Klimarätsel auf dem Dach der Welt lösen

Der Berner Geologe Hendrik Vogel ist die treibende Kraft hinter einem grossangelegten Projekt, das Leben 400 Meter unter einem tibetischen See untersucht. Damit sollen unter anderem mögliche Auswirkungen des Klimawandels auf die Wasserversorgung von einem Drittel der Weltbevölkerung besser vorhergesagt werden.

Von Kaspar Meuli 20. Februar 2023

Im Sediment des Nam Co Sees im Hochland von Tibet soll auf 4'700 Meter über Meer gebohrt werden. © Hendrik Vogel
Im Sediment des Nam Co Sees im Hochland von Tibet soll auf 4'700 Meter über Meer gebohrt werden. © Hendrik Vogel

Das Hochland Tibets ist ein rauer Ort. Auf rund 5'000 Metern über Meer fegen eisige Winde über die karge, steinige Landschaft. Im Hintergrund lauern die mächtigen Gipfel des Himalayas. Wer sich hierhin begibt, sucht das Abenteuer – meist.

Hendrik Vogel sucht in Tibet nicht das Abenteuer, sondern nach Antworten. In einem grossangelegten interdisziplinären Projekt möchte der Berner Geologe Sedimentablagerungen am Boden von Seen untersuchen. Diese enthalten Hinweise auf lange vergangene Klimabedingungen und sind daher für die Klimaforschung wichtig.

Wasser für ein Drittel der Weltbevölkerung

Obwohl auf den ersten Blick wenig darauf hinweist, ist das tibetische Hochland von enormer Bedeutung. «Mit seinen vielen Seen, Gletschern und Flüssen gilt die Region als Wasserreservoir für beinahe ein Drittel der Weltbevölkerung. Gespeist wird es vor allem durch die asiatischen Sommermonsune», sagt der Forscher vom Oeschger-Zentrum für Klimaforschung.

Mit seinen Untersuchungen, erhofft sich Vogel nicht nur ein besseres Verständnis von Auswirkungen von vergangenen Klimaveränderungen auf die so wichtigen Monsune. «Unsere Forschungsarbeit sollte es uns in Zukunft auch ermöglichen, bessere Prognosen für den Wasserhaushalt der Region zu liefern», so der Forscher.

Für die Bohrungen hat sich Vogel den «Nam Co» See ausgesucht. Das rund eine Million Jahre alte Gewässer ist eines der längsten und kontinuierlichsten Klimaarchive im tibetischen Hochland. Ausserdem haben Voruntersuchungen gezeigt, dass sich die Veränderungen in der Monsunzirkulation besonders gut in den Seesedimenten des Nam Co abbilden. «Leicht gemacht haben wir es uns mit dieser Wahl aber nicht», schmunzelt Vogel.

Hendrik Vogel ist Professor für Sedimentäre Geochemie am Oeschger-Zentrum für Klimaforschung an der Universität Bern. Bild: zvg
Hendrik Vogel ist Professor für Sedimentäre Geochemie am Oeschger-Zentrum für Klimaforschung an der Universität Bern. Bild: zvg

Eine besondere Herausforderung

Bis im Mai ist der See eisbedeckt. Und im Juli werden die Monsunwinde bereits so stark, dass ans Arbeiten auf einer Bohrplattform nicht mehr zu denken ist. Für die Bohrung im kommenden Jahr muss deshalb ein Zeitfenster von wenigen Wochen reichen. Doch die Expedition ist nicht nur eine körperliche Herausforderung, sondern auch teuer: Die Logistik ist aufwändig und die Anforderungen an die Bohrtechnologie sind derart gross, dass die Bohrung rund 3,5 Millionen US Dollar kostet. Und als ob das nicht genug wäre, braucht es in diesem politisch sensiblen Gebiet auch noch komplexe Forschungsgenehmigungen und die Erlaubnis, Proben zu exportieren. Meistern lassen sich diese administrativen Hürden nur in enger Zusammenarbeit mit einem chinesischen Forschungsinstitut. Teilfinanziert wird die Bohrung ausserdem von einem grossen Forschungsverbund: dem International Continental Scientific Drilling Program (ICDP).

Mit dem Bohren eines 400 Meter langen Bohrkerns ist die Arbeit jedoch bei weitem nicht getan: Ein Teil der Analysen muss aus Zeitgründen gleich vor Ort durchgeführt werden. Für die übrigen Untersuchungen müssen die Sedimentproben auf minus 60 Grad tiefgefroren und nach Europa verfrachtet werden.

Forschungsdisziplinen spannen zusammen

Erst an dieser Stelle kommt das Projekt von Hendrik Vogel ins Spiel. Es nennt sich Deep biosphere-geosphere interactions at the top of the world – kurz DIGESTED – und ist vom Fördergefäss Sinergia des Schweizerischen Nationalfonds (SNF) mit drei Millionen Franken finanziert und auf die Dauer von vier Jahren angelegt. Mit seinem Sinergia Programm will der SNF die Zusammenarbeit von Forschenden fördern, die «interdisziplinär und mit Aussicht auf bahnbrechende Erkenntnisse» arbeiten. Die Konkurrenz um diese Fördermittel ist gross: bei der letzten Ausschreibung betrug die Erfolgsquote gerade mal 27 Prozent.

Der interdisziplinäre Ansatz spiegelt sich beim an der Universität Bern angesiedelten DIGESTED Projekt in den vier unterschiedlichen Disziplinen und Institutionen wieder. Beteiligt sind

  • die Sedimentäre Geochemie in Bern,
  • die Mikrobiologie an der Universität Lausanne,
  • die Paläolimnologie an der Universität Greifswald in Deutschland
  • und die Edelgasgeochemie an der Eawag, dem Wasserforschungsinstitut des ETH-Bereichs.

Zusammen wollen die beteiligten Forschungsgruppen klären, wie sich Sedimente nach ihrer Ablagerung verändern.

Neue Methoden sollen Verständnis schärfen

Klar ist, dass auch in Material, das vor tausenden von Jahren abgelagert wurde, biologische und geochemische Prozesse weitergehen. «Auf den ersten Blick sieht Sediment tot aus», erklärt Hendrik Vogel, «doch es steckt voller Leben. Selbst in grossen Tiefen finden noch mikrobielle Aktivitäten statt.» Theoretisch sei Leben bis zu einer Temperatur von knapp über 100 Grad möglich, was einer Sedimenttiefe von knapp drei Kilometern entspricht.

Das raue tibetische Hochland, mit dem Nam Co See im Hintergrund. © Hendrik Vogel
Das raue tibetische Hochland, mit dem Nam Co See im Hintergrund. © Hendrik Vogel

Diese Veränderungen zu verstehen ist wichtig, denn sie erschweren die Rekonstruktion des prähistorischen Klimas. Das Projekt soll deshalb helfen, Fehler in den Rekonstruktionen zu vermeiden. «Dadurch können wir unser Verständnis der Auswirkungen von historischen Klimaveränderungen auf die Monsune schärfen. Damit werden wir auch besser vorhersehen können, wie die Monsune auf den menschgemachten Klimawandel reagieren», sagt Vogel.

Dabei sollen neue Methoden zum Einsatz kommen: «Der technologische Fortschritt ermöglicht es uns die Zusammensetzung der mikrobiellen Gemeinschaft und deren Stoffumsatz im Sediment genau zu bestimmen», erklärt Vogel. Dazu soll alle im Nam Co Bohrkern vorhandene DNA sequenziert werden – unter anderem um abzuklären, in welcher Tiefe welche Mikroben leben. Man könne so Grundsätzliches über die noch kaum erforschte tiefe Biosphäre erfahren. «Grundlagenforschung eben», so Vogel.

Der im DIGESTED Projekt betriebene Aufwand ist gross, und sein Erfolg hängt von vielen Unwägbarkeiten ab. Schlussendlich sollen die Resultate in ein übergeordnetes, multinationales Klimarekonstruktionsprojekteinfliessen – einem Verbundprojekt, an dem mehrere Dutzend Partner beteiligt sind. Da mögen sich Aussenstehende fragen, ob sich all die Arbeit wirklich lohnt. Hendrik Vogel beantwortet die Frage mit einem Lächeln: «Die einfachen Dinge in der Klima- und Umweltforschung sind grösstenteils gemacht, jetzt geht es ans Eingemachte.»

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Das Forschungsprojekt «DIGESTED»

Der Schweizerische Nationalfonds hat dem Sinergia-Projekt mit dem Titel: «Deep biosphere-geosphere interactions at the top of the world (DIGESTED): Ein interdisziplinärer Ansatz zur Interpretation einer Million-Jahre-Klimaaufzeichnung aus dem Nam-Co-See auf dem tibetischen Plateau» Forschungsgelder von etwa 3 Millionen Franken zugesprochen. Das multidisziplinäre Projekt verbindet Fachwissen aus den Geowissenschaften mit dem aus der Umweltphysik und der Mikrobiologie, um die Klimadynamik, die den Monsun und die westlichen Zirkulationssysteme beeinflusst, besser zu verstehen und gleichzeitig die Reaktion der tiefen Biosphäre auf klimatische und tektonisch bedingte Veränderungen der Sedimentzusammensetzung zu untersuchen. Das Projekt wird in enger Zusammenarbeit mit der Uni Lausanne, der Eawag und der Uni Greifswald in Deutschland sowie mit weiteren Projektpartnern und Mitarbeitern aus der Schweiz und dem Ausland durchgeführt. Hendrik Vogel vom Oeschger-Zentrum für Klimaforschung OCCR und dem Institut für Geologie der Universität Bern ist der wissenschaftliche Leiter des Sinergia-Projekts. Mit Sinergia fördert der SNF Projekte, bei denen zwei bis vier zusammenarbeitende Gesuchstellende interdisziplinär und mit Aussicht auf bahnbrechende Erkenntnisse forschen.

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