Orte an der Uni Bern
Antike Schätze im Industriecharme
Versteckt im Länggassquartier, zwei Stockwerke unterhalb eines Universitätsgebäudes, befindet sich die Antikensammlung der Universität Bern – ein Ort mit über 200 Gipsabgüssen antiker Statuen, der zu einer Reise in vergangene Zeiten einlädt.
Das Stimmengewirr der Studierenden in der Pause zwischen den Vorlesungen erfüllt den Eingangsbereich des Gebäudes an der Hallerstrasse 12. An der Menschenmenge vorbei, zwei Stockwerke tiefer, werden die Stimmen gedämpfter und machen einem leisen Rauschen Platz. Ich betrete das Reich von Josy Luginbühl, Kuratorin der Antikensammlung, die zum Institut für Archäologische Wissenschaften der Universität Bern gehört. Ein besonderer Ort mitten in Bern, an dem Gipsabgüsse von Statuen versammelt sind, die im Original in verschiedenen europäischen Museen stehen.
Ein Raum, der antike Kunst in neuem Licht erscheinen lässt
Wer die Antikensammlung betritt, spürt sofort den industriellen Charakter des Raumes, der einst als Lagerraum des Kartenverlags Kümmerly & Frey diente. An den hohen Decken sind bunte Rohre zu sehen, die den Charme des umgenutzten Industriegebäudes unterstreichen. Auf Kalksteinsockeln und Europaletten stehen Gipsabgüsse von jahrtausendealten Statuen, die von Neonröhren in ein kühles Licht getaucht werden. Im Kontrast zur modernen Aufmachung vermitteln die Skulpturen eine Atmosphäre vergangener Zeiten. Bereits seit 1806 befinden sich die Abgüsse in Bern, wanderten anfangs von Ort zu Ort und fanden 1994 ihren heutigen Platz im Untergeschoss des Universitätsgebäudes.
Ein Rundgang durch die Sammlung führt uns chronologisch durch die antike Welt: von der Archaik über die Klassik und den Hellenismus bis hin zur Römerzeit. Josy Luginbühls Blick fällt sofort auf die beiden blauen Sessel, die seit ihrem letzten Besuch umgestellt wurden – ein Hinweis darauf, dass vor kurzem Zeichnende hier waren. Genau dafür wurde die Sammlung ursprünglich geschaffen: für den Zeichenunterricht. Heute dient sie vor allem der akademischen Lehre. Die Statuen in ihrer dreidimensionalen Form und originalgetreuen Grösse bieten einen Zugang zur Kunst, der durch Fotos und Bücher nicht vermittelt werden kann. «Man erlebt sie einfach anders», meint Josy Luginbühl. Wer die Statuen sonst in dieser Form betrachten möchte, müsse oft weite Reisen auf sich nehmen.
Der Hermaphrodit: eine Verschmelzung der Geschlechter
Ein besonderes Exponat der Sammlung ist die Statue des Hermaphroditen. Auf einem eigens dafür angefertigten Sockel ruht, so scheint es zunächst, eine Frau. Bei näherer Betrachtung wird die männliche Seite der Skulptur sichtbar. Die zweigeschlechtliche Statue stammt aus der Zeit des Hellenismus und ist nicht nur künstlerisch faszinierend, sondern hat auch eine spannende Reise hinter sich. Das Original befand sich einst in Rom, bevor es nach Paris gelangte, wo der Abguss angefertigt wurde. Als einer der ersten Gipsabgüsse fand der Hermaphrodit dann vor über 200 Jahren den Weg nach Bern.
Die Gipsabgüsse sind mehr als nur Kopien von Statuen. «Manchmal ist die Kopie das, was das Original bewahrt», sagt Josy Luginbühl. Viele Originale existieren heute nicht mehr in ihrer ursprünglichen Form und bleiben dank der Gipsabgüsse für Besucherinnen und Besucher erlebbar. Die Sammlung ist nicht nur für Studierende, sondern auch für die Bevölkerung zugänglich und bildet heute einen bedeutenden Teil des Instituts für Archäologische Wissenschaften der Universität Bern. Regelmässige Veranstaltungen füllen den Raum immer wieder neu mit Leben und setzen die antiken Schätze in einen modernen Kontext.
Zur Person
Dr. des. Josy Luginbühl
ist wissenschaftliche Assistentin am Institut für Archäologische Wissenschaften an der Universität Bern. Sie ist hauptsächlich in der Lehre und als Kuratorin der Antikensammlung tätig.
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