Chancengleichheit
Gegen Sexismus, Belästigung und Gewalt im Medizinstudium
Der Chancengleichheitspreis Prix Lux der Universität Bern geht dieses Jahr an ein Kollektiv von Medizinstudierenden: CLASH Bern setzt sich gegen Sexismus und sexuelle Belästigung im Spital- und Unialltag zur Wehr.
uniAKTUELL: Sie und Ihre Mitstudierenden engagieren sich mit CLASH, dem Collectif de Lutte contre les Attitudes Sexistes en milieu Hospitalier, gegen Sexismus und sexuelle Belästigung im Spital- und Unialltag. Was treibt Sie an, sich neben dem intensiven Medizinstudium dafür Zeit und Energie zu nehmen?Fabienne Steinauer: Am Anfang standen die eigenen Erfahrungen. Oft schämt man sich zuerst und fragt sich, ob es wirklich so schlimm war oder ob man etwas falsch verstanden hat. Dann habe ich in Gesprächen gemerkt, dass fast alle Mitstudierenden auch Sexismus oder sexuelle Belästigung erlebt oder beobachtet haben. Das gibt mir Kraft, etwas gegen diese Missstände zu unternehmen: Künftige Medizinstudierende sollen nicht mehr damit rechnen müssen, sexuell belästigt zu werden.
Können Sie ein paar Beispiele nennen?Steinauer: Ein Patient fragte beispielsweise eine Studentin während einer Sitzwache: «Wollen Sie sich nicht zu mir ins Bett legen?» Und einer Studentin ist es während der Sitzwache passiert, dass ein Patient vor ihr zu masturbieren begann und sie dabei anschaute.
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Elisabeth Bamberg: Nein. Wir wissen auch von vielen Beispielen, in denen Vorgesetzte sich so verhalten. Ein Chirurg, etwa, meinte während einer Operation zu einer Studentin: «Falls du noch einen Sugar Daddy brauchst, melde dich bei mir.» Ein Assistenzarzt meinte auch: «Am Wochenende wird es regnerisch, perfektes Wetter zum Liebe machen. » Die Bandbreite reicht von anzüglichen Sprüchen oder dem Versprechen von Vorteilen, wenn man zu sexuellen Handlungen Hand bietet, bis zu sexualisierter Gewalt. Und es ist uns wichtig zu betonen: Allen Geschlechtern können sexuelle Belästigungen widerfahren.
«Künftige Medizinstudierende sollen nicht mehr mit sexueller Belästigung rechnen müssen.»
Fabienne Steinauer
Ist das Medizinstudium ein besonders anfälliger Bereich für solche Grenzüberschreitungen?Elisabeth Bamberg: Um das gesichert beantworten zu können, fehlen Statistiken, aber wir gehen davon aus. Unser Studium verbindet viele Elemente, die sexuelle Belästigung und sexualisierte Gewalt begünstigen: Bei Untersuchungen kommt es oft zu Körperkontakt. Dazu kommt, dass wir Studierenden mitunter jeden Monat in einem anderen Spital arbeiten. Das heisst, wir können kaum Vertrauensverhältnisse im Team aufbauen. Das macht uns leichter ausnutzbar. Ausserdem sind hierarchische Strukturen in Spitälern sehr ausgeprägt – das begünstigt sexuelle Übergriffe.
Welchen Weg wählen Sie mit CLASH Bern, um bei diesem sensiblen Thema etwas zu verändern?Steinauer: Wir wollen informieren, sensibilisieren, uns sichtbar machen und zu Solidarität und Zivilcourage aufrufen. Wir planen deshalb die Errichtung einer Meldeplattform bis Ende 2023, auf welcher man sich anonym melden kann, sowie Vorträge und Plakatkampagnen. Dabei ist eine wichtige Botschaft von uns: Wenn in einer Gruppe ein sexistischer Spruch zulasten einer anderen Person fällt, zum Beispiel während einer Visite im Spital, dann zeigt Zivilcourage, lacht nicht mit, und wenn ihr es euch zutraut, sagt etwas!
Wie soll die Meldeplattform funktionieren?Steinauer: Menschen sollen sich sicher und anonym melden können, wenn sie selber Sexismus, sexuelle Belästigung oder sexualisierte Gewalt erfahren oder als Drittperson miterlebt haben. Ziel ist, an Daten zu kommen, um ein präziseres und fundierteres Bild davon zu haben, wie häufig und in welchen Situationen welche Vorfälle passieren. Diese Daten sollen uns helfen, die Problematik sichtbar zu machen.
Bamberg: Die Plattform soll eine niederschwellige Möglichkeit bieten, einen Vorfall zu melden, ohne sich entblössen zu müssen. Wenn man persönlich irgendwohin gehen muss, steigt die Hemmschwelle.
Wie sollen die Daten konkret genutzt werden?Steinauer: Die ausgewerteten Daten werden wir dem Berner Institut für Hausarztmedizin, der Interfakultären Kommission für Gleichstellung und der Medizinische Fakultät zur Verfügung stellen und möglicherweise im Rahmen einer Masterarbeit veröffentlichen. Letztlich sollen sie eine Grundlage für Gespräche und Zusammenarbeiten mit den betroffenen Institutionen dienen.
Was raten Sie Betroffenen, die konkrete Hilfe suchen?Bamberg: Einerseits verweisen wir an spezialisierte Anlaufstellen, etwa die Meldestelle der Medizinischen Fakultät oder die psychologische Beratung der Berner Hochschulen. Andererseits wollen wir Gespräche mit Peers anbieten. Manchmal hilft es, über einen Vorfall mit anderen Studierenden sprechen zu können, die schon ähnliche Situationen erlebt haben.
Was bedeutet Ihnen der Prix Lux?Bamberg: Diesen Preis zu bekommen, ist mega schön und wichtig. Die Universität gibt unserer Sensibilisierungsarbeit dadurch den nötigen Wert und anerkennt, dass gegen sexuelle Belästigung und sexuelle Übergriffe etwas unternommen werden muss. Ausserdem hilft uns die Preisverleihung dabei, unsere Arbeit sichtbarer zu machen. Davon erhoffen wir uns, dass wir mit unserer Botschaft mehr Leute erreichen. Wir sind zurzeit zu siebt und würden uns über weitere Mitstreiterinnen und Mitstreiter freuen.
«Wir würden uns über weitere Mitstreiterinnen und Mitstreiter freuen.»
Elisabeth Bamberg
Steinauer: Und das Preisgeld von 2000 Franken ist für uns ein sehr willkommener Zustupf für künftige Projekte. Es macht uns unabhängiger und gibt uns beispielsweise die Möglichkeit, mal eine Fachperson für einen Vortrag einzuladen.
CLASH gibt es auch in Genf, Lausanne, Zürich, Freiburg, Lugano. Wie eng ist die Zusammenarbeit?Bamberg: Ziemlich eng. Wir treffen uns zweimal jährlich, tauschen uns über unsere Projekte aus und sind daran, CLASH Schweiz zu gründen.
Steinauer: CLASH Lausanne existiert schon seit 2018 und ist natürlich eine Inspiration. Die Mitglieder pflegen mittlerweile einen institutionalisierten Austausch mit dem dortigen Unispital und bieten Workshops mit Schauspielerinnen und Schauspielern an, in denen problematische Situationen angeschaut werden. Das könnte für uns auch interessant sein, braucht aber weitere Abklärungen und Gespräche mit der medizinischen Fakultät. Wir stehen erst am Anfang.
«Sexismus, sexuelle Belästigung und sexualisierte Gewalt machen vor den Toren des Medizinstudiums nicht Halt.»
Fabienne Steinauer
Sie engagieren sich Bottom up – was erwarten Sie top down?Steinauer: Wir erwarten in erster Linie, dass die verschiedenen Institutionen – die Universität, die medizinische Fakultät und Vorgesetzte in Spitälern – anerkennen, dass Sexismus, sexuelle Belästigung und sexualisierte Gewalt vor den Toren des Medizinstudiums nicht Halt machen und ein Problem darstellen. Wir erwarten, dass sie mit uns ins Gespräch kommen. So können wir gemeinsam auf die Sorgen und Befürchtungen aller Beteiligten eingehen und Lösungen suchen.
Prix Lux
Der «Prix Lux» der Universität Bern prämiert Engagement für die Chancengleichheit. Für den Preis nominiert werden können Gruppen, kleineren oder grösseren Einheiten, die sich für die Gleichstellung im Bereich «Gender und Diversität» an der Universität Bern engagieren. Die dabei angewandten Massnahmen sollen eine Diskussion zu Gleichstellungs- und Chancengleichheitsthemen anregen, innovativ, originell und nachhaltig sein sowie Transferpotenzial aufweisen. Die nächste Ausschreibung für den Preis erfolgt im Frühjahrsemester 2024. Der diesjährige Prix Lux wird am 21. November um 18:15 Uhr im Kuppelraum (Raum 501) im Hauptgebäude der Universität Bern überreicht.
CLASH Bern
CLASH steht für « COLLECTIF DE LUTTE CONTRE LES ATTITUDES SEXISTES EN MILIEU HOSPITALIER ». Das erste Kollektiv ist 2018 in Lausanne entstanden, mittlerweile gibt es auch CLASH-Gruppierungen in Zürich, Freiburg, Genf und Lugano. CLASH Bern wurde Anfang 2023 von Medizinstudierenden gegründet, zählt aktuell sieben Mitglieder und setzt sich gegen Sexismus, sexuelle Belästigung und sexualisierte Gewalt im Universitäts- und Spitalalltag während des Medizinstudiums ein.