Schlafforschung
Den Rätseln des Schlafes auf der Spur
Mattia Aime vom Department for BioMedical Research hat entdeckt, wie Schlaf dazu beiträgt, Emotionen zu verarbeiten. Dafür erhält er einen Pfizer Forschungspreis, einen der renommiertesten Medizin-Preise der Schweiz.
Mattia Aime, wie sind Emotionen mit Schlaf verbunden?Emotionen sind für unser Überleben wichtig. Zum Beispiel müssen Tiere in der Natur bei auffälligen Signalen eine Emotion empfinden, in diesem Fall Angst, und fliehen. Dies ist also eine Art «Verknüpfung», die es den Tieren ermöglicht, auf auffällige Signale aus der Umwelt sinnvoll zu reagieren. Diese Verknüpfung wird als Gedächtnisinhalt im Gehirn abgespeichert. Im Schlaf sortiert das Gehirn dann die Emotionen, unter anderem um zu verhindern, dass traumatische Erinnerungen sich im Gehirn verfestigen und somit falsche Reaktionen auslösen, wie übermässige Angst auch in sicheren Situationen. Dieser Prozess findet vorzugsweise während des REM-Schlafs statt, in dem wir träumen und es eine erhöhte Hirnaktivität gibt. Darum haben wir die Mechanismen untersucht, die Informationen über Emotionen während des REM-Schlafs speichern.
Was haben Sie genau untersucht?Emotionen gehen im Wesentlichen von einem Zentrum im Gehirn aus, der Amygdala. Bei der Verarbeitung von Informationen wird die Amygdala auch vom präfrontalen Kortex, der frontalen Hirnrinde, unterstützt. Deshalb haben wir diese Hirnregion untersucht. Dabei haben wir entdeckt, dass die Blockierung von spezifischen Nervenzellen in der frontalen Hirnrinde während des REM-Schlafs die Verarbeitung von Informationen stört, die mit den Emotionen verbunden sind, die während des Tages erlebt werden.
Was sind die Folgen davon?Wenn wir diese Nervenzellen blockieren, also die Verknüpfung von Informationen zu Emotionen durcheinanderbringen, erzeugen wir bei Mäusen eine Art posttraumatische Belastungsstörung. Wir vermuten, dass diese Sortierung bei Patientinnen und Patienten, die unter Angststörungen – einschliesslich posttraumatischen Belastungsstörungen – leiden, wahrscheinlich fehlt. Sie sind nicht in der Lage, traumatische Emotionen im Schlaf abzuschwächen und durchleben sie immer wieder. Es kommt auf der Ebene von Zellkörpern zu einer Art «Emotionsstau», was sich in einem andauernden Angstsignal äussert.
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In zehn Jahren wird es wahrscheinlich neue Techniken geben, die es ermöglichen, spezifische Populationen von Nervenzellen in einer bestimmten Hirnregion gezielt zu beeinflussen. In unserer Arbeit haben wir solche therapeutischen Ziele bei Mäusen identifiziert. Zwar gibt es heute bereits Techniken, wie etwa die Tiefe Hirnstimulation, mit denen man Teilpopulationen von Nervenzellen im Gehirn stimulieren kann. Doch trotz den raschen Fortschritten in den Neurowissenschaften werden wir wohl erst in zehn Jahren in der Lage sein, selektiv auf die von uns beschriebenen Nervenzellen zu zielen, sei es pharmakologisch oder auf andere Weise.
Sie arbeiten mit Mäusen. Ist es für diese Art von Forschung notwendig, Tierversuche durchzuführen, oder könnte man das auch anhand von Modellen machen?Modellierung ist eine Folge dessen, was wir in der Forschung mit Tieren tun. Um ein Modell zu entwickeln, brauchen wir Basisdaten aus realen Tierversuchen. Ohne Tierversuche geht es heute leider noch nicht. Zudem müssen wir unsere Versuche in vivo durchführen, also an lebenden Tieren, da sich Schlaf nicht in einem Gehirnschnitt oder in vitro erzeugen lässt.
Was fasziniert Sie am Schlaf?Wir müssen die Hälfte oder mindestens einen Drittel unseres Tages schlafen, wissen aber immer noch nicht genau warum. Wir entdecken immer mehr neue Funktionen des Schlafs, aber warum wir wirklich so viele Stunden mit Schlafen verbringen müssen, bleibt unklar – und auch, warum und wie er genau mit Emotionen gekoppelt ist. Solche Rätsel sind doch für den Menschen immer etwas Faszinierendes!
Und warum haben Sie sich auf Emotionen spezialisiert?Ich denke, jeder ist an Emotionen interessiert. Wir fühlen und erleben sie jeden Tag, aber wir sind uns derzeit nicht sicher, welche Funktion diese Emotionen haben. Warum wir etwa im Laufe des Tages eine Vielzahl von Emotionen empfinden. Das interessiert mich. In meiner Doktorarbeit habe ich eine Region im präfrontalen Kortex identifiziert, die als Reaktion auf ein emotionales Ereignis Informationen speichert und neu sortiert. Ich kam an die Universität Bern, um mich dem Labor von Antoine Adamantidis anzuschliessen, der Hirnmechanismen von Schlaf- und Wachzyklen untersucht, weil ich überzeugt war, dass diese Sortierung während des Schlafs stattfindet. Tatsächlich konnten wir zeigen, dass diese Sortierung, die ich in meiner Doktorarbeit beschrieben hatte, während der REM-Phase stattfindet. Die REM-Phase scheint also ein wichtiges Fenster zu sein, um emotionale Informationen zu speichern und dabei zu helfen, zwischen positiven und negativen Emotionen zu unterscheiden.
Was ist Ihr nächstes Projekt?In Zukunft strebe ich eine Gruppenleiterposition an. Auf wissenschaftlicher Ebene möchte ich die Verbindung zwischen Emotionen und Schlaf, insbesondere REM-Schlaf, weiter untersuchen. Ich möchte herausfinden, was die Amygdala als Zentrum der emotionalen Verarbeitung während des Schlafs wirklich tut. Derzeit gibt es in der Literatur nur sehr wenig Kenntnis darüber, welche Rolle die Amygdala während des Schlafes bei der Organisation und Speicherung von Informationen spielt.
Kommen Sie eigentlich zu genügend Schlaf?Eigentlich leben wir Schlafforscher ein bisschen inkonsequent, weil wir wissen, wie wichtig Schlaf ist, und dennoch so viele Stunden im Labor verbringen (lacht). Aber seit ich zu diesem Thema forsche, wird mir immer bewusster, wie wichtig Schlaf ist, und ich versuche, mindestens acht Stunden pro Tag zu erhalten. Ich denke auch, dass unsere Erkenntnisse aus dem Labor den Leuten ebenfalls bewusst macht, wie wichtig Schlaf ist – etwa indem wir zeigen, dass gestörter Schlaf zu emotional bedingten Angststörungen führt. Dass wir also zum Verständnis beitragen, warum Schlaf für die Gesellschaft so wichtig ist, und Schlafstörungen auch zu Krankheiten wie Depressionen führen können, die nicht nur viel Leid verursachen, sondern auch hohe Gesundheitskosten. Die Forschung in diesem Bereich kann also grosse Auswirkungen auf die Gesellschaft haben.
PFIZER FORSCHUNGSPREIS
Seit über 30 Jahren ehrt die Stiftung Pfizer Forschungspreis herausragende Erkenntnisse in der Biomedizin. In folgenden Fachbereichen werden jeweils Arbeiten aus der Grundlagenforschung und/oder aus der klinischen Forschung honoriert: Pädiatrie – Herzkreislauf, Urologie und Nephrologie – Infektiologie, Rheumatologie und Immunologie – Neurowissenschaften und Erkrankungen des Nervensystems – Onkologie.
Das Preisgeld pro Arbeit beträgt 15'000 Schweizer Franken. Insgesamt förderte die Stiftung damit bis heute mit über 6.5 Millionen Schweizer Franken biomedizinische Forschung in der Schweiz. Die Verleihung der Pfizer Forschungspreise 2023 findet heute statt. Ein Preis wird auch an Dr. Amanda Gisler und Team vom Universitäts-Kinderspital beider Basel und Inselspital, Universitätsspital Bern vergeben.
SCHLAFFORSCHUNG AN DER UNIVERSITÄT BERN
Schlafforschung ist ein Schwerpunkt von Universität Bern und Inselspital Bern, unter anderem mit der Interfakultären Forschungskooperation «Decoding Sleep: From Neurons to Health & Mind». Diese vereint 13 Forschungsgruppen der Phil.-nat., der Medizinischen und der Phil.-hum. Fakultät. Ihre Expertise umfasst die Bereiche Medizin, Psychologie, Psychiatrie und Informatik. Die Forschungskooperation will die Mechanismen von Schlaf, Bewusstsein und Kognition und deren Bedeutung für die Gesundheit, aber auch neurologische und körperliche Erkrankungen besser verstehen. Letztlich sollen die erlangten Erkenntnisse dazu beitragen, neue Ansätze für die personalisierte Therapie von Schlaf-Wach- und psychiatrischen Störungen zu entwickeln. Von den zahlreichen Forschungserfolgen aus dem Berner Konsortium erregten unter anderem die Meldungen Aufmerksamkeit, dass Menschen im Tiefschlaf neue Vokabeln einer Fremdsprache lernen können und dass im Tiermodell die Genesung nach einem Hirnschlag durch die Beeinflussung des Schlafs gefördert werden kann.
Über Mattia Aime
Mattia Aime ist Postdoktorand am Department for BioMedical Research (DBMR), Gruppe Neurologie der Universität Bern und Universitätsklinik für Neurologie, Inselspital Bern.