«Eine taktische Meisterleistung»

2023 jährt sich der Todestag von Eugen Huber, dem Schöpfer unseres Zivilgesetzbuches (ZGB), zum hundertsten Mal. Die Rechtshistorikerin Sibylle Hofer hat sich intensiv mit seinem juristischen Schaffen auseinandergesetzt und würdigt sein politisch cleveres Vorgehen in ihrem neuen Buch.

Prof. Dr. Sibylle Hofer hat sich anlässlich des hundertsten Todestages von Eugen Huber intensiv mit seinen juristischen Schriften auseinandergesetzt. © Universität Bern / Bild: Vera Knöpfel
Prof. Dr. Sibylle Hofer hat sich anlässlich des hundertsten Todestages von Eugen Huber intensiv mit seinen juristischen Schriften auseinandergesetzt. © Universität Bern / Bild: Vera Knöpfel
Frau Hofer, warum haben Sie sich entschieden, ein Buch über Eugen Huber zu schreiben?

Huber wird stets als Verfasser des Zivilgesetzbuchs gelobt, das 1912 in Kraft trat und bis heute gilt. Er ist nahezu ein Mythos; immer wieder ertönt der Wunsch, dass heutige Gesetze eine Gestalt haben sollten wie das ZGB. Trotz dieser Verehrung ist bisher kaum untersucht worden, worin Hubers Leistung genau bestand.

Huber hatte bei seinen Gesetzesvorschlägen aktuelle und brisante Fragen im Blick. Dazu gehörte die Frauenbewegung, die Krise der Landwirtschaft und die neue Möglichkeit, elektrische Energie aus Wasserkraft zu gewinnen. Auf alle diese Themen hat Huber reagiert. Diese Bezüge aufzudecken hat meine Arbeit an diesem Buch sehr spannend gemacht.
Der Schöpfer des Schweizer ZGB Eugen Huber (geb. 1849) im Alter von ca. 30 Jahren. © Stadtarchiv Halle
Der Schöpfer des Schweizer ZGB Eugen Huber (geb. 1849) im Alter von ca. 30 Jahren. © Stadtarchiv Halle
Warum hatte der Bundesrat Eugen Huber beauftragt, ein nationales Zivilgesetz auszuarbeiten?

Eugen Huber war 1892, zum Zeitpunkt der Auftragserteilung, kein besonders bekannter Jurist. Ihn zeichnete jedoch aus, dass er sich intensiv mit den kantonalen Rechten beschäftigt hatte. Frucht dieser Arbeit war ein vierbändiges Werk mit dem Titel «System und Geschichte des Schweizerischen Privatrechts». Er war somit der beste Kenner der Materie.

Als Huber den Auftrag erhielt, das ZGB zu entwerfen, nahm er eine Professur an der Universität Bern an. Was bewegte ihn dazu?

Auch die Universität Zürich hatte ihm zu jener Zeit ein Angebot gemacht. Sein Entscheid für die Universität Bern war sehr strategisch: Huber wollte möglichst nah am nationalen politischen Machtzentrum sein. Ihm war klar, dass ein enger Kontakt zur Politik notwendig sein würde, wenn sein Gesetzesvorschlag Erfolg haben sollte.

Wie muss man sich den politischen Prozess rund um die Entstehung des ZGB vorstellen?

Der Prozess funktionierte schon damals ziemlich genauso wie heute. Zunächst wurde ein Entwurf ausgearbeitet, der von Sachverständigen begutachtet wurde. Was aber heute kaum mehr vorstellbar ist: Eugen Huber arbeitete den Gesetzentwurf komplett alleine aus. Und auch danach behielt er so weit wie möglich die Fäden in der Hand. Er war bei den Beratungen der Experten dabei und pflegte engen Kontakt mit dem zuständigen Bundesrat. Ausserdem unternahm er nicht zuletzt im Hinblick auf eine mögliche Volksabstimmung viel, um möglichst grossen Teilen der Bevölkerung das Gesetz nahezubringen und für Verständnis zu werben. Dabei betätigte er sich sogar als Verfasser von Erzählungen, von denen eine beispielsweise in einem Volkskalender erschien. Jedenfalls wurde der Gesetzesentwurf nach der Begutachtung wie heute noch vom Bundesrat zuhanden des Parlaments verabschiedet und dort in beiden Kammern debattiert.

Wie erreichte es Huber, dass sein Gesetzentwurf nahezu unverändert die parlamentarische Debatte überstand?

Dazu trug wesentlich bei, dass er selber an der Debatte teilnahm. 1902 liess sich Huber von den Berner Liberalen für den Nationalrat aufstellen und wurde gewählt. Er war Mitglied der für die Vorberatung zuständigen Kommission und trat im Plenum als deren Berichterstatter auf. Damit hatte Huber bei jedem Beratungsabschnitt das erste Wort. Das war eine taktische Meisterleistung, die heute so wohl gar nicht mehr möglich wäre.

Wurde ihm nie zu grosse Einflussnahme vorgeworfen?

Man muss ihm zugutehalten, dass er diese Stellung nie missbraucht hat. Die Protokolle der Ratsdebatten zeigen, dass Huber sehr neutral und zurückhaltend agierte und stets offen für Argumente war. Es war ihm einfach ein Anliegen, bei der Diskussion dabei zu sein, um seine Überlegungen erläutern zu können. Dass Huber den Gesetzentwurf in allen Beratungsstadien begleitete, trug massgeblich dazu bei, dass das ZGB ein in sich stimmiges Konstrukt blieb. Das ist nicht zuletzt ein Grund dafür, dass es ein so erfolgreiches und auch international beachtetes Gesetzeswerk wurde.

In der Eugen-Huber-Bibliothek (EHB) befindet sich der grösste Teil der juristischen Schriften aus Hubers Nachlass. Sie sind in Besitz der Eidgenossenschaft. Die EHB befindet sich in der UniS an der Schanzeneckstrasse 1. © Universität Bern / Bild: Vera Knöpfel
In der Eugen-Huber-Bibliothek (EHB) befindet sich der grösste Teil der juristischen Schriften aus Hubers Nachlass. Sie sind in Besitz der Eidgenossenschaft. Die EHB befindet sich in der UniS an der Schanzeneckstrasse 1. © Universität Bern / Bild: Vera Knöpfel
Wie lange ist er im Anschluss Nationalrat geblieben?

Nach Inkrafttreten des ZGB beendete Huber seine parlamentarische Tätigkeit. In den Folgejahren stand für ihn die akademische Lehre im Mittelpunkt, was der Universität Bern ein besonderes Renommee verschaffte. Es wurde für Schweizer Jus-Studierende üblich, für ein, zwei Semester nach Bern zu kommen, um Huber zu hören. Huber machte also nicht nur das Gesetz, sondern prägte auch die erste Generation der Juristinnen und Juristen, die dieses Gesetz auslegten.

«Individuelle Freiheit und Eigenverantwortung waren ihm wichtige Leitgedanken bei der Gestaltung des Zivilrechts.»
Sibylle Hofer

Huber sagte, ein Gesetz müsse «volkstümlich» sein. Was meinte er damit?

Huber war sich klar darüber, dass es nicht möglich sei, alle Gesetzesnormen allgemeinverständlich zu formulieren. Dazu ist die Materie viel zu technisch und kompliziert. Wenn Huber von Volkstümlichkeit sprach, ging es ihm vor allem darum, dass das Gesetz dem Rechtsbewusstsein des Schweizer Volkes entspricht. Insbesondere sollte das ZGB zur Verfassung passen. Huber war zutiefst überzeugt vom Wert der Schweizer Demokratie. Daher waren für ihn die individuelle Freiheit und auch Eigenverantwortung wichtige Leitgedanken bei der Gestaltung des Zivilrechts.

Was von dem, was Eugen Huber um 1900 in das ZGB geschrieben hat, ist heute noch erhalten?

Es gibt Teile, die aufgrund gesellschaftlicher Veränderungen fast nichts mehr aus Hubers Feder enthalten. Das gilt insbesondere für das Familienrecht. Huber hat zwar die Stellung von Ehefrauen im ZGB 1912 gegenüber den kantonalen Rechten verbessert; die Regelungen waren jedoch auch vom zeitgenössischen, traditionellen Rollenbild geprägt. Bei anderen Teilen hat es im Laufe der Zeit zwar Gesetzesänderungen gegeben, Hubers Konzept wurde dabei jedoch grundsätzlich beibehalten.

Zur Publikation

Sibylle Hofer (2023). Eugen Huber. Vordenker des Schweizer Zivilrechts. Hier und Jetzt Verlag, Zürich.

Über das Institut für Rechtsgeschichte

Das Institut für Rechtsgeschichte ist Teil der Rechtswissenschaftlichen Fakultät; es ist sowohl dem Departement für Privatrecht als auch dem Department Grundlagenfächer zugeordnet.

Zur Person

Prof. Dr. Sibylle Hofer promovierte an der Universität Hannover und habilitierte sich im Jahr 2000 an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Sie lehrt als ordentliche Professorin für Zivilrecht und Rechtsgeschichte an der Universität Bern. Ihre Forschungsschwerpunkte sind die Grundlagen des modernen Privatrechts, insbesondere des Schweizer Zivilgesetzbuchs, sowie die bernische Rechtsgeschichte. Zugleich leitet Hofer das Institut für Rechtsgeschichte.

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