Balance zwischen Unabhängigkeit und Verantwortung

Am 3. Dezember fand an der Universität Bern eine Podiumsdiskussion zum Verhältnis von Wissenschaft und Politik statt. Fazit: Ob sie wollen oder nicht, die beiden Bereiche sind eng miteinander verknüpft.

Rektorin Virginia Richter sieht es nicht als Aufgabe der Universität, sich zur Tagespolitik zu äussern.
Rektorin Virginia Richter sieht es nicht als Aufgabe der Universität, sich zur Tagespolitik zu äussern.

«Weshalb eigentlich braucht es eine Diskussion darüber, wie politisch Wissenschaft sein darf?», fragte Caroline Schlaufer, die die Podiumsdiskussion moderierte, zu Beginn der Veranstaltung. Die Politikwissenschafterin vom Kompetenzzentrum für Public Management (KPM) der Universität Bern lieferte die Antwort gleich selbst: Einerseits, weil Wissenschaft und Politik in engem Kontakt stehen, zum Beispiel wenn Forschende beraten. Und andrerseits, weil in letzter Zeit immer wieder der Vorwurf laut wurde, die Wissenschaft sei zu politisch. Sei es im Zusammenhang mit der Covid Task Force, mit Blick auf den Nahostkonflikt oder vor dem Hintergrund der Klimadebatte. Die Moderatorin versprach eine Diskussion über «das Spannungsfeld, in dem sich die Wissenschaft befindet», denn sie trage Verantwortung dafür, mit dem Wissen, das sie generiere, zur Lösung gesellschaftlicher Probleme beizutragen, – werde aber umgekehrt als politisch nicht mehr unabhängig wahrgenommen.

«In letzter Zeit wurde immer wieder der Vorwurf laut, die Wissenschaft sei zu politisch.»  

– Caroline Schlaufer, Moderatorin

Zu dieser einleitenden Bemerkung meinte Virginia Richter, die Rektorin der Universität Bern: «Wir werden von beiden Seiten kritisiert – von Leuten, denen wir allzu politisch sind und von solchen, die finden, wir sollten uns stärker politisch äussern.» Es sei nicht Aufgabe der Universität, sich zu spezifischen tagespolitischen Ereignissen zu äussern, doch sie müsse dafür sorgen, dass «der Freiraum der Forschenden» gewahrt werde: «Es ist nicht an der Unileitung, Positionen für die ganze Uni festzulegen.»

Kann Wissenschaft unpolitisch sein?

Virginia Richter war eine von vier Diskussionsteilnehmenden, die als Forschende über das Verhältnis von Politik und Wissenschaft nachdenken oder die Verzahnung der beiden Bereiche in ihrer eigenen Arbeit erleben. Neben der Rektorin standen auf dem Podium des Kuppelsaals im Hauptgebäude: Stefan Schlegel von der Swiss Young Academy, Benedikt Schmidt, Vizepräsident des Think Tanks Reatch und Heike Mayer, Vizerektorin Qualität und Nachhaltige Entwicklung der Universität Bern.

Die Runde brauchte keine Aufwärmungszeit, sondern erörterte gleich grosse Fragen wie: Wann ist Wissenschaft politisch? Was ist Aktivismus? Was legitimiert die Wissenschaft dazu, sich in die Politik einzubringen? Und: Gibt es überhaupt unpolitische Wissenschaft? Stefan Schlegel etwa meinte, es sei fraglich, ob eine «qualitative Grenze» zwischen Aktivismus und Politik auf der einen und Wissenschaft auf der anderen Seite existiere. «Am Anfang jeder wissenschaftlichen Tätigkeit steht der Wunsch, die Welt gestalten zu wollen – und das ist gut so!» Benedikt Schmidt pflichtete bei und erklärte, «hinter jeder wissenschaftlichen Biographie steht ein persönlicher Bezug zu einem Thema». Er gab jedoch zu bedenken, dass sich Aktivistinnen und Aktivisten schwer damit täten, kritische Distanz zu den eigenen Zielen zu wahren. Wissenschaft hingegen müsse kritikfähig sein und sich hinterfragen lassen.

Wie können Forschende gesellschaftlichen Impakt erzielen?
 

Gerade junge Menschen ziehe es in die Wissenschaft, weil sie mit ihrer Arbeit die Gesellschaft verändern möchten, sagte Moderatorin Caroline Schlaufer und wollte von Stefan Schlegel, dem Mitbegründer der politischen Bewegung Operation Libero, wissen, wie Forschende den grössten gesellschaftlichen Impakt erzielen könnten. Die Antwort des Juristen, der zurzeit an seiner Habilitation arbeitet: Eine Möglichkeit sei, eine wissenschaftliche Karriere zu verfolgen, «formale Meriten abzuholen» und sich den entsprechenden «Habitus» anzueignen, denn so werde man in der Politik ernstgenommen. Noch mehr Wirkung erziele allerdings, wer den Jargon auch wieder ablegen und seine Anliegen je nach Publikum in Alltagssprache übersetzen könne.

Die Diskussionsrunde im vollbesetzten Kuppelsaal der Universität Bern.
Die Diskussionsrunde im vollbesetzten Kuppelsaal der Universität Bern.

Der konkrete politische Alltag tauchte in der Diskussion auf, als sich in der Fragerunde ein Zuhörer zu Wort meldete, der sich als erstes als Nichtakademiker outete. Er erklärte, er sei als Politiker in einem Parlament tätig und habe kürzlich einen Vorstoss für eine energiesparende Beleuchtung im öffentlichen Raum mit wissenschaftlichen Studien untermauert. Nun möchte er wissen, ob er so der soeben geäusserten Forderung nach mehr wissenschaftlicher Evidenz in der Politik nachgekommen sei. Aufmunterndes Kopfnicken auf dem Podium.

Im weiteren Verlauf erfuhr das Publikum, wie es an der Universität mit Regeln für politische Positionsbezüge der Forschenden steht. «Wir haben Weisungen definiert», erklärte Virginia Richter, «doch in der Wissenschaft ist es nicht möglich, eine Checkliste aufzustellen.» Es komme immer auf den Kontext an, und politische Voten in der Öffentlichkeit seien immer ein Balanceakt. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler seien selbst dafür verantwortlich, was sie sagten, so die Rektorin. Und sie zu schützen, wenn etwa nach kontroversen Äusserungen ein Shitstorm auf sie niederprassle, sei für die Universität schwierig.

Virginia Richter erzählte auch, in einer kleinen, internen Arbeitsgruppe würde an der Universität gegenwärtig über das Spannungsfeld zwischen Politik und Wissenschaft diskutiert. Dabei zeige sich, wie unterschiedlich die entsprechenden Erfahrungen je nach Wissenschaftszweig sei.

Sich nur nicht entmutigen lassen

Vizerektorin Heike Mayer berichtete von «Engaged UniBE» – einer Initiative, die Forschung im Bereich der nachhaltigen Entwicklung transdisziplinär und gemeinsam mit gesellschaftlichen Akteurinnen und Akteuren vorantreiben will. Dabei sollen Forschungsfragen und -methoden zusammen diskutiert werden – ein Vorgehen also, beim dem die Wissenschaft bewusst die Nähe zu Politik und Gesellschaft sucht. «Wir stehen grossen Herausforderungen gegenüber wie dem Klimawandel, dem Verlust der Biodiversität, dem demographischer Wandel oder den Auswirkungen der Digitalisierung», so Heike Mayer, «für diese Herausforderungen gibt es nicht die eine und beste Lösung. Wir müssen gemeinsam evidenzbasierte Lösungen entwickeln.»

Vizerektorin Heike Mayer plädiert für eine stärkere Nutzung wissenschaftlicher Evidenz.
Vizerektorin Heike Mayer plädiert für eine stärkere Nutzung wissenschaftlicher Evidenz.

Und wie gehen Forschende damit um, wenn sie erfahren, dass ihre Erkenntnisse von der Politik schlicht ignoriert werden, wollte eine Fragerin aus dem Publikum wissen. Politikwissenschafterin Caroline Schlaufer als Moderatorin pflichtete bei: Diverse Studien zeigten, dass wissenschaftliche Evidenz kaum politisch genutzt werde. Direkt von der Frage angesprochen fühlte sich Heike Mayer, die unter anderem als Mitglied des Rats für Raumordnung den Bundesrat beraten hat. «Es ist schon enttäuschend, wie wenig aus einem Expertengremium in die Politik einfliesst», gestand sie. Doch: «Ich lasse mich nicht entmutigen und mache weiter, manchmal dauert es einfach lange, bis die Dinge in Bewegung geraten.»

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