Nachhaltige Lehre
Studierende zeigen Lösungen für nachhaltiges Bauen
Was haben Architektur und Design mit der Umwelt zu tun? In einem Praxisseminar setzten sich Studierende mit Nachhaltigkeitskulturen auseinander. Ihre Erkenntnisse machen sie mit Video-Vorträgen einem breiten Publikum zugänglich. Ein Werkstattbesuch.
Die Scheinwerfer tauchen den Raum in ein grelles Licht. Zwei Kameras richten sich auf eine grüne Leinwand, ein Techniker testet Bild und Ton. Im professionellen Aufnahmestudio eines Berner Foto- und Videogeschäftes gilt es an diesem Sommertag ernst: Studierende der Abteilung Architekturgeschichte und Denkmalpflege des Instituts für Kunstgeschichte zeichnen ihre Vorträge auf, die sie in den vergangenen Monaten während eines Praxisseminars rund um das Thema Nachhaltigkeit erarbeitet haben. Seminarleiterin und Privatdozentin Julia Burbulla gibt letzte Tipps und spricht den Nervösen Mut zu.
Nachhaltigkeit in allen Studiengängen
Alle Studierenden der Universität Bern sollen sich im Lauf ihres Studiums mit Nachhaltigkeit auseinandersetzen. Die Universität Bern integriert Nachhaltige Entwicklung deshalb in die Lehre aller Fakultäten und Fachrichtungen und unterstützt die Dozierenden dabei, entsprechende Veranstaltungen zu konzipieren. uniAKTUELL zeigt in einer losen Serie konkrete Beispiele.
Ungewohnte Erfahrung
Als Erste tritt Kathaerina Roschatt vor die Kamera, den Blick konzentriert auf den Teleprompter gerichtet. Ihr Vortrag dreht sich um die Frage, wie wir eine nachhaltige Welt schaffen können, in der Mensch, Architektur und Umwelt im Einklang sind: «Als Kunsthistorikerin möchte ich Ihnen Peter Steiger vorstellen, einen Schweizer Architekten und Hochschullehrer, der mit seinen Projekten versucht, Antworten auf diese Fragen zu finden», sagt die Studentin zum imaginären Publikum. Dann erklärt sie mit konkreten Beispielen, wie Steiger (1928-2023) bereits in den 1970er-Jahren darauf hinwirkte, ein nachhaltiges Denken und Handeln in der Architektur zu etablieren.
Nachhaltigkeitspionier und Architekt Peter Steiger steht im Zentrum des Vortrags von Kathaerina Roschatt.
Vor der Kamera zu stehen, ist für Kathaerina Roschatt eine neue Erfahrung. Ungewohnt auch deshalb, weil «es nicht um ein Thema ging, mit dem ich mich alltäglich beschäftige.» Mit Nachhaltigkeit kam sie im Studium der Kunst zuvor nicht zwangsläufig in Kontakt. Zum Seminar meldete sie sich ursprünglich an, um «in Diskussionen mitreden können.» Dazu kam ein kulturgeschichtliches Interesse an Architektur. Im Laufe der Lehrveranstaltung wuchs ihre Motivation, «aktiv zu werden und mich einzubringen». Gelernt habe sie dabei, «bewusster zu denken» und festzustellen, dass es nachhaltige Möglichkeiten und Lösungen gebe. «Vorher dachte ich stets, ich könne sowieso nichts ändern.» Ihre berufliche Zukunft sieht die angehende Kunsthistorikerin in einem Museum. Auch dort sei Nachhaltigkeit zunehmend von Bedeutung. «Immer mehr Museen beschäftigen sich mit dem Thema, etwa beim Einsatz von Licht oder bei der Nutzung alter Gebäude.»
Interdisziplinärer Ansatz
Auch Leon Backwinkel hat die Teilnahme am Praxisseminar «die Augen geöffnet», wie er sagt. Der Architekt absolviert an der Uni Bern einen Master in Denkmalpflege und Monumentenmanagement. Er habe enorm viel gelernt – darunter nicht zuletzt auch, «wie man einen Vortrag hält». Backwinkel kann sich vorstellen, selber einmal in eine Lehrtätigkeit zu gehen: «Das Vermitteln gefällt mir.» In seinem Videovortrag stellt er das Werk des Architekten Eduard Neuenschwander (1924-2013) vor. Dieser kombinierte seine Erfahrungen als Raumgestalter mit naturwissenschaftlichen Erkenntnissen – «er war also Architekt und Biologe». Überhaupt will Backwinkel den interdisziplinären Ansatz vermehrt in seine Berufspraxis als Architekt integrieren. «Und ich werde künftig anders darüber diskutieren, ob zum Beispiel eine fünfzig Zentimeter dicke Betondecke wirklich nötig ist.»
Leon Backwinkel, Architekt und Student im Masterstudium am Institut für Kunstgeschichte der Universität Bern, spricht über Wertevorstellungen und Bedürfnisse von Einzelhausbesitzern. Eduard Neuenschwander, Architekt und Biologe, steht im Zentrum des Vortrags.
Rahel Gugelmann wiederum widmete sich der Frage «Umweltfreundliches Design – ein Widerspruch?» Dabei thematisiert sie konsumkritische Ansätze der vergangenen fünfzig Jahre und stellt Lösungsvorschläge vor, die das «Eco-Design» hervorgebracht hat. «Nachhaltigkeitsbestrebungen sind kein neues Phänomen», betont die Wissenschaftlerin. In der Design- und Architekturgeschichte gebe es viele Beispiele eines alternativen Produktdesigns, «von denen jedoch die wenigsten Eingang in das kollektive Gedächtnis gefunden haben». Obschon die Kunsthistorikerin ihr Masterstudium bereits anfangs Jahr abgeschlossen hatte, nahm sie auf Einladung von Julia Burbulla am Video-Projekt teil. Ihr Ziel ist es, in wenigen Jahren eine Dissertation an der Schnittstelle zwischen Architektur- und Designgeschichte in Angriff zu nehmen. «Mein Herz schlägt für die Forschung.»
Wie genau Design und Konsum zusammenhängen und welche Lösungen es im Eco-Design gibt, spricht Rahel Gugelmann, Absolventin und ehemalige Assistentin, Abteilung Architekturgeschichte und Denkmalpflege, Institut für Kunstgeschichte an der Universität Bern.
«Im Auge des Orkans»
Das Praxisseminar sollte ursprünglich in einen zweitägigen Studierendenkongress vor Ort münden. Schliesslich wurde das Projekt auf ein Online-Format umgestellt – nicht zuletzt mit Blick auf eine nachhaltigere Wirkung. Aufgeschaltet sind die Beiträge seit Oktober. Nebst den Vorträgen der Studierenden finden sich auf dem YouTube-Kanal der Universität Bern fünfzehn Interviews mit Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern sowie Expertinnen und Experten. Geplant und geführt wurden die Gespräche von Julia Burbulla und dem Seminarteilnehmer Bernard Kümmerli mit dem Ziel, einen Berührungspunkt zwischen Wissenschaft und Praxis zu schaffen. Die Beiträge drehen sich um die Frage, welche kulturellen Hemmnisse heute dem nachhaltigen Bauen entgegenstehen. Antworten kommen unter anderem aus der Architektur, der Kulturwissenschaft, der Kulturanthropologie, der Energie- und Materialforschung sowie den Visual Cultures.
Universität und Praxis vereint für Lösungen
«Architektur und Design mit ihrem kulturellen Framing nehmen im Transformationsprozess hin zu einer nachhaltigen Baukultur eine wichtige Rolle ein», betont Privatdozentin Julia Burbulla. Für die Praxis brauche es jetzt Lösungen, und die Fachleute wünschten sich dazu eine engere Zusammenarbeit mit der Universität. «Insofern befinden wir uns mit unserem Knowhow im Auge des Orkans.» Für die Studierenden biete das Praxisseminar die Gelegenheit, ein anderes Berufsbild zu sehen und zu erfahren, «dass sie bei der Erreichung der Nachhaltigkeitsziele an der Front mitarbeiten.»
Zur Nachhaltigkeit in der Lehre
Förderung Nachhaltige Entwicklung durch Bildung
Über das Fördergefäss FNE (Förderung Nachhaltige Entwicklung durch Bildung) können Mitarbeitende der Universität Bern Ressourcen beantragen, um nachhaltigkeitsrelevante Bildungsprojekte an der Universität Bern zu entwickeln. Konkret sollen unterschiedliche Themen mit einer Nachhaltigen Entwicklung (NE) verknüpft werden, nachhaltigkeitsrelevante Kompetenzen gefördert oder Reflexionsprozesse für eine NE angestossen werden.
Die FNE-Förderung ist Teil des Projekts «Bildung für Nachhaltige Entwicklung » der Universität Bern. Dieses Projekt unterstützt das Vizerektorat Qualität und Nachhaltig Entwicklung darin, NE stärker in die Bildung der Universität zu integrieren. Es zeigt sowohl verschiedene disziplinäre als auch interdisziplinäre Verknüpfungen mit NE auf und unterstützt die Fakultäten und Institute darin, diese Verbindungen zu verstärken und nach aussen sichtbar zu machen. Neben der FNE werden diverse Unterstützungsangebote wie Arbeitsmaterialien oder Dienstleistungen vom BNE-Team des Centre for Development and Environment (CDE) zur Verfügung gestellt.
«Es braucht den Mut, neue Wege einzuschlagen»
Die Universität Bern, die Berner Fachhochschule, die PHBern und die PH NMS wollen gemeinsam «Bildung für Nachhaltige Entwicklung» stärken: Studierenden sollen komplexe Probleme der Gegenwart und Zukunft verstehen und angehen können. Lilian Trechsel erklärt, was bereits gut funktioniert und was noch ansteht.
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