Nachhaltiger Tourismus durch soziale Innovation

Der Tourismus beeinflusst Klima, Gesellschaft und Wirtschaft. Umgekehrt bedroht der Klimawandel den klassischen Schweizer Wintertourismus. Monika Bandi Tanner, Co-Leiterin der Forschungsstelle Tourismus (CRED), plädiert dafür, nüchtern abzuklären, welche Transformation sinnvoll und machbar sind.

Ohne Beschneiung funktioniert alpines Skifahren nicht mehr. Mittelfristig braucht es im Wintersport neue Angebote. © Wikimedia
Ohne Beschneiung funktioniert alpines Skifahren nicht mehr. Mittelfristig braucht es im Wintersport neue Angebote. © Wikimedia
Nach den Beschränkungen während der Pandemie wird heute in Sachen Reisen viel nachgeholt. Macht dieser Reisehunger das im nachhaltigen Tourismus bisher Erreichte zunichte?

Monika Bandi Tanner: Tatsächlich hat die Pandemie Ferien in der Nähe stark in den Fokus gerückt und die Ausrichtung auf Fernmärkte in Frage gestellt. Doch Tourismus ist ein international bedeutender Wirtschaftszweig. Zudem ist das Fernweh im modernen Menschen fest verankert. Obwohl Fluggesellschaften geschrumpft und Hotels Konkurs gegangen sind, bleibt die Nachfrage nach touristischen Leistungen gross. Die wachsende Sensibilität für nachhaltigeres Reisen ist dabei kein Selbstläufer. Denn am bequemsten ist es, wieder in den alten Trott zu verfallen.

Früher galt ein Hotel als nachhaltig, wenn es den Abfall trennte und nicht jeden Tag das Bettzeug wechselte. Ist man heute weiter?

Tatsächlich wird die Nachhaltigkeit inzwischen viel breiter betrachtet. Zum einen gehören auch Menschenrechte oder Inklusion dazu, wie etwa das Hotel Dom in St. Gallen zeigt, wo psychisch beeinträchtigte Menschen beschäftigt sind. Zum andern wird kontinuierlicher und systematischer gearbeitet. Die Schweizer Jugendherbergen beispielsweise haben seit 2000 ihre Klimaemissionen um beeindruckende 60 Prozent reduziert. Beim Wintertourismus wiederum sind Energie und Wasser die Schwerpunkte, das ist auch finanziell relevant. Zentral ist aber, was in der Praxis auch umgesetzt wird.

Wie hat sich der Fokus Ihrer Forschungsstelle seit der Gründung 2012 weiterentwickelt?

Als ich vor zehn Jahren hier begann, waren die Erlebnisökonomie und Qualitätsorientierung wichtig. Heute stehen soziale Innovationen als Chancen für eine nachhaltige Entwicklung im Blickfeld. Ein Beispiel ist Adelboden, wo viele Ferienwohnungen stehen, die dringend saniert werden sollten, damit sie für Gäste attraktiv bleiben. Beim Projekt «Sanieren ist die halbe Miete» bezahlt die Gemeinde die Beratung vor und während des Umbaus, wenn die Wohnung nachher während mindestens drei Jahren vermietet wird. Für die Sanierungsarbeiten wurden bevorzugt lokale Bauunternehmen beauftragt. Das zeigt, dass eine Idee aus der Bevölkerung eine neue Zusammenarbeitsform ermöglicht und gleichzeitig wirtschaftliche Impulse gibt.

Monika Bandi Tanner ist Co-Leiterin der Forschungsstelle Tourismus am Zentrum für Regionalentwicklung (CRED) der Universität Bern. © zvg
Monika Bandi Tanner ist Co-Leiterin der Forschungsstelle Tourismus am Zentrum für Regionalentwicklung (CRED) der Universität Bern. © zvg

Für den Wintertourismus sind Seilbahnen zentral – aber lohnen sie sich noch?

Das Thema ist bei uns ein Dauerbrenner. Ein Projekt an der Forschungsstelle Tourismus untersucht, wie weit die Wettervorhersagen einen Einfluss auf die Nachfrage nach den Leistungen von Bergbahnen haben. Eine andere Studie diskutiert die Frage, wie weit sich Investitionen in Seilbahnen lohnen, wenn gleichzeitig die Gäste immer mehr aufs Geld achten. Wir untersuchen nicht nur, wie Subventionen den Betrieb einer Seilbahn selbst beeinflussen, sondern auch, was das für die regionale Wirtschaft bedeutet. Doch wir müssen auch berücksichtigen, ob Angebote und Investitionen in der Nachbarschaft einander konkurrenzieren. Dabei hilft uns, dass wir an unserer Forschungsstelle interdisziplinär aufgestellt sind.

Gleichzeitig sinkt die Zahl der Schneetage. Erkennen die Bahnbetreiber, was auf sie zukommt?

Viele Seilbahnen denken kurz- und mittelfristig und versuchen, das Tagesgeschäft zu meistern. Besonders die mittelgrossen Anlagen in den Voralpen kommen zunehmend in die Bredouille. Die explodierenden Stromkosten verschärfen das Problem. Denn die Elektrizität für die Beschneiung entspricht bei vielen Bahnen etwa der Hälfte der benötigten Energie.

Kann das gut gehen?

Bei vielen nicht, nein. Die Destinationen sind diesbezüglich weitsichtiger als früher und überlegen heute schon, wie der Tourismus in 20, 30 Jahren aussehen könnte. Hier spricht man offen darüber, dass es mittelfristig im Wintersport neue Angebote braucht, von Winterwandern über Schlitteln bis zu Wellness und Genusswochen. Besonders weitsichtig macht das Scuol. Aus der früheren Schwäche der Abgelegenheit hat sich mit dem Vereinatunnel eine Stärke ergeben. Scuol ist innovativ, fokussiert auf die Nachhaltigkeit im Tourismus und profitiert natürlich auch stark von der Nähe zum Nationalpark.

Zur Person

Monika Bandi Tanner

Monika Bandi Tanner ist Co-Leiterin der Forschungsstelle Tourismus am Zentrum für Regionalentwicklung (CRED) der Universität Bern.

Über die Forschungsstelle Tourismus (CRED)

Die Forschungsstelle Tourismus ist Teil des Center for Regional Economic Development (CRED) integriert. Als interdisziplinäre Forschungsstelle befasst sie sich mit touristischen Fragestellungen mit breiter volkswirtschaftlicher Perspektive und unter Einbezug anderer relevanter Aspekte und Disziplinen. Zudem gilt sie als Anlaufstelle für Fragen der touristischen und regionalwirtschaftlichen Entwicklung sowie für angewandte Forschung und Dienstleistung. Sie fiert 2022 ihr zehnjähriges Bestehen.

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