Sie machte aus dem Weltraumforscher einen Detektiv

Tatiana Keller (Drozhzhova) ist Teilchenphysikerin mit Doktortitel und Filmemacherin. Als Mitglied der Forschungsgruppe von Astrophysiker Nicolas Thomas an der Universität Bern kam sie auf die Idee, eine Kurzfilm-Serie über die Berner Mars-Kamera CaSSIS und die Geheimnisse des roten Planeten zu kreieren.

Von Brigit Bucher 02. Juni 2023

Tatiana Keller anlässlich der Preisverleihung am diesjährigen Global Science Film Festival © zvg Global Science Film Festival
Tatiana Keller anlässlich der Preisverleihung am diesjährigen Global Science Film Festival © zvg Global Science Film Festival

Am 14. März 2016 startete die Berner Mars-Kamera CaSSIS an Bord der Raumsonde ExoMars ihre Reise, um seit April 2018 hochaufgelöste Farbbilder von der Marsoberfläche zu liefern. Das Kamerasystem wurde unter Leitung von Nicolas Thomas an der Universität Bern entwickelt und gebaut.

Dass der Weltraumforscher einmal als gezeichneter Detektiv in Kurzfilmen über die spektakulären Bilder und die Geheimnisse des Mars sprechen würde, hat Thomas sich wohl nicht träumen lassen. In der Videoserie «CaSSIS. Mars demystified» geht der zum Detektiv gewordene Astrophysiker zum Beispiel den Fragen nach, woher die geheimnisvollen Streifen auf der Marsoberfläche stammen und wie gewaltige «Staubteufel» auf dem Mars entstehen können (einen Link zu den Videos finden Sie unten).

Nicolas Thomas als Detektiv in der Kurzfilmserie «CaSSIS. Mars demystified», von der zwei Folgen publiziert sind.
Nicolas Thomas als Detektiv in der Kurzfilmserie «CaSSIS. Mars demystified», von der zwei Folgen publiziert sind. © zvg Magic Science Pro, illustration: Arina Stupak

Die Kurzfilme, in denen leicht verständlich die wissenschaftlichen Erkenntnisse, die dank CaSSIS über den Mars gewonnen werden konnten, erklärt werden, stammen von Tatiana Keller. Die junge Russin lebt seit Februar 2020 in Bern und war bis Anfang 2023 Mitglied von Thomas‘ Forschungsgruppe.

Nun wurde die erste von vier geplanten Folgen am 5. Global Science Film Festival, welches in der Schweiz, Japan, Indien und China stattfand, als «Bester Kurzfilm» ausgezeichnet (mehr Informationen zum Festival finden Sie hier: https://www.sciencefilm.ch/). uniAKTUELL hat im Gespräch mit Tatiana Keller erfahren, wie eine promovierte Teilchenphysikerin dazu kommt, Filme über Weltraumforschung zu machen.

Preisverleihung am Global Science Film Festival. Von links nach rechts: Nicolas Thomas, Tatiana Keller, Camilla Cesar, Samer Angelone (Direktor des Festivals)
Preisverleihung am Global Science Film Festival. Von links nach rechts: Nicolas Thomas, Tatiana Keller, Camilla Cesar, Samer Angelone (Direktor des Festivals) © zvg Global Science Film Festival

Wie alles begann

Keller hörte zum ersten Mal im Jahr 2019 auf einer Planetenforschungs-Konferenz von Thomas’ CaSSIS-Projekt. Sie wurde neugierig und sah, dass es zu diesem Zeitpunkt eine freie Stelle im Team gab. «Ich bewarb mich und war ehrlich gesagt sehr erstaunt, dass ich zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen wurde». Erstaunt, weil sie eigentlich aus der Teilchenphysik kommt und nicht aus der Weltraumforschung.

Die Russin erzählt von ihrem Werdegang: «Ich komme aus einem kleinen Dorf. Mein Vater ist Pilot und beruflich oft in St. Petersburg. Eines Tages brachte er mir Broschüren von der St. Petersburg State University mit. Ich war überzeugt, dass dies die beste Universität der Welt sei in meiner absoluten Traumstadt», sagt sie lachend.

Nach einigen Umwegen bestand sie die Aufnahmeprüfung an der dortigen Physikalischen Fakultät. Während ihres Studiums erfuhr sie vom Teilchenbeschleuniger Large Hadron Collider am CERN in Genf. Keller sagt: «Die Welt der Teilchen und die Verbindung zur Weltraumforschung interessierten mich brennend. Ich wollte alles wissen, von der Skala der Elementarteilchen bis zu der des Universums, um zu verstehen, wie die physische Welt im Allgemeinen organisiert ist.» Sie schloss dann ihre Doktorarbeit an der St. Petersburg State University in einer Forschungsgruppe des Labors für Ultrahochenergiephysik ab und war an zwei Experimenten am CERN in Genf beteiligt.

«Als ich an meiner Doktorarbeit arbeitete, hatte ich das Gefühl, nicht mein ganzes Potenzial zu realisieren», erzählt Keller. Sie dachte darüber nach, wovon sie schon als Kind fasziniert gewesen sei: vom Weltall und dem US-amerikanischen Astrophysiker Carl Sagan, der sich als Fernsehmoderator und Sachbuchautor dafür einsetzt, den Menschen die Weltraumforschung näher zu bringen. «Carl Sagan wollte den Menschen die Schönheit der Forschung vermitteln, um sie zu inspirieren.»

Keller hatte zudem schon lange ein Hobby – sie drehte in ihrer Freizeit kurze Outreach-Videos. Also beschloss sie, eine zweite Ausbildung als Filmregisseurin und Drehbuchautorin an der Kinematographie-Universität Russlands (VGIK) zu absolvieren. Sie kombinierte Abendkurse und die letzten Vorbereitungen für die Verteidigung ihrer Dissertation.

Nach einem Jahr lud sie ein befreundeter Physiker an das Budker Institut für Nuklearphysik in Novosibirsk ein, um gemeinsam einen Spielfilm über Teilchenphysik zu drehen. «Es sollte eine Geschichte über ein kleines Mädchen namens Alice werden, welches im dortigen Teilchenbeschleuniger während einer Führung verloren ging.»

Tatiana Keller mit der Hauptdarstellerin Kristina Vogel ihres ersten Filmprojekts.
Tatiana Keller mit der Hauptdarstellerin Kristina Vogel ihres ersten Filmprojekts. © zvg Tatiana Keller

«Leider konnte der Film noch nicht fertig gestellt werden, da es an finanzieller Unterstützung für die visuellen Effekte mangelte, die für die Darstellung der Welt der Partikel erforderlich sind», wie Keller sagt. Jedoch war sie ihrem Ziel, es ihrem grossen Vorbild Sagan gleichzutun und Wissenschaft einem breiten Publikum zu vermitteln, einen Schritt nähergekommen.

Wenn die Weltgeschichte Pläne durchkreuzt

Im Februar 2020 kam sie an die Universität Bern in die CaSSIS-Forschungsgruppe. «Nach anderthalb Monaten erfasste die Covid-Pandemie auch die Schweiz. Ich war eingesperrt und fühlte mich wie im Film ‘The Martian’. Ich hatte noch keine Freundschaften geschlossen in Bern und kannte nur ein paar Leute aus der Forschungsgruppe.»

Sie kam in die Forschungsgruppe von Nicolas Thomas um ein Simulationsmodells zu entwickeln zur Bestimmung der Eigenschaften und Zusammensetzungen von Planetenoberflächen auf der Grundlage der Reflexion. Dabei hatte sie ihm von ihrem Hobby als Filmemacherin erzählt. «Er war der erste Professor, der nicht zu mir sagte, ich solle nur auf die Wissenschaft fokussieren, sondern mich motivierte, etwas aus den faszinierenden CaSSIS-Bildern zu machen», erzählt sie. Für sie seien die CaSSIS-Bilder der Marsoberfläche regelrechte Kunstwerke.

Thomas bereitete für sie eine Excel-Datei mit seinen Ideen vor, welche physikalischen Erkenntnisse in der ersten CaSSIS-Folge enthalten sein könnten. Keller erzählt: «Ich war glücklich, dass ein so grosser Wissenschaftler nicht nur meine Idee für den Film unterstützte, sondern auch in den Entstehungsprozess eingebunden war! Die Excel-Datei diente mir als Vorlage für das Drehbuch: Ich schob ein paar Sachen hin und her und reicherte das Skript von einem filmischen Standpunkt her an: Es sollte eine fesselnde Geschichte werden mit einem Helden und weiteren Figuren wie einem vorwitzigen Bücherwurm.»

Bilder wie Kunstwerke: CaSSIS-Aufnahme vom Rand des Korolev-Kraters
Bilder wie Kunstwerke: CaSSIS-Aufnahme vom Rand des Korolev-Kraters © ESA/TGO/CaSSIS CC BY-SA 3.0 IGO

Das CaSSIS-Filmprojekt wurde dann aber mangels Budgets für ein Jahr auf Eis gelegt, da es wiederum viel Computergrafik erforderte. Es konnte schliesslich dank einem Unterstützungsbeitrag des Nationalen Forschungsschwerpunkts NFS PlanetS realisiert werden.

«Ich arbeitete online mit dem gleichen Team, mit dem ich bereits bei früheren Weltraumfilmprojekten wie 'Through the Stardust' und 'Dust puzzles' zusammengearbeitet hatte. Wir haben alle die gleiche Leidenschaft für Wissenschaftsvermittlung im Medium Film und haben uns unter dem Namen Magic Science Pro zusammengetan», erzählt Keller (siehe https://magicsciencepro.com). Für die CaSSIS-Videoserie konnte sie den Grafikdesigner Tim Stupak und seine Frau Arina Stupak, die als Illustratorin tätig ist, sowie die Schweizer Künstlerin Geena Gasser gewinnen. «Dank ihnen konnte ich die physikalische Erklärung hinter den CaSSIS-Bildern auf eine faszinierende und attraktive Weise auf den Bildschirm bringen», wie Keller sagt.

Filmstill einer von Tim Stupak entworfenen Marslandschaft
Filmstill einer von Tim Stupak entworfenen Marslandschaft © zvg Magic Science Pro

Doch dann kam der Ukraine-Krieg. Die Arbeit an den CaSSIS-Filmen musste über Monate aufgrund der für alle Beteiligten extrem belastenden Situation eingestellt werden. «Dank dem grossen Engagement des Teams haben wir es aber dann trotzdem irgendwie geschafft, die beiden ersten Episoden fertigzustellen», erzählt Keller Drozhzhova nachdenklich.

Von der richtigen Balance

Ob und wann Keller die zwei weiteren CaSSIS-Episoden wird realisieren können, ist also im Moment noch unklar. Sie gibt jedoch nicht auf und sucht weiterhin nach finanzieller Unterstützung für Computergrafik und künstlerische Elemente, da dies der zentrale Kern der «Mars demystified»-Filmreihe ist. Ihr Vertrag an der Universität Bern ist ausgelaufen, aber sie weiss noch nicht, ob sie ihre Karriere in der Wissenschaft oder als Filmemacherin fortsetzen wird, denn in ihrer idealen Welt sieht sie sich diese beiden Wege miteinander verbinden – so wie einst der US-amerikanische Astronom, Fernsehmoderator und Schriftsteller Carl Sagan.

Am Ende unserer Begegnung verrät Keller, woher die Rolle von Nicolas Thomas in den Filmen stammt. Zunächst sollte er selbst gar nicht vorkommen in den CaSSIS-Videos, sondern nur seine Stimme aus dem Off. Doch die Filme brauchten einen Helden. «Nick brachte mich fast um, als ich ihm den Entwurf des Films vorlegte, in dem er als Detektiv auftritt», sagt sie lachend. Thomas sei es wichtig gewesen, dass die Wissenschaft im Film «gut rüberkommt». Keller ergänzt: «Die richtige Balance zu finden zwischen Vermittlung von Wissen und humorvollen Elementen wie unserem Bücherwurm, ist uns wohl nicht so schlecht gelungen – jedenfalls ist Nicolas Thomas nun auch sehr zufrieden mit den Videos.»

"CaSSIS. Mars demystified. Devils", Episode 1

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"CaSSIS. Mars Demystified. Chameleons", Episode 2

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BERNER WELTRAUMFORSCHUNG: SEIT DER ERSTEN MONDLANDUNG AN DER WELTSPITZE

Als am 21. Juli 1969 Buzz Aldrin als zweiter Mann aus der Mondlandefähre stieg, entrollte er als erstes das Berner Sonnenwindsegel und steckte es noch vor der amerikanischen Flagge in den Boden des Mondes. Dieses Solarwind Composition Experiment (SWC), welches von Prof. Dr. Johannes Geiss und seinem Team am Physikalischen Institut der Universität Bern geplant, gebaut und ausgewertet wurde, war ein erster grosser Höhepunkt in der Geschichte der Berner Weltraumforschung.

Die Berner Weltraumforschung ist seit damals an der Weltspitze mit dabei: Die Universität Bern nimmt regelmässig an Weltraummissionen der grossen Weltraumorganisationen wie ESA, NASA oder JAXA teil. Mit CHEOPS teilt sich die Universität Bern die Verantwortung mit der ESA für eine ganze Mission. Zudem sind die Berner Forschenden an der Weltspitze mit dabei, wenn es etwa um Modelle und Simulationen zur Entstehung und Entwicklung von Planeten geht.

Die erfolgreiche Arbeit der Abteilung Weltraumforschung und Planetologie (WP) des Physikalischen Instituts der Universität Bern wurde durch die Gründung eines universitären Kompetenzzentrums, dem Center for Space and Habitability (CSH), gestärkt. Der Schweizer Nationalsfonds sprach der Universität Bern zudem den Nationalen Forschungsschwerpunkt (NFS) PlanetS zu, den sie gemeinsam mit der Universität Genf leitet.

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