Weltraumforschung
Von der Vision zur Mission
Die Weltraummission Juice der europäischen Weltraumorganisation ESA wird am 13. April 2023 ihre Reise zum Jupiter antreten und dort unter anderem bei drei Eismonden nach Spuren von Leben suchen. Beteiligt an diesem Unterfangen ist auch die Universität Bern. «uniaktuell» stellt einige der hiesigen Forschenden vor, die massgeblich an der Realisierung von Juice mitarbeiten.
Die Spannung steigt: Am Donnerstag, 13. April 2023 um 14:15 Uhr soll die Weltraumsonde Juice (Jupiter ICy moons Explorer) an Bord einer ARIANE 5 Rakete ihre Reise vom europäischen Weltraumbahnhof in Kourou, Französisch-Guayana, zum Jupiter antreten. Nach einer ca. achtjährigen Reise wird Juice beim Jupiter ankommen und dort den grössten Planeten unseres Sonnensystems und drei seiner über 80 Monde erforschen. Dabei handelt es sich um die Eismonde Ganymed, Kallisto und Europa – eisige, dunkle Welten: Die Durchschnittstemperatur auf deren Oberfläche liegt bei unter minus 140 Grad Celsius. An Bord von Juice werden sich zehn Instrumente befinden. Die Universität Bern trägt das Massenspektrometer NIM (welches Teil des Particle Environment Package PEP ist) zur Mission bei und ist an zwei weiteren Instrumenten beteiligt: Dem Submillimeter Wave Instrument SWI und dem Laser Altimeter GALA.
Yann Alibert: Früher Visionär
Von der Idee für eine Weltraummission bis zur Umsetzung vergeht in der Regel viel Zeit. An der Uni Bern gibt es einige Menschen, die von Beginn an bei Juice involviert waren. Einer von ihnen ist Yann Alibert, heute Co-Direktor des hiesigen Center for Space and Habitability. Die prominente Beteiligung der Universität Bern an Juice ist für ihn eine logische Folge ihrer langen Tradition und ausgewiesenen Expertise der Weltraumforschung: «Die Uni Bern war mit dem Sonnenwindsegel ja bereits an der ersten Mondlandung beteiligt. Und seither nehmen wir regelmässig mit Instrumenten an Weltraummissionen der grossen Weltraumorganisationen wie ESA, NASA oder JAXA teil», sagt Alibert.
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Als junger Postdoc war Alibert beteiligt an einem Vorschlag an die ESA für eine Weltraummission zur Erforschung des Jupitersystems. Im März 2007 hatte die ESA eine Aufforderung zur Einreichung von Missionsvorschlägen für ihr Weltraummissionsprogramm «Cosmic Vision 2015-2025» veröffentlicht. Alibert arbeitete zu dieser Zeit an theoretischen Modellen zur Entstehung von Monden sowie von Jupiter und Saturn. «Wir benannten damals unsere vorgeschlagene Mission nach dem französischen Wissenschaftler Pierre-Simon Laplace. Er war einer der ersten gewesen, der vorschlug, dass sich Planetensysteme in einer Scheibe um die Sonne bilden könnten», erzählt Alibert. Der LAPLACE Vorschlag wurde von der ESA ausgewählt und in Zusammenarbeit mit der NASA zunächst zum Missionskonzept namens EJSM (Europa-Jupiter-System Mission) weiterentwickelt. Darauf aufbauend wurde der LAPLACE-Vorschlag von der ESA schliesslich zur Weltraummission Juice ausgearbeitet. «Juice ist also gewissermassen das Enkelkind von LAPLACE», erklärt Alibert und lacht. «Dass unsere ‘Idee’ nun zum Jupiter fliegt, macht mich natürlich schon ziemlich stolz!»
Audrey Vorburger: Astrophysikerin im Höhenflug
Audrey Vorburger ist Deputy Co-Principal Investigator des Particle Environment Packages (PEP) und gleichzeitig wissenschaftliche Leiterin eines der sechs Instrumente von PEP, dem Massenspektrometer NIM. Dieses wird dereinst die chemische und isotopische Zusammensetzung und Verteilung der Teilchen in den Atmosphären von Jupiters Eismonden sowie die physikalischen Parameter der Mondatmosphären untersuchen. «Im Dezember 2009 nahm ich bereits als Mitglied des PEP Teams an der allerersten PEP Sitzung teil. Mit grosser Freude durften wir dann miterleben, wie die ESA im Mai 2012 mitteilte, dass JUICE zur Realisierung ausgewählt worden war, und wie sie im Februar 2013 bekannt gab, dass PEP für die Reise zum Jupiter selektiert worden war», sagt Vorburger.
Zum Zeitpunkt, als die jeweiligen Juice-Instrumententeams die wissenschaftlichen Co-Investigators bestimmen konnten, wertete Vorburger die aktuellen Daten des Neutralteilcheninstruments CENA von Chandrayaan-1 (Indiens erster Mission zum Mond) aus und beschäftigte sich intensiv mit Planetenatmosphären. «Da ich damit die perfekten Voraussetzungen hatte, wurde ich zu einem der beiden wissenschaftlichen Co-Investigators für das Massenspektrometer NIM ernannt», erzählt sie.
Für Vorburger geht mit Juice ein Traum in Erfüllung: «Es ist ein einzigartiges Gefühl zu wissen, dass das Instrument, das man in der Hand hält, eines Tages ins All fliegen und uns neue Erkenntnisse über unser Universum liefern wird». Gefragt nach ihren persönlichen Highlights im Projekt, antwortet sie: «Die stehen noch an: Ich freue mich natürlich auf den unmittelbar bevorstehenden Launch und den Moment in dem wir die Gewissheit haben, dass Juice nun sicher seine Reise zum Jupitersystem angetreten hat; und dann insbesondere auf die ersten wissenschaftlichen Daten die uns unsere Instrumente liefern werden.» Zur Weltraumforschung an der Uni Bern sagt Vorburger: «An der Uni Bern entstehen ganze Missionen, von der Vision, über die Konzeptualisierung und den Bau, bis zur Datenauswertung. Und dabei gehen Wissenschaft und Technologie immer Hand in Hand. Hier wird Wissenschaft gelebt!»
André Galli: Langstreckenläufer mit guten Nerven
Seit gut zehn Jahren ist André Galli im Juice Team, ziemlich genau seit dem Moment, als die ESA die JUICE-Mission auswählte und bestätigte, dass die Universität Bern an der Weltraummission zum Jupiter beteiligt sein wird. Galli ist der sogenannte Project Scientist des NIM Massenspektrometers. Er erklärt: «Ich bin beteiligt an der Planung der Messungen von NIM. Dafür betreibe ich Forschung im Labor und in der Theorie, damit wir eine Vorahnung haben, was uns bei den Messungen dereinst erwartet.»
Als Galli ins Juice Team kam, war er Mitglied des Forschungsteams von Professor Peter Wurz und war bereits in Weltraummissionen zum Mars, zur Venus und zur Erforschung des Sonnenwinds involviert gewesen. Auch für Galli war die Teilnahme an Weltraummissionen ein lang gehegter Wunsch: «Seitdem ich als Jugendlicher die Planeten und Sterne von einem Hügel im Emmental aus beobachtete, wollte ich unbedingt einmal an einer Weltraummission beteiligt sein.»
Aufgrund des Umfangs und der Komplexität von Weltraummissionen wie Juice ist eine internationale Zusammenarbeit unabdingbar: Das erforderliche Budget übersteigt in der Regel bei weitem das, was ein einzelnes Land (ausser vielleicht die USA) für eine derart komplexe Mission leisten kann, und auch das benötigte Fachwissen ist üblicherweise nicht in einem einzelnen Land zu finden. Die Arbeit in solch grossen internationalen Teams über Jahrzehnte hinweg ist spannend, aber auch anspruchsvoll, wie Galli erzählt: «Es braucht von allen Beteiligten auch Frustrationstoleranz und einen langen Atem. Hierbei habe ich als Langstreckenläufer gute Voraussetzungen.»
Andreas Riedo: An die Front katapultiert
Einer, der später zum Juice-Team stiess, ist der heutige NIM-Projekt Manager Andreas Riedo. «2020 kam ich gerade von meinem Einstein-Fellowship aus Berlin zurück. Der damalige Projektmanager Davide Lasi nahm eine Stelle in den USA an, und da kam Professor Peter Wurz auf mich zu und fragte mich, ob ich Interesse hätte in dieser heissen Phase bei Juice einzusteigen.» Seit seinem Master war Riedo wiederholt an Weltraummissionen beteiligt gewesen: «Mit dem Juice-Job-Angebot aber wurde ich direkt an die Front von Weltraumissionen katapultiert. Perfekt!»
Auch er erzählt von der hochkomplexen internationalen Zusammenarbeit: «An der Uni Bern waren wir für die Integration und Tests von drei weiteren Juice Instrumenten verantwortlich, dem sogenannten PEP-Lo NU System, an dem Deutschland, Finnland, Schweden, Ungarn beteiligt sind. Die ganze Arbeit ist also überaus international, und alle Zahnräder müssen miteinander synchron laufen, damit wir gute Arbeit abliefern können.» Dies sei sehr komplex, mache die Arbeit aber äusserst spannend.
«Seit Jahrzenten werden an der Uni Bern High-Tech Instrumente für die Weltraumforschung entwickelt und gebaut», schwärmt Riedo: «Deshalb haben wir ein einzigartiges technisches Umfeld aufgebaut, um solche Instrumente auf Herz und Nieren zu testen.» Etwa Vibrationstische, um den Raketenstart zu simulieren. Oder grosse Kammern, die es erlauben, die Funktionsweise der entwickelten Systeme unter Weltraumbedingungen zu testen.
Die Juice-Mission will fundamentalen Fragen zur Entstehung von Planeten und deren Monden klären – und es geht auch um die Suche nach Anzeichen für Leben. Daten früherer Weltraummissionen und Modellrechnungen legen nahe, dass sich tief unter der äusseren Eisschicht von Ganymed und Europa unterirdische Ozeane befinden. Nach heutigem Kenntnisstand besitzen die Ozeane sämtliche Eigenschaften, die es braucht, damit Leben entstehen – und längerfristig existieren kann. Dazu Riedo: «Der Einfluss auf uns Menschen und unsere Denkweise, falls wir Anzeichen von Leben finden sollten? Unbeschreiblich! Wir könnten das erste Mal sagen, dass wir nicht alleine sind.»
Serie
Die Menschen hinter Juice
Dieser Artikel ist Teil einer Serie, in der die Menschen an der Uni Bern vorgestellt werden, die an der Weltraummission Juice beteiligt sind. Lesen Sie am 15. März den zweiten Artikel, der die Leute vorstellt, die für das Design, die Konstruktion, Mechanik und Elektronik der JUICE Instrumente zuständig sind.
DIE UNIVERSITÄT BERN FLIEGT ZUM JUPITER
Unter der Leitung von Peter Wurz ist das Neutral and Ion Mass Spectrometer (NIM) am Physikalischen Institut der Universität Bern entwickelt und gebaut worden. Dieses ist Teil des ‘Particle Environment Package’ (PEP), welches aus sechs unterschiedlichen Spektrometern besteht. Das Massenspektrometer NIM wird die chemische und isotopische Zusammensetzung und Verteilung der Teilchen in den Atmosphären von Jupiters Eismonden sowie die physikalischen Parameter dieser Atmosphären untersuchen.
Das Institut für Angewandte Physik hat unter der Leitung von Axel Murk die Optik und die Kalibrationseinheit für das Submillimeter Wave Instrument (SWI) entwickelt. Im Herbst 2020 wurde die Optik für das SWI am Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung integriert und getestet. Das SWI wird die Stratosphäre von Jupiter sowie die Atmosphären und Oberflächen von Jupiters Eismonden vermessen. Anstelle von sichtbarem Licht, wird das Instrument die thermische Strahlung von Jupiters Stratosphäre in Submillimeterwellenlängen messen, um die Temperaturverteilung, die Zusammensetzung und die Winde in der Atmosphäre zu ermitteln. Zusätzlich werden die Atmosphären sowie die Oberflächeneigenschaften der Monde untersucht.
Ebenfalls an Bord von Juice wird das Laser Altimeter GALA sein, für welches am Physikalischen Institut unter der Leitung von Nicolas Thomas das sogenannte ‘Range Finder Module’ entwickelt wurde. GALA wird die Topographie von Ganymed untersuchen.
Förderung durch das SBFI / Abteilung Raumfahrt
Der Bund beteiligt sich an der JUICE Mission im Rahmen des PRODEX-Programms (PROgramme de Développement d'EXpériences scientifiques) der Europäischen Weltraumorganisation ESA. Über dieses Programm können national Beiträge für Wissenschaftsmissionen durch Projektteams aus Forschung und Industrie entwickelt und gebaut werden. Dieser Wissens- und Technologietransfer zwischen Wissenschaft und Industrie verschafft dem Werkplatz Schweiz letztlich auch einen strukturellen Wettbewerbsvorteil – und er ermöglicht, dass Technologien, Verfahren und Produkte in andere Märkte einfliessen und so einen Mehrwert für unsere Wirtschaft erbringen.
Juice Launch Anlass
Mit Live Stream aus Kourou und Space Talks
Donnerstag, 13. April, 13.00–16.00 Uhr
Universität Bern, Gebäude «Exakte Wissenschaften» Sidlerstrasse 5, 3012 Bern, Hörsaal 099
Der Anlass findet in Deutsch und Französisch statt.
Berner Weltraumforschung: SEIT DER ERSTEN MONDLANDUNG AN DER WELTSPITZE
Als am 21. Juli 1969 Buzz Aldrin als zweiter Mann aus der Mondlandefähre stieg, entrollte er als erstes das Berner Sonnenwindsegel und steckte es noch vor der amerikanischen Flagge in den Boden des Mondes. Dieses Solarwind Composition Experiment (SWC), welches von Prof. Dr. Johannes Geiss und seinem Team am Physikalischen Institut der Universität Bern geplant, gebaut und ausgewertet wurde, war ein erster grosser Höhepunkt in der Geschichte der Berner Weltraumforschung.
Die Berner Weltraumforschung ist seit damals an der Weltspitze mit dabei: Die Universität Bern nimmt regelmässig an Weltraummissionen der grossen Weltraumorganisationen wie ESA, NASA oder JAXA teil. Mit CHEOPS teilt sich die Universität Bern die Verantwortung mit der ESA für eine ganze Mission. Zudem sind die Berner Forschenden an der Weltspitze mit dabei, wenn es etwa um Modelle und Simulationen zur Entstehung und Entwicklung von Planeten geht.
Die erfolgreiche Arbeit der Abteilung Weltraumforschung und Planetologie (WP) des Physikalischen Instituts der Universität Bern wurde durch die Gründung eines universitären Kompetenzzentrums, dem Center for Space and Habitability (CSH), gestärkt. Der Schweizer Nationalsfonds sprach der Universität Bern zudem den Nationalen Forschungsschwerpunkt (NFS) PlanetS zu, den sie gemeinsam mit der Universität Genf leitet.