Kultur als Motor für Nachhaltigkeit

Trotz klaren Fakten zur Klimakrise und zum Artensterben ist der Gegentrend zu diesen existenziellen Bedrohungen schwach. Die Geisteswissenschaften könnten vielfältige Beiträge dazu leisten, wie eine Konferenz der Universität Bern deutlich machte.

Alle sechs Jahre publiziert der Zwischenstaatliche Ausschuss für Klimaänderungen (IPCC) seinen Bericht zum Stand des Klimawandels. Die Ergebnisse sind Mal für Mal alarmierend. Doch obwohl wir wissen, dass sich die Erderwärmung beschleunigt und jährlich über 10’000 Tier- und Pflanzenarten aussterben, boomen Flugreisen, der Fleischkonsum geht kaum zurück. Das nackte Wissen allein genügt also offenbar nicht, um persönliches Verhalten und politisches Handeln so zu verändern, dass sie Wirkung zeigen.

Die Naturwissenschaften mögen zwar die Zahlen zum Schmelzen der Eiskappen oder zum Rückgang der Insekten liefern. Doch damit diese Erkenntnisse Folgen haben, könnten wiederum die Geisteswissenschaften den entscheidenden Beitrag liefern. Dieser These geht das Projekt «Mediating the Ecological Imperative» (vgl. Kasten) nach, das Bezug nimmt auf den «Ökologischen Imperativ» in Hans Jonas’ philosophischer Schrift «Das Prinzip Verantwortung».

Fehlende Vorstellung der Klimadystopie

«Warum handeln wir so inkonsistent?», fragte denn auch Virginia Richter, Vize-Rektorin der Universität Bern, als sie am Samstag den Kongress «Remediations: Ecologies, Encounters, Engagements» eröffnete. Und die designierte Rektorin bot zu dieser Frage auch gleich eine Antwort: Wir könnten uns schlicht nicht vorstellen, wie eine Welt aussehe, deren Bevölkerung es nicht geschafft habe, den Anstieg der weltweiten Durchschnittstemperatur auf zwei Grad zu begrenzen. Aber die Menschen in Europa und in den USA seien massgeblich dafür verantwortlich, dass die CO2-Emissionen überschiessen. An den bessergebildeten Schichten in diesen Weltregionen liege es denn auch, mit wirksamen Gesetzen und persönlichem Verhalten voranzugehen. Die Universität Bern selbst wolle bis 2025 klimaneutral werden, beispielsweise indem Uni-Angehörige wenn immer möglich auf Flugreisen verzichteten.

«Wir können uns eine zwei Grad wärmere Welt schlicht nicht vorstellen.»

Virginia Richter

Richter forderte, die Nachhaltigkeit müsse in den Geisteswissenschaften viel sichtbarer werden. Das Wissen soll sich nicht nur in Fachbeiträgen niederschlagen, sondern auch in die Öffentlichkeit getragen werden. Zudem müsse Interdisziplinarität konsequent angestrebt werden. «Unser Oeschger-Zentrum für Klimaforschung nennt schon heute explizit Schnittstellen wie Philosophie und Geschichte», so Richter. Und schliesslich müsse Nachhaltigkeit in den Geisteswissenschaften auch institutionell verankert werden.

Kunst muss allzu häufig hintanstehen

Dass Nachhaltigkeit für die Kunst kein Neuland ist, machte Diego Mantoan deutlich. Der Professor für Geschichte an der Universität Palermo bot einen Tour d’Horizon über die vergangenen 20 Jahre, in denen die bildenden Künste je länger je mehr das ökologische Denken aufgenommen haben. Ein wichtiger Anstoss war 2001 das «Tutzinger Manifest», das forderte, die Nachhaltigkeitspolitik müsse das Potenzial nutzen, das Kultur, Ästhetik und Kunst böten. Noch früher war der Aktionskünstler Joseph Beuys, der in den Achtzigerjahren mit seinen 7000 gepflanzten Eichen in Kassel für eine «Stadtverwaldung» (statt «Stadtverwaltung») plädierte und damit auch auf die Notwendigkeit von mehr Stadtgrün aufmerksam machte.

«Geisteswissenschaften werden bisher üblicherweise erst am Schluss von Prozessen berücksichtigt.»

Diego Mantoan

Die von nachhaltigen Ideen geprägten Kunstwerke und -Aktionen der letzten zwei Jahrzehnte evozieren dabei eine Utopie oder die Apokalypse, machen auf ein menschliches Fehlverhalten aufmerksam oder kritisieren die Diskriminierung von Minoritäten. Indem die Botschaft von professionellen Kunstschaffenden stammt, strahlt sie auch immer auf den Resonanzkörper von Publikum, Kunstmarkt und Museen aus. Ob die Kunst die Gesellschaft tatsächlich beeinflusst und – in Bezug auf Nachhaltigkeit – zum Handeln bringt, liess Mantoan offen. «Ein Problem ist, dass Kunst und andere Geisteswissenschaften bisher üblicherweise erst am Schluss von Prozessen berücksichtigt werden.» Dabei wäre es entscheidend, sie von Anfang an gleichberechtigt mit anderen Parametern wie der Finanzierung oder technischen Fragen mitzudenken.

Der Geruch des Pariser Klimavertrags

Wie präsent Nachhaltigkeit respektive die ökologischen Dystopien in der Literatur sind, darüber referierte Gabriele Dürbeck. Die Professorin für Literatur- und Kulturwissenschaften an der Universität Vechta zeigte am Beispiel des Vorreiters der Klimafiktion Kim Stanley Robinson («Das Ministerium für die Zukunft», 2020), wie Literatur die allernächste Zukunft vorwegnehmen und zugleich aufrütteln und motivieren kann. Eine Parallele zur Aktualität zog sie zwischen den Terrorakten im «Ministerium» und den teilweise als Terroristen verunglimpften «Klimaklebern» auf unseren Strassen.

Kunst spricht – anders als Zahlen – alle Sinne an. Deshalb ermöglicht sie einen besonderen Zugang zum Thema, wie das Forschungsthema von Qiao Hu beweist. Die Assistentin der Kunstgeschichte an der Universität Bern und Kongressbesucherin erforscht für ihre Doktorarbeit die olfaktorische Kunst. Hu: «Es gibt weltweit nur wenige Kunstschaffende, die mit dem Geruch arbeiten. Aber diese nehmen erstaunlich häufig Nachhaltigkeitsthemen auf.» Als Beispiele nennt sie den künstlerischen Ansatz, den Geruch ausgestorbener Blumen zu rekonstruieren. Eine andere Künstlerin beschäftigt sich mit der Frage, wie wohl das Pariser Klimaabkommen von 2015 riecht.

Das koloniale Erbe meldet sich

Klar muss das Klima dringend ins Lot kommen und der Umwelteinfluss der Menschen muss generell sinken. Doch auch gesellschaftlich liege viel in Schieflage, machte Sria Chatterjee vom Londoner Paul Mellon Center for Studies in British Art deutlich. Chatterjee sezierte am Kongress Bilderwelten aus der Kolonialzeit. Anhand von zwei zeitgenössischen Kunstwerken, die sich auf klassische Vorbilder beziehen, zeigte sie, wie Aktualisierung und teils manipulative Veränderung von historischen Kunstwerken die Augen für Unrecht öffnen, das vor hunderten von Jahren begangen wurde. Diese Erkenntnis von Verbrechen gegenüber den damals kolonialisierten Völkern könnte auch zu Rückgaben oder Wiedergutmachung führen, wie sie seit einigen Jahren vermehrt – gerade auch aus der Kunstbranche – gefordert und teilweise auch umgesetzt werden.

«Neben der ökologischen müssen wir auch die soziale Dimension der Nachhaltigkeit mitdenken.»

Peter J. Schneemann

Die Zerstörung der Umwelt geht häufig einher mit der Unterdrückung von Minderheiten, wie die Forschung von Valentina Bonifacio, Ausserordentliche Professorin für Umweltgeschichte der Ca’ Foscari Universität Venedig, nachwies. Durch Zufall stiess sie im paraguayischen Chaco, der von Abholzung bedroht ist, auf das Phänomen von «Sagua’a»: verwilderte Rinder, die während 200 Jahren in Lateinamerika frei lebten und von der Bevölkerung gejagt wurden. Mit Hilfe des «Señuelo», eines auch «Judas Cow» genannten domestizierten Rindes, lockten die Einheimischen die wilden Artgenossen aus dem Wald, um ihrer leichter habhaft zu werden. Analog zu diesem Köder verhielt es sich mit Indigenen, wie Bonifacio an einem Beispiel nachwies: Missionare im Chaco schickten Ende des 19. Jahrhunderts «José» zu seinem Stamm zurück, damit er sein Umfeld ebenfalls zum Christentum und zur «Zivilisation» bekehre – womit er die ganze Familie verriet.

Die Universität will sich öffnen

Die Art, wie sich die Geisteswissenschaften den dringlichen Forderungen von Klimakrise, Artensterben und Aufarbeitung des kolonialen Erbes annehmen, ist enorm vielfältig. Nachhaltigkeit nicht einfach als neues Gebiet zu verstehen, sondern in das bestehende Lehrangebot zu integrieren, beispielsweise im Master «Ausstellungs- und Museumswesen» der Universität Bern, sei anspruchsvoll, erklärte Peter J. Schneemann, Professor für Kunstgeschichte der Moderne und der Gegenwart an der Universität Bern und Co-Projektleiter von «Remediations». Denn neben der ökologischen müsse auch die soziale Dimension der Nachhaltigkeit mitgedacht werden. «Nötig sind ein Paradigmenwechsel und ein neues Beziehungsgeflecht.» Im dritten Jahr des Projekts wird dafür auch stärker der Kontakt zur Öffentlichkeit gesucht: mit einer Aktion im Botanischen Garten Bern, einer Filmvorstellung und Anfang November einem Workshop zum Klimawandel mit dem indischen Schriftsteller Amitav Ghosh zu seinem 2017 erschienenen Buch «Die grosse Verblendung».

Das Forschungsprojekt «Ökologischer Imperativ»

Das SNF-Projekt «Mediating the Ecological Imperative: Formats and Modes of Engagement» ist ein gemeinsames Forschungsvorhaben der Institute für Kunstgeschichte, Amerikanistik und Sozialanthropologie der Universität Bern. Zudem wird eine Zusammenarbeit mit der Nationalen Autonomen Universität von Mexiko (UNAM) realisiert. Forschungsschwerpunkte sind die Bildpolitik des Klimawandels, die Rolle ökologischer Fragen in Kunst und Literatur sowie das gesellschaftliche Engagement für die Umwelt in indigenen Kulturen. Den Begriff des Ökologischen Imperativs prägte der Philosoph Hans Jonas bereits mit seinem Buch Das Prinzip Verantwortung (1979), in dem er in Anlehnung an Immanuel Kants «Kategorischen Imperativ» eine ökologische Handlungsmaxime formulierte: «Handle so, dass die Wirkungen deiner Handlungen verträglich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden».

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