Internationale Netzwerke
Neue Lösungen für Landfragen
Land ist der Schlüssel, um globale Krisen anzugehen – sei es bei der Biodiversität, dem Klima oder den Konflikten um Ressourcen. Dies ist die Überzeugung der Forschenden, die im Global Land Programme zusammengeschlossen sind. Nach sieben intensiven Jahren in Bern zieht das Koordinationsbüro des internationalen Netzwerks nun turnusgemäss weiter. Eine Bilanz.
Für Berner Verhältnisse war es fast schon ein Event der Superlative: Über 600 Personen aus Wissenschaft, Praxis und Politik aus aller Welt hatten sich im April 2019 an der Uni Bern eingefunden, um sich darüber auszutauschen und zu diskutieren, wie Land global genutzt wird und wie es als System für eine nachhaltige Entwicklung gemanagt werden sollte. Denn: «Land ist der Schlüssel, um die heutigen Herausforderungen und Krisen anzugehen – sei es bei der Biodiversität, dem Klima oder den Konflikten um Ressourcen», war und ist die Gemeinschaft der Land-Fachleute überzeugt.
«Land ist der Schlüssel, um die heutigen Herausforderungen und Krisen anzugehen – sei es bei der Biodiversität, dem Klima oder den Konflikten um Ressourcen.»
Hinter dem Open Science Meeting zu Landnutzungssystemen stand das Global Land Programme GLP, dessen Koordinationsbüro ab 2016 am CDE beheimatet war. Es ist eines der 27 Netzwerke der internationalen Plattform Future Earth, die für globale Umwelt- und Nachhaltigkeitsforschung steht. Und es war eines von vier Future Earth-Programmen mit Sitz in der Schweiz.
Dieses Kapitel ist abgeschlossen. Das internationale Koordinationsbüro des GLP zog im März 2023 an die Universität Maryland, USA, weiter. Die Rotation des Head Offices ist Programm, denn: Gastgeber des GLP zu sein, sollte eine Ehre sein, so Peter Messerli, vormals Direktor des CDE und heute der Wyss Academy for Nature sowie Co-Vorsitzender des GLP und einer der Initianten der Berner GLP-Station.
Die Anfänge des Global Land Programme
Wir treffen ihn per Zoom in Kenia. Obschon sehr beschäftigt, nimmt er sich ausgiebig Zeit, um über das Global Land Programme und dessen sieben Jahre in Bern zu sprechen. Das GLP scheint – und das nicht nur für ihn – eine Herzensangelegenheit zu sein.
Gestartet hatte das Netzwerk um die Jahrtausendwende in Dänemark, danach transferierte es seinen internationalen Sitz nach Brasilien, um schliesslich ans CDE zu gelangen. «Wir haben uns gesagt: Da investieren wir!», erinnert sich Peter Messerli. Es war eine strategische Positionierung des CDE mit eigenen Mitteln, zumal sich das GLP mit seiner Ausrichtung dafür anbot, auch eine wichtige Rolle an der Schnittstelle zwischen Politikgestaltung (policy) und Wissenschaft zu spielen.
Inhaltlich hat das Netzwerk seine Wurzeln in der Aufbruchstimmung, die in den späten Nullerjahren herrschte. Auf internationaler Bühne fing man 2012 unter dem Titel «Planet under Pressure» an, Klima, Biodiversität und ökologische Degradation in einem systemischen Zusammenhang mit Armut, Ernährungssicherheit, Energie und Gouvernanzfragen zu thematisieren – und die Wissenschaft auf inter- und transdisziplinäre Partnerschaften einzuschwören. Ein Ansatz, den das CDE seit seiner Gründung angewandt hatte.
Beim GLP schlossen sich die Forschenden in einer globalen Community zusammen, deren Anziehungskraft auch darin bestand, die eigenen disziplinären Grenzen zu überschreiten, holistisch zu denken und systemische Lösungen anzupeilen. Es war, in Peter Messerlis Worten, die «Community der Un-Disziplinierten».
Stimulierend, so lässt er durchblicken, wirkte auch die Überzeugung, dass die Organisation der Wissenschaft nicht ausschliesslich den Universitäten überlassen werden dürfe. Der Grund: Für die grossen gesellschaftlichen Fragen von heute brauche es eine Missions- und Problem-orientierte Forschung, für die es in den universitären Systemen jedoch wenig Platz gibt. Vor diesem Hintergrund habe man am CDE international organisierte Forschungsnetzwerke wie das GLP als Rückenwind empfunden.
Ansiedlung an das Centre for Development and Environment
Als neuer Gastgeber des GLP wollte das CDE aber auch zu dessen Entwicklung beitragen. Mit einem dreifachen Versprechen: Erstens die Wissenschaft der Landnutzungssysteme enger mit der Nachhaltigkeitswissenschaft zu verknüpfen. Zweitens transdisziplinäre Methoden in die Land System Science einzubringen – sprich das Know-how, wie man seitens der Forschung mit ausser-akademischen Akteuren wie der lokalen Bevölkerung gemeinsam(es) Wissen erarbeitet. Und drittens – «was uns am CDE besonders am Herzen lag» – die ganze Nord-Süd-Dimension im GLP stärker zu verankern, da sie die zentralen Fragen der Gerechtigkeit massiv beeinflusst: Wer hat Zugang zu Land? Wie wird dieses genutzt? Wer entscheidet darüber?
Den Worten folgten alsbald Taten: 2016 übernahm Ariane de Bremond die Geschäftsleitung des internationalen GLP-Büros am CDE. Zusammen mit anderen Forschenden zu Landnutzungssystemen am CDE krempelte sie die Ärmel hoch und das GLP um. Erstmals wurden am GLP Arbeitsgruppen ins Leben gerufen, um hierarchische Strukturen zu durchbrechen, den Austausch in der Community zu intensivieren und die transdisziplinäre Arbeitsweise im Netzwerk zu fördern.
«Aufgrund seines Schwerpunkts in der transdisziplinären Forschung war das CDE ein idealer Ort. Aber auch das wissenschaftliche Umfeld in der Schweiz – mit seinem Netzwerk für transdisziplinäre Forschung an den Akademien der Wissenschaften, dem td-net – spielte eine wichtige Rolle für uns», sagt Ariane de Bremond rückblickend. Die erste Arbeitsgruppe am GLP bildete sich denn zum Thema «Co-Produktion von nachhaltigen Landnutzungssystemen» mit rund 90 Mitgliedern aus Wissenschaft und Praxis.
Gleichzeitig suchte das GLP mit finanzieller Unterstützung der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) den Anschluss an internationale NGOs wie der International Land Coalition, ein Netzwerk, das sich global für Landrechte einsetzt. Weiter förderte das GLP den Austausch mit anderen Akteuren, beispielsweise an den jährlichen Kongressen der Weltbank oder den grossen UNO-Konferenzen. «Punkto Politik und Entscheide spielt die Musik auf dieser Ebene und wenn man als Forschungsnetzwerk relevant sein will, muss man dorthin gehen», unterstreicht Peter Messerli.
Pionierrolle in den Nachhaltigkeitsdebatten
Sowohl thematisch wie methodisch erlangte das GLP in der Folge mehr Sichtbarkeit in den Nachhaltigkeitsdebatten. Der Co-Vorsitzende attestiert dem GLP hierbei eine Pionierrolle: «Heute ist es für alle selbstverständlich, dass Land System Science eine Nachhaltigkeitswissenschaft ist, die neben der beschreibenden Dimension auch die normative und transformative Dimension zum Bestandteil unserer Wissenschaft macht – also auf die Fragen eingeht: Was wollen wir als Gesellschaft erreichen? Und: wie gelangen wir dorthin?»
Kam hinzu, dass das GLP-Büro in Bern dem Netzwerk zu neuem Drive verhalf. «Wir starteten mit einer Adresskartei von rund 400 Mailadressen, wussten aber kaum mehr über diese Personen und ihre Forschung. Heute haben wir einen Datensatz von weltweit 2400 Wissenschaftler*innen, von denen wir wissen, auf welchem Gebiet der Land System Science sie tätig sind, wozu sie forschen und wo sie arbeiten», stellt Ariane de Bremond fest. Kurz: «Unsere Community ist stark gewachsen, der Austausch hat zugenommen und der Graben zwischen globalem Norden und Süden hat sich bezüglich unserer Mitglieder verringert», fasst die GLP-Geschäftsleiterin zusammen. Denn im Unterschied zur Zeit vor 2016 stammen heute 40 Prozent der Mitglieder aus dem globalen Süden.
Das eigentliche Highlight, wo all die verschiedenen neuen Stränge zusammenkamen, war besagtes Open Science Meeting (OSM) 2019 in Bern. «Seither ist Bern auf dem Schirm von allen, die zu Land forschen», wie es Peter Messerli ausdrückt. Die Konferenz habe Massstäbe gesetzt – sowohl inhaltlich, aber auch atmosphärisch. «Das Zusammengehörigkeitsgefühl der Community hat hier Auftrieb erhalten.»
«Das Open Science Meeting hat Massstäbe gesetzt – sowohl inhaltlich, aber auch atmosphärisch.»
Peter Messerli
Aber hat das GLP mit seiner Konferenz auch auf das wissenschaftliche Bern gewirkt? «Ich würde sagen ja», so Peter Messerli. Vorher hätten das CDE und das Geographische Institut der Uni Bern zu Land und Landnutzungsthemen gearbeitet. «Mit dem OSM kamen viele weitere Forschende aus Bern und der übrigen Schweiz hinzu. Die Akademie der Naturwissenschaften Schweiz sprach sich alsdann für eine finanzielle Unterstützung des Programmes aus. Und international gesehen hat das GLP dem Wissenschaftsstandort Bern punkto Anerkennung sicher geholfen.»
Sieben Jahre in Bern – eine reine Erfolgsstory?
In vielen Punkten sei man vorangekommen, meinen Peter Messerli und Ariane de Bremond unisono. Aber da sind auch Schwachpunkte. Einer davon betrifft die Mehrfachbelastung seiner Mitglieder: Obwohl viele engagiert mitmachen, geschieht dies mangels Finanzierungsmöglichkeiten auf Basis Ehrenamt. Ein klares Hindernis, wenn es um gezielte, koordinierte Forschungsvorhaben geht, mit denen sich Fragen rund um Land und seine Nutzung stärker artikulieren – und vor allem ins Zentrum der Nachhaltigkeitsdebatte stellen – liessen.
Darüber dass das dringend nötig wäre, herrscht bei der Land System Science Community kein Zweifel. «Wie wir unser Land nutzen, wird darüber entscheiden, ob die Menschheit die Herausforderung meistern kann, mit dem Klimawandel auf gerechte Art umzugehen, den Verlust der biologischen Vielfalt zu stoppen und menschenwürdige Lebensgrundlagen für alle zu schaffen», sagte Casey Ryan von der Universität Edinburgh. Das war im Februar 2022 anlässlich der Publikation einer Studie in der renommierten Fachzeitschrift PNAS sowie einem Begleitbericht «10 Fakten zu Land», zu denen 50 GLP-Mitglieder beigetragen hatten.
Allein – und darauf kommt fast jedes Gespräch mit Landnutzungs-Spezialist*innen: Dem Thema Land fehlt es an mächtigen Fürsprechern – gerade auch in den globalen Debatten. Peter Messerli: «Inzwischen kommt es zwar an den grossen Konferenzen zu Klima und Biodiversität zur Sprache, aber teils mit widersprüchlichen Zielsetzungen. Das ist Ausdruck davon, dass wir noch immer die Symptome bekämpfen wollen. Systemisch betrachtet sind es aber Landnutzungs- und Ernährungssysteme, mit denen man den Symptomen tatsächlich begegnen kann. Dort sind wir aber noch nicht angelangt.»
Vielleicht gelingt dies jetzt in Maryland. In seiner neuen Heimat will das GLP weitere Schritte nach vorn machen. Sei es, um die Community in Nord- und Südamerika zu stärken, sei es mit der Nachbarschaft zur NASA mit ihrem Programm zur Änderung von Bodennutzung und -bedeckung, ihrem methodischen Fachwissen und ihrem Datenschatz via satellitengestützter Fernerkundung.
Und vielleicht gelingt es den Un-Disziplinierten, in den USA erneut zur Inspiration für andere zu werden. Wir in Bern jedenfalls drücken die Daumen – und bleiben dran.
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