Vom Space Race zum Goldrausch im Weltall?

In der Raumfahrt herrscht Aufbruchstimmung: Die USA, China und Indien, aber auch Private wie Elon Musk haben sich zum Ziel gesetzt, zum Mond zurückzukehren und weiter ins All vorzudringen. Geht bald die Jagd nach Rohstoffen im All los?

Text: Guido Schwarz 08. Januar 2024

Gibt es schon bald neue Fussabtritte auf dem Mond? © iStock

Wäre es Ende der 1960er-Jahre nach den Managern der amerikanischen Fluggesellschaft Pan Am gegangen, so würden heute touristische Flüge zum Mond zum Alltag gehören. Potenzielle Kunden hätte die Gesellschaft genug gehabt: Zwischen 1968 und 1971 hat Pan Am über 90 000 Member Cards des First Moon Flights Club ausgestellt, einer Warteliste für Flüge zum Mond.

Seither ist viel passiert. Oder eben nicht. Am 14. Dezember 1972 hat der Apollo-17-Kommandant Gene Cernan als letzter Mensch den Mond verlassen. Wenige Jahre darauf war die Weltraumeuphorie verflogen. 1991 stellte Pan Am den Betrieb ein. Und bislang ist kein Mensch als Tourist zum Mond geflogen.

Doch seit einigen Jahren ist das Weltraumfieber zurück. «Es gibt wieder ein Space Race, hauptsächlich zwischen China und den USA. Man will wieder auf den Mond und weiter zum Mars», sagt Peter Wurz, Direktor des Physikalischen Instituts der Universität Bern. «Die Chinesen haben mit ihren Chang’e-Mondmissionen mehrere ‹Firsts› wie die Landung eines Rovers auf der erdabgewandten Seite des Mondes geschafft», so Wurz. «Das sind Dinge, die die Amerikaner nicht gemacht haben. Und das beunruhigt sie natürlich.»

«Vieles war früher schlichtweg technisch nicht möglich oder viel zu teuer.»

Audrey Vorburger

Valentin Bickel, Fellow für Planetare Geomorphologie am Center for Space and Habitability an der Universität Bern, doppelt nach: «Erst kürzlich sind die Inder mit Chandrayaan-3 in der Nähe des Mondsüdpols gelandet. Der Lander hat einmal abgehoben und wieder aufgesetzt – wenn auch nur kurz. Über den Südpol zu hüpfen, war etwas, das eigentlich die NASA demonstrieren wollte. Das macht Druck.»

Zur Person

Audrey Vorburger

arbeitet als Astrophysikerin und Planetologin in der Abteilung Weltraumforschung und Planetologi am Physikalischen Institut der Universität Bern. Sie befasst sich hauptsächlich mit den Eismonden der Gasplaneten in unserem Sonnensystem.

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PD Dr. Audrey Vorburger

audrey.vorburger@unibe.ch

Für Audrey Vorburger, Astrophysikerin an der Universität Bern, ist schlicht die Zeit reif. «Die Generation, die das erste Space Race erlebt hat, ist inzwischen älter. Die junge Generation hat neuen Elan und will zurück in die glorreiche Zeit der Exploration», sagt Vorburger. Unterstützt werde dies durch die grossen technischen Fortschritte. «Vieles war früher schlichtweg technisch nicht möglich oder viel zu teuer.»

Jung, dynamisch, risikofreudig

Einer, der zur technischen Entwicklung und zu den sinkenden Preisen beigetragen hat, ist der Unternehmer Elon Musk. Als Musk 2002 SpaceX gründete, lag die Zahl der jährlichen Orbitalstarts bei 65. 2022 waren es 186. Und Mitte Oktober 2023 waren es bereits wieder 165, wobei rund die Hälfte auf das Konto von SpaceX geht, gefolgt von China mit etwa halb so vielen Starts.

«Der Zugang zum Weltraum ist dank grossen Raketen, die weit fliegen oder sehr grosse Nutzlasten in den Orbit bringen können, merklich billiger geworden», sagt Peter Wurz. «Die Start-ups kommen mit neuen, vielleicht auch verrückten Ideen und sind kostengünstiger. Sie sind wesentlich dynamischer als die traditionellen Firmen und staatlichen Institutionen.»

Zur Person

Valentin Bickel

ist Fellow am Center for Space and Habitability (CSH) an der Universität Bern und Mitglied des Nationalen Forschungsschwerpunkt (NFS) PlanetS. Er befasst sich hauptsächlich mit dynamischen Prozessen auf den Oberflächen von Mond, Mars und Merkur.

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Dr. Valentin Bickel

valentin.bickel@unibe.ch

Zwar besteht bei den Start-ups ein gewisses Entwicklungsrisiko; nicht jede neue Idee funktioniert sofort und gewisse gar nie. Doch selbst wenn die Erfolgsquote nur bei 50 Prozent liegt, so ist ihre Technologie wesentlich günstiger als die traditioneller Aerospace-Firmen, die zwar eine höhere Erfolgsquote aufweise, allerdings ein Vielfaches koste. «Wenn man weiss, was alles schiefgehen kann, bremst es einen», sagt Peter Wurz. «Der Preis für Sicherheit ist hoch.»

Nicht nur im Preis unterscheiden sich die neuen Player von den traditionellen. Valentin Bickel war in die Entwicklung von Experimenten für den Rashid-Rover der Vereinigten Arabischen Emirate involviert, der mit der privaten japanischen Mission Hakuto-R von iSpace zum Mond geflogen ist. «Hier ist alles dynamisch. Es gibt noch keine strengen Richtlinien. Und man kann sich viel direkter einbringen», sagt Bickel. Er war an einem Experiment beteiligt, das an den Rädern des Rovers befestigt war. «Das Experiment haben wir in einem 30-minütigen WhatsApp-Chat und einem Telefonat grob definiert – es musste alles sehr schnell gehen. Die Idee legten wir direkt dem Science Lead der Mission vor. Dieser hat sie sofort akzeptiert.» Dann sei gebaut, getestet und verbessert worden, bis das Experiment am Ende für den Weltraum qualifiziert wurde und geflogen ist. «Bei der NASA hätte so etwas Monate oder gar Jahre gedauert.»

Auf dem Rover sind gemäss Bickel Experimente mitgeflogen, wie es sie auf dem Mond noch nie gegeben hat. «Die wissenschaftlichen Erkenntnisse wären super gewesen», sagt Valentin Bickel wehmütig. Denn Hakuto-R ist auf dem Mond zerschellt. Nüchtern stellt er fest: «Auch wenn der Lander abgestürzt ist: Unsere Hardware ist auf dem Mond!»

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Berner Gerät für Rohstoffsuche im All

Derweil arbeitet die NASA mit dem Artemis-Programm, an dem auch die europäische Raumfahrtorganisation ESA beteiligt ist, zielstrebig an der Rückkehr des Menschen zum Mond. Im Unterschied zum Apollo-Programm will man bleiben und eine Mondbasis errichten. Bei Apollo wurden sämtliche Verbrauchsgüter wie Wasser, Luft und Nahrung zum Mond mitgebracht. «Bei einem Aufenthalt von mehreren Monaten wird das zu teuer», sagt Peter Wurz. «Die Ressourcen müssen deshalb vor Ort generiert werden. Und dazu müssen wir die Technologie entwickeln.»

Die neuen Missionen, auch die der anderen Nationen, haben den Mondsüdpol zum Ziel. «Das ist aus wissenschaftlicher Sicht sehr spannend», sagt Wurz. Lagen die Apollo-Landeplätze in geologisch jungen Gebieten in der Nähe des Mondäquators, so vermutet man am Südpol sehr altes Gestein an der Oberfläche: «Für die Robotermissionen suchen wir Landeplätze aus, die sicher vier Milliarden Jahre alt sind und damit vom Anfang der Geschichte des Mondes und des Sonnensystems stammen.» Der Südpol ist aber auch für bemannte Missionen interessant. Viele Krater liegen dort in permanenter Dunkelheit, wo extrem tiefe Temperaturen herrschen. Dies macht die Krater zu riesigen Kältefallen, in denen grosse Mengen von Wassereis vermutet werden.

Am Südpol des Mondes soll auch ein Gerät zum Einsatz gelangen, das an der Universität Bern entwickelt wird. Es ermöglicht unmittelbar vor Ort eine Analyse von Proben, was wesentlich effizienter ist, als kiloweise Material zur Station zu schleppen oder gar zur Erde zu transportieren.

Zur Person

Peter Wurz

ist Professor für Weltraumforschung und Planetologie und Direktor des Physikalischen Instituts der Universität Bern. Der Schwerpunkt seiner Arbeit ist der Ursprung und die Entwicklung der Planeten durch Messung der chemischen Zusammensetzung der Atmosphären und Oberflächen von Planeten.

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Prof. Dr. Peter Wurz

peter.wurz@unibe.ch

Bei den späteren bemannten Missionen könnte das Berner Gerät als tragbarer Handheld die Astronauten bei ihren Feldstudien unterstützen, hofft Wurz. Und es könnte bei der Suche nach Rohstoffen helfen, wenn die Astronauten zum Beispiel Material zum Bau eines Habitats suchen. «Sogenanntes Space-to-Space-Mining ist zum Bau einer Mondstation oder bei einer Marsmission, wo Menschen zum Überleben Ressourcen brauchen, fast unausweichlich», sagt Audrey Vorburger.
Neue Technologien, neue Welten mit neuen Bodenschätzen – werden bald auch grosse Konzerne in den Rohstoffabbau im All investieren? In Bezug auf Space-to-Earth-Mining, wo Rohstoffe zur Erde gebracht werden, ist sich die Astrophysikerin nicht sicher, ob sich das je auszahlen wird. «Im Moment ist es schlicht viel zu teuer. Wir haben es gerade mit der Mission OSIRIS-REx der NASA gesehen. Die hat über eine Milliarde Dollar gekostet und ein paar 100 Gramm von einem Asteroiden zurückgebracht.» Der Preis pro Gramm ist damit buchstäblich astronomisch hoch.

Peter Wurz gibt jedoch zu bedenken: «Man kann auch fragen: Was kostet ein Tunnel von Göschenen nach Airolo? Wir sind bereit, den Preis zu zahlen, wenn wir einen wirtschaftlichen Nutzen sehen.» Wenn auf unserem Planeten die Rohstoffe ausgehen, auf denen viele unserer Technologien und unser bequemes Leben basieren, ergebe es vielleicht Sinn.

Regelwerk vonnöten

Ob ein solcher Goldrausch im Weltraum unsere Lebensbedingungen und das friedliche Miteinander gefährdet, lässt sich derzeit nur schwer abschätzen. Zwar gibt es den Space Treaty aus dem Jahr 1967, der die Tätigkeiten von Staaten bei der Erforschung und Nutzung des Weltraums einschliesslich des Mondes und anderer Himmelskörper regelt. Doch konnten damals viele Entwicklungen nicht vorhergesehen werden, was uns heute vor einige Herausforderungen stellt.

Ein Beispiel sind Megakonstellationen im Erdorbit wie Starlink von SpaceX und Kuiper von Amazon. «Diese Unternehmen wollen 40 000 oder mehr Satelliten starten. Das verschärft das Problem des Weltraumschrotts und trägt zur Licht- und Radioverschmutzung bei», gibt Audrey Vorburger zu bedenken. «Und bei der Nutzung des Mondes und anderer Himmelskörper besteht die Gefahr einer First-come-first-serve-Mentalität.»

Auch Peter Wurz ist besorgt: «Grundsätzlich gibt es ein Regelwerk. Aber wie es bei Gesetzen so oft ist: Wenn man es nicht durchsetzen kann, kommt womöglich Wildweststimmung auf. Wenn Ressourcen knapp sind, hört der zivile Umgang leider schnell einmal auf. Das kennen wir aus unserer Geschichte.»

«Wenn Ressourcen knapp sind, hört der zivile Umgang leider schnell einmal auf.»

Peter Wurz

Nebst dem Space Treaty gibt es neuerdings die von den USA angestossenen Artemis Accords, die die Unterzeichnerstaaten zur friedlichen Nutzung des Weltraums verpflichten. «Ich glaube, das ist ein guter Anfang», sagt Audrey Vorburger. «Doch wir müssen weiter darüber diskutieren, wie wir die Nutzung des Weltraums lukrativ machen, ohne dass jemand auf der Strecke bleibt.»

Herrscht bald Katerstimmung?

Bei aller Euphorie, die derzeit in der Raumfahrt herrscht, drängt sich eine Frage auf: Wachen wir irgendwann mit einem mächtigen Kater aus dem Rausch auf, so wie nach dem ersten Space Race?

Peter Wurz ist optimistisch, dass, wenn nichts Dramatisches wie ein Weltkrieg dazwischenkommt, die Missionen realisiert werden können: «Aus meiner Sicht ist nach wie vor neue Technologie der Treiber. Das hat schon das Apollo-Programm gezeigt.»

Auch Valentin Bickel ist positiv gestimmt: «Man denkt immer, es geht um alles oder nichts. Selbst wenn wir auf dem Mond keine Basis bauen können, haben sich die Missionen trotzdem gelohnt. Weil man etwas über den Mond gelernt hat. Weil wir Hardware entwickelt haben, was einen positiven Effekt auf die Erde punkto Wirtschaft und Arbeitsplätze hat.»

Und aus Sicht von Audrey Vorburger ist es nicht so schlimm, wenn eine Vision einmal zu gross ausfällt. «Es ist mir lieber, ein paar Träumer zu viel zu haben, als dass wir alle zu konservativ und zu pessimistisch sind. Positives Denken und Träume können oft den Weg zu neuen Möglichkeiten öffnen.»

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Dieser Artikel erschien erstmals in uniFOKUS, dem Printmagazin der Universität Bern. uniFOKUS beleuchtet viermal pro Jahr einen thematischen Schwerpunkt aus unterschiedlichen Blickwinkeln.

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