung, die beispielsweise übermässige Gewaltdarstellungen untersagen. Halten sie sich nicht an die Guidelines, bekommen sie weniger oder gar keine Umsatzbeteiligung und ihre Inhalte werden den Nutzenden weniger oder nicht angezeigt. Ähnlich wie bei Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind diese jedoch bewusst schwammig formuliert.
Klingt schwierig.Selbst wenn sich die Influencer an die Guidelines halten, kann es sein, dass einzelne Inhalte weniger gefördert werden als andere. Wie diese Guidelines durch den Algorithmus auslegt werden, wird Influencern nicht offengelegt. Es gibt keine Stelle, an die sich die Influencer wenden können die erklären würde, was sie richtig gemacht haben, und was sie verbessern sollten. Es ist der Algorithmus, der bestimmt, welche Inhalte erfolgreich sind und welche nicht.
«Es ist der Algorithmus, der bestimmt, welche Inhalte erfolgreich sind und welche nicht.»
Nehmen wir etwa YouTube. Es gibt gewisse Hinweise, wie der Algorithmus von YouTube funktioniert, man erhält aber nie das ganze Bild. Es wird beispielsweise angezeigt, welches Video erfolgreich war, aber nicht warum. Die Influencer können also nur mit dem Prinzip von Trial-and-Error Optimierungsversuche vornehmen. Beispielsweise, indem sie das Vorschaubild oder den Titel ändern und mithilfe der Analysemetriken vergleichen können, ob es nun besser läuft.
Ein Rezept zu finden, dauert.Genau. Doch dabei bleibt es nicht, denn die Systeme sind sehr schnelllebig: was heute gilt, gilt nicht zwingend auch am nächsten Tag. Ausserdem kann etwas, das auf einer Plattform gut funktioniert, auf einer anderen komplett durchfallen. Influencer haben meistens nur auf einer Plattform eine stabile Follower-Basis, was zu einer noch grösseren Abhängigkeit von dem jeweiligen Plattformbetreibenden führt.
Es herrscht also ein grosses Machtungleichgewicht zwischen Plattformen und Influencern.Ja. Gerade bei Influencern mit noch wenig Erfahrung und der Absicht, dies als Beruf auszuüben, ist der Druck und die Unsicherheit enorm. Die Plattformen sind sich dessen sehr bewusst und sie nutzen dies auch aus. Lancieren sie etwa neue Funktionen, müssen die Influencer diese nutzen, um weiterhin bei ihren Followern angezeigt zu werden. So zwingen die Plattformen die Influencer Features zu verwenden, die ihnen unter Umständen keinen Mehrwert bringen.
«Es ist lukrativer, Inhalte gezielt für einkommensstarke Zielgruppen zu produzieren.»
Viele Influencer versuchen, ihre Einkommensquellen durch Sponsoring und Kooperationen oder der Lancierung eigener Produkte zu diversifizieren und so auch zu stabilisieren. Es ist ausserdem sinnvoll, die Algorithmen der jeweiligen Plattformen sorgfältig zu analysieren und auf Veränderungen schnell zu reagieren.
Konkreter bitte.Um beim YouTube-Beispiel zu bleiben: Um dem Algorithmus eine passende Kategorisierung des Videos zu ermöglichen, sollte die Videobeschreibung relevante Schlagwörter enthalten. Auch ist es wichtig, in regelmässigen Abständen Inhalte zu publizieren und auf relevante Ereignisse rasch zu reagieren – dafür muss unter Umständen auch ein Urlaub abgesagt werden, wie mir einer der Befragten erzählte. Generell können sich etablierte und erfolgreiche Influencer stärker auf ihre Follower-Basis – und natürlich auf ihre Erfahrung – verlassen. Angehende Influencer sollten sich eine Nische suchen, um daraus zu wachsen. Ausserdem ist es lukrativer, Inhalte gezielt für einkommensstarke Zielgruppen zu produzieren, da die entsprechenden Werbevergütungen höher ausfallen.
Angaben zur Publikation
Hödl, T., Myrach, T. Content Creators Between Platform Control and User Autonomy, Business & Information Systems Engineering, 2023
Über das Institut für Wirtschaftsinformatik
Informationstechnik entwickelt sich mit rasanter Geschwindigkeit. Sie verändert, wie Menschen arbeiten und wie Organisationen Wert erzeugen. Das Institut für Wirtschaftsinformatik (IWI) bildet künftige Führungskräfte darin aus, das Potenzial von Informationstechnik in Organisationen zu nutzen. In Forschung und Lehre verbinden wir technologische Trends wie soziale Medien, Big Data, Cloud Computing und Software-Ökosysteme mit Kernthemen der Wirtschaftsinformatik wie E-Business, globale IT-Beschaffung, Prozessmanagement und Wissensmanagement. Wir nutzen innovative Lehrmethoden und publizieren unsere Forschung in führenden Fachzeitschriften.