Astronomie
«Innovation bedeutet, etwas aus nichts zu erschaffen»
Thomas Zurbuchens jüngster Besuch an der Universität Bern stand ganz im Zeichen der Innovation. Der ehemalige NASA-Wissenschaftsdirektor und UniBE-alumnus sprach am 28. Februar darüber, wie innovatives Denken und unternehmerisches Handeln gefördert werden und wieso man niemals stehenbleiben darf.
«Move fast and break things»: Das weltbekannte Motto des Silicon Valley hätte auf den ersten Blick auch zum Vortrag von Thomas Zurbuchen passen können, den dieser am vergangenen Dienstag im Gebäude für Exakte Wissenschaften hielt. An der vom Innovation Office der Universität Bern und dem Nationalen Forschungsschwerpunkt (NFS) PlanetS organisierten Veranstaltung sprach der ehemalige NASA-Wissenschaftsdirektor zu einem grossen Publikum über Innovation, Unternehmertum und darüber, wie diese an der US-Weltraumbehörde gehandhabt werden.
Gleich zum Beginn zitierte Zurbuchen den Google-Gründer Larry Page: «Organisationen, die stillstehen, ziehen sich zurück.» Es sei unerlässlich, sich selbst zu hinterfragen und Innovation in einem hohen Tempo voranzutreiben, wenn man eine Führungsrolle einnehmen und sich behaupten wolle. «Ich finde, das ist eine äusserst tiefgehende Einsicht. Sie mahnt uns, uns niemals auf unseren Lorbeeren auszuruhen und Herausforderungen zu suchen», so Zurbuchen.
Das Online-Magazin der Universität Bern
uniAKTUELL als Newsletter abonnieren
Die Universität Bern betreibt Spitzenforschung zu Themen, die uns als Gesellschaft beschäftigen und unsere Zukunft prägen. Im uniAKTUELL zeigen wir ausgewählte Beispiele und stellen Ihnen die Menschen dahinter vor – packend, multimedial und kostenlos.
Innovation braucht gute Gründe und klare Ziele
Eigentlicher Zweck der Innovation sei es aber nicht, die Konkurrenz auszustechen, betonte der in Heiligenschwendi am Thunersee aufgewachsene und an der Universität Bern ausgebildete Physiker. Innovation sei ihm aus anderen Gründen wichtig: «Zum einen vergisst man im Alltag schnell – ob man Auto fährt, ein Einkaufszentrum besucht oder an einer Uhr die Zeit abliest – dass all das nur funktioniert, weil es Menschen geschaffen, aus dem Nichts zum Leben erweckt haben. Ohne Innovation gäbe es nichts davon», so Zurbuchen. «Zum anderen brauchen wir Innovation, um den Problemen unserer Zeit und begegnen – sei es Krebs oder der Klimawandel. Gerade in dieser Hinsicht müssen wir die Leute davon überzeugen, innovativ zu sein, ihr Potential auszuschöpfen und sich etwas zu trauen!»
Auch bei spezifischen Innovationen sei es essenziell, nach den Gründen zu Fragen: «Es ist der grösste Fehler vieler Projekte, dass die ‘warum’-Frage übersprungen wird. Man muss diese Diskussion aber führen, man muss wissen, wieso man eine bestimmte Neuerung vorantreiben will, und man muss definierte Ziele haben. Schnell zu sein allein reicht nicht.» Thomas Zurbuchens Leitspruch lautet also eher: «Move fast and break things – aber nur mit gutem Grund und einer klaren Vision.»
«Es gibt keinen Fortschritt ohne Fehlschläge»
Die NASA, an der Zurbuchen während sechs Jahren das «Science Mission Directorate» leitete und in dieser Rolle für die wissenschaftliche Tätigkeit der Behörde zuständig war, müsse innovativ sein, «weil sie in der Weltraumforschung globale führend sein, das menschliche Wissen erweitern, dieses nützlich machen und dabei auf lange Sicht denken will», so Zurbuchen.
Innovation zu ermöglichen, sei in einem oft von Bürokratie und Vorsicht geprägten Umfeld aber nicht immer einfach. «Es gibt den aus dem Film Apollo 13 bekannten und mit der NASA verbundenen Spruch ‘failure is not an option’. Ich liebe den Film, aber hasse den Spruch», scherzte Zurbuchen. Denn für ihn sei klar: «Innovativ zu sein bedeutet, Risiken einzugehen und aus Fehlern zu lernen. Es gibt keinen Fortschritt ohne Fehlschläge und keine Innovation ohne Iteration.»
Personen, die Innovationen im Weg stehen, würden es dabei meist gut meinen, erklärte Zurbuchen: «Oft sind sie besorgt und hinterfragen, ob eine Idee ‘realistisch’ ist – aber wir sollten gerade nicht an den realistischen Ideen interessiert sein, sondern an denjenigen, die ans Limit und darüber hinaus gehen.» Eine starke Linie ziehe Zurbuchen dann, wenn Innovationsträger und -trägerinnen persönlich angegriffen würden: «Führungspersonen dürfen das niemals akzeptieren. Sie müssen ihr Team schützen, verbessern und diejenigen Teammitglieder ermächtigen, die Neuerungen umsetzen wollen.» Überhaupt sei Innovation Teamsache: «Nur geteilte Ideen überleben», ist Zurbuchen überzeugt.
Die NASA als Innovationstreiberin
Zu den Projekten, die Zurbuchen während seiner Amtszeit bei der NASA verantwortete, gehörte neben dem neuen Mondlandungsprogramm ARTEMIS auch der Launch des James Webb Weltraumteleskops. «Dafür waren zwölf Innovationen nötig», erklärt Zurbuchen. «Zu viele», wie er bemerkt: «Es war unglaublich schwierig. Normalerweise versuchten wir, nicht mehr als fünf Innovationen pro Projekt umsetzen zu müssen.» Aber auch zu wenige Neuerungen seien hinderlich: «Projekte, die gar keine Innovationen benötigen, sind nicht interessant.»
In den letzten Jahren sei zudem wichtig gewesen, zu erkennen, dass Innovation oft durch kommerzielle Partnerschaften entstehe. Als Beispiel führte Zurbuchen die Kollaboration der NASA mit privaten Raumfahrtsunternehmen wie SpaceX an: «Das hat alles verändert. Die USA hat ihren Marktanteil an kommerziellen Raketenstarts dank diesen Unternehmen von 20 auf 85 Prozent erhöht», so der Weltraumforscher.
Gefragt, welche Innovation er während seiner Amtszeit nicht hatte durchsetzen können, meinte Zurbuchen: «Ich wollte immer eine Mission mit dem Ziel zusammenstellen, den nächstgelegenen Stern zu erreichen… Das wäre wirklich cool.»
Innovationsförderung wird auch in Bern grossgeschrieben
Sein Referat beendete Thomas Zurbuchen mit der zentralen Botschaft, dass sich Mitglieder der Forschungsgemeinschaft immer auch als Innovatoren und Innovatorinnen verstehen sollten: «Innovation muss jeden Tag präsent und Teil der Diskussion sein – sie ist ein kulturelles Mindset das man bewusst begrüssen und aktiv vorantreiben muss.»
Dass auch an der Universität Bern eine Innovationskultur aufgebaut wird, zeigen Institutionen wie das ARTORG Center for Biomedical Engineering Research und das sitem-Insel, welche Zurbuchen am Vormittag besuchte, um ausgewählte Innovationsprojekte kennenzulernen. Und Nicolas Thomas, Direktor des NFS PlanetS, betonte in seiner Verabschiedung: «In den letzten zwanzig Jahren hat sich an dieser Universität einiges verändert. Es ist beachtlich, wie viel wichtiger strategische Überlegungen heute sind und wie viel bewusster es uns ist, dass Innovation und Wissen Wert schaffen können. Das innovationsbetonte Mindset hat vielleicht noch nicht alle erreicht, aber wir sind auf dem besten Weg dazu!»
Zur Person
Thomas Zurbuchen
studierte an der Universität Bern Physik. Seinen Doktortitel in experimenteller Astrophysik erhielt er 1996. Von Oktober 2016 bis Dezember 2022 war Zurbuchen der am längsten ununterbrochen amtierende Wissenschaftsdirektor der NASA. Zuvor war er Professor für Weltraumforschung und Raumfahrttechnik an der University of Michigan in Ann Arbor. Dort gründete er auch das Center for Entrepreneurship. In seiner Forschung beschäftigte er sich mit solarer und heliosphärischer Physik, experimenteller Raumforschung, Innovation und Unternehmertum. Zurbuchen ist verheiratet und hat zwei Kinder.
Das Innovation Office
Das Innovation Office der Universität Bern wurde im September 2021 gegründet, um eine dynamische Innovationskultur an der Universität Bern stärker zu fördern. Das Innovation Office sensibilisiert und unterstützt Studierende, Forschende und Professoren in Bezug auf neue Ideen und Erfindungen und stärkt dadurch den Transfer innovativer Forschung in Wirtschaft und Gesellschaft.
Der Nationale Forschungsschwerpunkt (NFS) PlanetS
Planetenforschung made in Switzerland
Der Schweizer Nationalfonds sprach 2014 der Universität Bern den Nationalen Forschungsschwerpunkt (NFS) PlanetS zu, den sie seither gemeinsam mit der Universität Genf leitet. Seit der Beteiligung an der ersten Mondlandung 1969 nimmt die Universität Bern an Weltraummissionen von Organisationen wie NASA, ESA oder JAXA teil. Sie hat momentan gemeinsam mit der Universität Genf die Leitung der CHEOPS-Mission der Europäischen Weltraumorganisation (ESA) inne. Zudem sind die Berner Forschenden an der Weltspitze mit dabei, wenn es etwa um Modelle und Simulationen zur Entstehung und Entwicklung von Planeten geht.
Partnerinstitutionen im NFS PlanetS sind neben der Universität Genf auch die ETH Zürich und die Universität Zürich.
Der NFS PlanetS ist in die folgenden Forschungsbereiche gegliedert:
- Frühe Stadien der Planetenentstehung
- Architektur von Planetensystemen, ihre Entstehung und Entwicklung
- Atmosphären, Oberflächen und das Innere von Planeten
- Bestimmung der Bewohnbarkeit von Planeten.