Wie man eine Weltraumsonde baut

Administration, Konstruktion, Mechanik, Elektronik, Softwareentwicklung, Wissenschaft und Projektleitung: für den Bau von Weltrauminstrumenten müssen, wie bei komplexen Puzzles, unterschiedlichste Bestandteile zu einem Ganzen zusammengefügt werden. Wie funktioniert das?

Von Sophie Krummenacher 15. März 2023

Ein Grund für eine kleine Feier: die erfolgreiche Fertigstellung des NIM-Instruments im August 2020. © Universität Bern
Ein Grund für eine kleine Feier: die erfolgreiche Fertigstellung des NIM-Instruments im August 2020. © Universität Bern

 

Am 13. April 2023 tritt die ESA-Raumsonde Juice ihre rund achtjährige Reise zum Jupiter an. Dort soll sie unter den kilometerdicken Eisschichten der eisigen Monde des Riesenplaneten nach Leben suchen. Für diese herausfordernde Aufgabe wurden in jahrelanger Arbeit komplexe Instrumente entwickelt – auch an der Universität Bern. Stellvertretend für die etwa 40 Mitarbeitenden des hiesigen Physikalischen Instituts, die am Bau von Instrumenten für Juice beteiligt waren, geben einige von ihnen einen Einblick in ihren Arbeitsprozess.

 

Auch für die Reise ins All braucht es die nötigen Papiere

«Wenn das Päckli kaputt geht, ist alles kaputt», sagt Susanne Wüthrich, seit zehn Jahren Projektassistentin bei der Abteilung für Weltraumforschung und Planetologie am Physikalischen Institut der Universität Bern und zuständig für Transporte und Administration. Bei jeder Lieferung eines Fluginstruments fiebert sie mit: «Wenn eine Kleinigkeit nicht stimmt, riskiert man, dass das Instrument Wochen beim Zoll festsitzt».

In einem internationalen Projekt wie Juice werden Bauteile oder Instrumente europaweit transportiert. Exportdeklaration, Spezialbewilligung, Steuererlass: Wüthrich geht dem nach und klärt ab, was notwendig ist für eine reibungslose Abwicklung. Da sich Regelungen und Anforderungen immer wieder ändern, wie zum Beispiel wegen des Brexits, bleibt sie stets auf dem neusten Stand. Jedes Mal, wenn ein Instrument ankommt, atmet sie wieder auf, weil man die notwendigen Bauteile «nicht im Bauhaus kaufen kann». Sie empfindet es als Sechser im Lotto, in einer Umgebung zu arbeiten, in der «verschiedene Teams das gleiche Ziel verfolgen».

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Schrauben mit Vornamen kennen

Martina Föhn war für das Design des Neutral and Ion Mass Spectrometers NIM zuständig, mit dem die Atmosphäre der Eismonde von Jupiter untersucht werden soll. NIM wurde am Physikalischen Institut der Universität Bern entwickelt und gebaut. Föhn hat Tests durchgeführt, um sicherzustellen, dass das Instrument während seiner Reise im Weltall zuverlässig funktionieren wird. Bei Weltrauminstrumenten werden jeweils zwei identische Kopien gebaut: das Flugmodell fliegt ins Weltall, während das Referenzmodell im Labor bleibt, um allfällige Tests während der Mission durchführen zu können. Beim Bau des Flugmodells dauerte es drei Monate, bis es funktionierte: «Jedes Instrument hat seinen eigenen Charakter. Gerade wenn es nicht funktioniert, lernt man es so gut kennen, dass man mit der Zeit gewisse Schrauben sozusagen mit Vornamen kennt.»

Auch für Harald Mischler, dem stellvertretenden Werkstattsleiter, gab es «einiges an Kopfzerbrechen und viele Stunden beim Auseinanderbauen, Flicken und wieder Testen». Das Referenzmodell baute das Team um Föhn Anfangs Dezember 2020: «Am 21. Dezember schaltete ich das Instrument zum ersten Mal an – und es funktionierte! Das war für mich das beste Weihnachtsgeschenk des Jahres.»

Sinnbildlich für die enge Zusammenarbeit zwischen den Beteiligten erzählt Föhn, dass sie bei gewissen Testphasen im Büro der Elektronikerinnen und Elektroniker «praktisch einen eigenen Arbeitsplatz hatte». Dass gewisse Arbeiten nur im Labor weitergeführt werden konnten, hat dazu geführt, dass Mitarbeitende des NIM-Teams Sonderbewilligungen erhielten, um während des Lockdowns am Physikalischen Institut weiterzuarbeiten. Harald Mischler erinnert sich an diese Wochen, während derer er mit einem kleinen Team in einem komplett leeren Institut arbeitete: «Fast abgeschottet von allen anderen zu arbeiten, hat uns sehr zusammengeschweisst.»

 

Die Menschen hinter Juice: Martina Föhn und Harald Mischler bauen das Massenspektrometer NIM in eine Testanlage ein. © Universität Bern
Die Menschen hinter Juice: Martina Föhn und Harald Mischler bauen das Massenspektrometer NIM in eine Testanlage ein. © Universität Bern

Elektronik und Software

Matthias Lüthi, seit 2014 zuständig für Konzept und Bau der Steuerelektronik des Massenspektrometers NIM, mit welchem das Instrument betrieben wird, ist fasziniert vom «Zusammenspiel von kleinsten Strömen, hohen Spannungen, diffiziler Mechanik und komplexer Software». Er arbeitet zusammen mit Severin Oeschger, der für die elektrische Hochspannung zuständig ist: «Vor meiner Anstellung im Projekt Juice bedeutete Hochspannung, dass ich einfach viel Platz brauche. Jetzt haben wir 14 verschiedene Hochspannungen auf einer Fläche von 13 x 13 cm und 4 cm Höhe eingebaut».

Entscheidend für die Anstellung Oeschger, des Elektronikers im NIM Team, war neben seinen Kompetenzen die Erfahrung, die er aus dem CHEOPS-Projekt mitnehmen konnte. Sein handwerkliches Geschick, das er seiner Lehre und dem Fachhochschulstudium verdankt, sieht er als ideale Ergänzung zum wissenschaftlichen Umfeld: «Es ermöglicht mir, aus dem eher theoretischen Konstrukt der Forschenden schlussendlich ein real funktionierendes Messgerät zu entwickeln. Dies gibt ihnen die Möglichkeit, ihren Fragen und Zielen näher zu kommen – auch unter sehr harschen Bedingungen.»

Oeschger stimmt Lüthi zu, wenn dieser sagt: «Bei einem solchen Projekt braucht es viel Ausdauer. Dafür sind dann teilweise auch sehr ausgefallene Lösungen möglich». Auf solche Lösungen musste Michael Althaus mehr als einmal zurückgreifen. Er hat die Software für NIM entwickelt, und dabei musste er stets im Auge behalten, dass «es nicht reicht, sich nur auf das eigene Instrument zu konzentrieren». Stattdessen, so der Softwareingenieur «muss bei vielem auch das gesamte komplexe System, also Juice, aber auch die eigentliche Kommandierung durch die Mission Control bei der ESOC in Darmstadt mit einbezogen werden». Nach dem Launch am 13. April 2023 gibt es für ihn noch «einen grösseren Brocken Arbeit mit der Inbetriebnahme des Instruments».

Mitarbeitende der Weltraumforschung und Planetologie (Thierry de Roche, Michael Gerber, Matthias Lüthi) in einem Reinraum mit dem Massenspektrometer NIM, das an der Universität Bern gebaut wurde. © Universität Bern, Bild: Thierry de Roche
Mitarbeitende der Weltraumforschung und Planetologie (Thierry de Roche, Michael Gerber, Matthias Lüthi) in einem Reinraum mit dem Massenspektrometer NIM, das an der Universität Bern gebaut wurde. © Universität Bern, Bild: Thierry de Roche

Praktisch von Null wieder anfangen

Nach 17 Jahren in der Entwicklung von Weltrauminstrumenten ist Daniele Piazza, Leiter Konstruktion, auch in diesem Projekt mit neuen Herausforderungen konfrontiert. Bei Juice ist es insbesondere die im Jupiter-System herrschende hochenergetische Strahlung, die die grössten Probleme bereitet.. Diese kann beispielsweise Funktion und Zuverlässigkeit der Elektronik beeinträchtigen, die deshalb in einem massiven Gehäuse untergebracht werden muss. Dank seiner hohen Dichte, stellte Wolfram die effizienteste Lösung für die Realisierung des Gehäuses dar. Umso wichtiger ist die Abschirmung der Detektoren, deren Signale von der Strahlung sonst gestört würden. Um den nur ein Zentimeter kleinen Detektor des NIM Spektrometers zu schützen, wurde ein Kilogramm Wolfram gebraucht – viel Gewicht für ein Instrument, das anschliessend ins Weltall fliegen wird!

Die ungewöhnlich hohe Masse der Hardware hat Piazza und sein Team, in Zusammenarbeit mit der Firma, die die Raumsonde gebaut hat, dazu veranlasst, «die ganze Architektur zu revolutionieren – obwohl das Design des Instruments bereits fortgeschritten war», sagt er stolz. Das Instrument wurde nicht wie üblich auf eine eigene Struktur integriert, die anschliessend an der Raumsonde angeschraubt wird. Piazza erzählt: «Die Firma hat uns einen Teil des Satelliten bereitgestellt und wir haben alle unsere Sensoren und die Elektronikbox auf diesem Paneel integriert. Das war eine sehr grosse Verbesserung, weil wirklich sehr viel Masse eingespart werden konnte. » Dass diese aufwändigere, aber effizientere Lösung erst spät im Entwicklungsprozess angegangen wurde, hängt mit dem komplexen Vorgehen beim Bau von Forschungsraumsonden zusammen. Viele Partner sind involviert und es gibt dementsprechend viele Schnittstellen. Als das Konstruktionsteam der Universität Bern mit der Entwicklung des Instruments begann, war es noch nicht klar, welche Firma die Raumsonde bauen würde. Erst als die Firma ausgewählt wurde, konnte die Arbeit «praktisch von Null wieder anfangen», so Piazza.

Das Massenspektrometer NIM beim Zusammenbau am Physikalischen Institut der Universität Bern. © Universität Bern, Bild: Martina Föhn
Das Massenspektrometer NIM beim Zusammenbau am Physikalischen Institut der Universität Bern. © Universität Bern, Bild: Martina Föhn

Jupiter etwas näherkommen

«Durch dieses Projekt ist mir Jupiter, trotz der riesigen Entfernung, etwas nähergekommen: Bei klarem Himmel werde ich mich in Zukunft bestimmt immer wieder dabei erwischen, wie ich nach Jupiter Ausschau halte,» sagt Mikko Kotiranta, Projektmanager am Institut für Angewandte Physik (IAP) der Universität Bern für das Submillimeter Wave Instrument SWI. Das SWI ist mit einem Teleskop ausgestattet, das kein sichtbares Licht, sondern Wärmestrahlung im Bereich der Submillimeterwellenlängen messen kann. Das ist wichtig, um etwa die Temperaturverteilung in Jupiters Atmosphäre und die Oberflächeneigenschaften von dessen Eismonden zu vermessen. Ein Team von vier Personen hat die Optik dafür an der Universität Bern entworfen. Ihre Rolle dabei war es unter anderem höchstgenau zu ermitteln, wie breit der Teleskopstrahl ist und wohin er zeigt – dies zu wissen, ist zwingend für zuverlässige Messungen. Eine knifflige Aufgabe bei einem unsichtbaren Strahl. Diese Aufgabe lösten die Wissenschaftler mit komplexen Simulationen und einem neuartigen, für das SWI entwickelten Prüfstand.. 

Karl Jacob, heute Co-Investigator für das SWI und früher Doktorand an der Universität Bern, hatte die Gelegenheit für sechs Monate am Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung (MPS) in Göttingen am Flugmodell zu arbeiten. In Erinnerung bleibt ihm, wie er «nach einer intensiven Testphase mit enormem Zeitdruck und unerwarteten Zwischenfällen mit den anderen Teammitgliedern auf ein Bier anstossen konnte.»

Im Jahr 2031 wird Juice voraussichtlich ihr Ziel erreichen. Gut möglich, dass die dann gewonnen Erkenntnisse bahnbrechend sein werden – und die Universität Bern wird daran massgeblich beteiligt sein. «Das wird den Jupiter hoffentlich nicht nur mir näherbringen, sondern uns allen», sagt Kotiranta.

Karl Jacob mit der SWI Empfängereinheit nach erfolgreichen Kalibrationstests im Reinraum am MPS in Göttingen. © Karl Jacob
Karl Jacob mit der SWI Empfängereinheit nach erfolgreichen Kalibrationstests im Reinraum am MPS in Göttingen. © Karl Jacob

Serie

Die Menschen hinter Juice

Dieser Artikel ist Teil einer Serie, in der die Menschen an der Uni Bern vorgestellt werden, die an der Weltraummission Juice beteiligt sind. Im ersten Artikel «Von der Vision zur Mission» wurden Forschenden der Universität Bern, die massgeblich an der Realisierung von Juice beteiligt sind, porträtiert. Lesen Sie am 22. März den dritten Artikel zu den drei Instrumenten mit Berner Beteiligung.

Zum vorherigen Artikel:

"Von der Vision zur Mission"

Juice Ausstellung

Ab April 2023 wird am Physikalisches Institut der Universität Bern (Sidlerstrasse 5, Erdgeschoss) ein fast drei Meter langes Model (1:10) der Raumsonde Juice sowie Instrumente ausgestellt. Der Inhalt der Ausstellung kann variieren, weil die Instrumente zum Teil für Tests in Gebrauch sind! In den weiteren Projektphasen dienen nämlich gewisse Instrumente, die auf der Erde geblieben sind, dazu Daten zu empfangen und auszuwerten, sowie die Messungen, die im Weltall gemacht werden, im Labor nachzustellen um die Ergebnisse zu verifizieren

Juice Launch Anlass

Mit Live Stream aus Kourou und Space Talks

Donnerstag, 13. April, 13.00–16.00 Uhr

Universität Bern, Gebäude «Exakte Wissenschaften» Sidlerstrasse 5, 3012 Bern, Hörsaal 099

Der Anlass findet in Deutsch und Französisch statt.

DIE UNIVERSITÄT BERN FLIEGT ZUM JUPITER

Unter der Leitung von Peter Wurz ist das Neutral and Ion Mass Spectrometer (NIM) am Physikalischen Institut der Universität Bern entwickelt und gebaut worden. Dieses ist Teil des ‘Particle Environment Package’ (PEP), welches aus sechs unterschiedlichen Spektrometern besteht. Das Massenspektrometer NIM wird die chemische und isotopische Zusammensetzung und Verteilung der Teilchen in den Atmosphären von Jupiters Eismonden sowie die physikalischen Parameter dieser Atmosphären untersuchen.

Das Institut für Angewandte Physik hat unter der Leitung von Axel Murk die Optik und die Kalibrationseinheit für das Submillimeter Wave Instrument (SWI) entwickelt. Im Herbst 2020 wurde die Optik für das SWI am Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung integriert und getestet. Anstelle von sichtbarem Licht, wird das Instrument dieWärmestrahlungin Submillimeterwellenlängen messen, um die Temperaturverteilung, die Zusammensetzung und die Winde in Jupiters Atmosphäre zu ermitteln. Zusätzlich werden die Atmosphären sowie die Oberflächeneigenschaften der Eismonde untersucht.

Ebenfalls an Bord von Juice wird das Laser Altimeter GALA sein, für welches am Physikalischen Institut unter der Leitung von Nicolas Thomas das sogenannte ‘Range Finder Module’ entwickelt wurde. GALA wird die Topographie von Ganymed untersuchen.

Mehr Informationen zur Juice Mission:

www.juice.space.unibe.ch

www.esa.int/juice

Förderung durch das SBFI / Abteilung Raumfahrt

Der Bund beteiligt sich an der JUICE Mission im Rahmen des PRODEX-Programms (PROgramme de Développement d'EXpériences scientifiques) der Europäischen Weltraumorganisation ESA. Über dieses Programm können national Beiträge für Wissenschaftsmissionen durch Projektteams aus Forschung und Industrie entwickelt und gebaut werden. Dieser Wissens- und Technologietransfer zwischen Wissenschaft und Industrie verschafft dem Werkplatz Schweiz letztlich auch einen strukturellen Wettbewerbsvorteil – und er ermöglicht, dass Technologien, Verfahren und Produkte in andere Märkte einfliessen und so einen Mehrwert für unsere Wirtschaft erbringen.

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