Universität
Leidenschaft für die Wissenschaft am Dies academicus
Die Rolle der Wissenschaft und ihre gesellschaftliche Bedeutung standen im Zentrum der 190. Stiftungsfeier der Universität Bern. Es wurden sieben Ehrendoktortitel und sieben akademische Preise verliehen. Kuno Lauener, Sänger und Songschreiber von Züri West, wurde die Ehrendoktorwürde verliehen.
Erstmals begrüsste Rektorin Virginia Richter am Samstag im Casino Bern die Gäste zum Dies academicus. Anhand von Mary Shelley’s Roman Frankenstein sprach sie zur Rolle von Wissenschaft in der Gesellschaft. Obwohl der Roman für eine ausser Kontrolle geratene Wissenschaft stehe, sei es Shelley sehr gut gelungen, die wichtigsten Aspekte von Forschung zu beschreiben: «Die Faszination der Entdeckung, die Neugier, das Staunen und die Leidenschaft der Forschenden», so Richter. Dies seien Werte, die bis heute auch die Universität Bern antreiben.
Wissenschaftsfreiheit als oberstes Gut
In ihrer Ansprache rückte Virginia Richter die Wissenschaftsfreiheit ins Zentrum: «Die Verteidigung der Wissenschaftsfreiheit gehört zu den obersten Zielen der Universität.» Sie berief sich auf den Academic Freedom Index 2023 und stellte die Frage, ob die Wissenschaftsfreiheit bedroht sei. Während die Schweiz zu den Ländern gehört, in denen die Wissenschaftsfreiheit gemäss Bericht «vollständig gegeben» ist, so zeigt sich weltweit ein anderes Bild: seit 2006 hat sich die Zahl der Menschen, die in Ländern leben, in denen die Wissenschaftsfreiheit «vollständig eingeschränkt» ist, von 4,5 auf 45 Prozent verzehnfacht. Eine Zahl, die Richter mit Nachdruck wiederholte.
Richter betonte die internationale Stellung der Universität Bern als Spitzenuniversität, die zum besten Prozent der Universitäten weltweit gehört. Diese Position sei nicht zuletzt den vielfältigen Beziehungen mit Forscherinnen und Forschern in anderen Ländern zu verdanken. Deshalb erteile die Universität Bern pauschalen Boykottforderungen eine klare Absage.
In der Polarisierung in der Gesellschaft – aber auch innerhalb der akademischen Welt – sieht Richter einen der wichtigsten Gründe für die Gefährdung der Wissenschaftsfreiheit. Sie warnte: «Leidenschaft, die nicht durch Selbstreflexion und auch Selbstzweifel reguliert wird, kann leicht in doktrinäre Einseitigkeit umschlagen.»
In ihrer Begrüssung ging die Rektorin auch auf Bildungsgerechtigkeit ein: Diese sei nur gewährleistet, «wenn jedes Kind seinen Bildungsweg entsprechend seiner Begabung wählen kann». Bei einer Erhöhung der Studiengebühren drohe sich die Tür zum Studium für begabte Kinder zu schliessen, da der Zugang zur Universität «vom Portemonnaie der Eltern abhängen würde».
Verantwortung übernehmen
Ähnlich wie Virginia Richter nutzte Regierungsrätin Christine Häsler Zahlen zur Veranschaulichung ihrer Argumente: wären die rund 400 Gäste im Casino repräsentativ für die Weltbevölkerung, dann würden 37 Menschen hungrig schlafen gehen, 56 würden nach dem Anlass in eine Konfliktregion zurückkehren und 37 Gäste könnten das Tagesprogramm nicht lesen, da sie Analphabeten wären. «Ich bin überzeugt, dass unsere privilegierte Situation dazu verpflichtet, Verantwortung zu übernehmen und uns ganz konkret für eine gerechtere und nachhaltigere Welt einzusetzen», fuhr Häsler fort.
Abschliessend sprach Häsler der Universität Bern ihr Lob aus: Sie leiste «ganz Grundlegendes zum Nutzen der Gesellschaft.» Sie hob das Institut für Politikwissenschaft hervor, die Universität sei sich der Verantwortung gegenüber der eigenen Region bewusst und stärke das demokratische politische System mit ihrer Forschung. Global spiele die Wyss Academy for Nature an der Uni Bern eine wichtige Rolle, denn durch die Kombination von Forschung und praktischer Anwendung nehme die Universität ihre Verantwortung für eine nachhaltige Welt auch in entfernten Regionen wahr. Und universal weite die Berner Weltraumforschung den Blick «bis an die Grenzen des Sonnensystems.»
Idealisierte Vorstellungen fördern Wissenschaftsfeindlichkeit
Die Rektorin hatte in ihrer Begrüssung Eingriffe in Forschung und Lehre durch die Politik thematisiert. Anna Leuschner, diesjährige Gastrednerin und Professorin für Philosophie an der Bergischen Universität Wuppertal, forscht zu diesem Thema und teilte ihre Standpunkte. Krankheitshalber konnte Leuschner nicht an der Feier teilnehmen, ihre Rede wurde als Video abgespielt.
Leuschner stellte als erstes eine Frage in den Raum: «Was zeichnet Wissenschaft aus?» Sie beantwortete die Frage mit verschiedenen Definitionen von Wissenschaft, die sich im Lauf der Zeit weiterentwickelten. Traditionell sei Wissenschaft als objektive und wertfreie Suche nach Wahrheit verstanden worden. Die Realität der Wissenschaft habe jedoch gezeigt, dass Theorien oft revidiert werden müssten und abschliessende Sicherheit in empirischer Forschung nicht möglich sei. Die Forderung, dass eine Hypothese nur dann als wissenschaftlich gelten kann, wenn sie falsifizierbar ist, zeige denn auch, dass sie traditionelle Vorstellung von «wahrer» – im Sinne von unumstösslicher – wissenschaftlicher Erkenntnis fehlgeleitet sei.
Wenn idealisierte Vorstellungen von Wissenschaft auf die tatsächliche Praxis treffen, könne dies Wissenschaftsfeindlichkeit fördern, betonte Leuschner – denn Unsicherheiten würden dann oft als Schwäche wahrgenommen. Die moderne Wissenschaftsphilosophie anerkennt laut Leuschner diese Wertbeladenheit der Forschung an. So spielten beim Forschungsprozess wertbasierte Entscheidungen eine unvermeidliche Rolle, beispielsweise bei der Wahl der Methoden oder der Interpretation von Daten. Zu unterscheiden sei jedoch zwischen legitimem und illegitimem Werteeinfluss. Sie betonte abschliessend, dass die besondere Zuverlässigkeit und Glaubwürdigkeit der Wissenschaft eben genau darin liege, ihre Ergebnisse stets offen zur Überprüfung und Revision zu halten.
Alte und neue Anliegen des Mittelbaus
Als letzte richtete Bettina Zimmermann, Co-Präsidentin der Mittelbauvereinigung der Universität Bern (MVUB), ihr Wort an die Gäste des Dies academicus. Zimmermann nahm das 30. Jubiläumsjahr der MVUB zum Anlass für eine Rückschau.
Gegründet wurde die MVUB 1994, im Jahr 2003 wurde mit Unterstützung der Universitätsleitung eine Geschäftsstelle eingerichtet – «Herz und Kern» der MVUB. Einige zentrale Anliegen des Mittelbaus seien jedoch immer noch dieselben wie zu Gründungszeiten, so Zimmermann. Zwar habe die Universität Bern mittlerweile wichtige Regelungen umgesetzt, um die Arbeitsbedingungen für Mittelbauangehörige zu verbessern. Zimmermann argumentierte jedoch, die bisher getroffenen Massnahmen würden zu kurz greifen: «Die diskutierten Sparmassnahmen im Bildungsbereich auf Bundesebene werden den Mittelbau besonders hart betreffen und lösen bei uns Frustration und Existenzängste aus.»
Neben den konstanten bestehenden Anliegen bezüglich Anstellungs- und Arbeitsbedingungen seien einige zentrale Anliegen der MVUB in den letzten Jahren hinzugekommen, so Zimmermann, «zum Beispiel die Chancengleichheit, insbesondere die Vereinbarkeit des akademischen Berufs mit familiären Verpflichtungen». Zum Schluss ihrer Rede hofft sie auf mindestens 30 weitere Jahre Zusammenarbeit mit der Universitätsleitung und der Bildungsdirektion.
Mundart-Rocker mit Ehrendoktortitel ausgezeichnet
Unter der Leitung von Matthias Kuhn begleitete das Medizinerorchester Bern die Feier. Nach einem Zwischenspiel folgte die Verleihung der Ehrendoktorate. Ausgezeichnet wurde der Schweizer Mundart-Musiker Kuno Lauener, Frontmann der Band Züri West. Geehrt wurde sein grosser Beitrag zum sprachlichen Kulturgut der Berner Mundart. «Mit der Universität Bern teilt Kuno Lauener die Verbindung von Innovation und Unaufgeregtheit», würdigte Virginia Richter in ihrer Laudatio: «Er hat das Image der Stadt Bern als spannenden und attraktiven Ort lebendiger Jugendkultur mitgeprägt, und seine Texte und seine Musik berühren viele Menschen seit vierzig Jahren». Kuno Lauener konnte an der Feier krankheitshalber nicht persönlich teilnehmen.
Nach der Verleihung der sieben Ehrendoktorate wurden die akademischen Preise der Universität verliehen. Zehn Personen wurden an der Stiftungsfeier ausgezeichnet, unter anderem erhielt Kizzmekia Corbett-Helaire den Hans-Sigrist-Preis für die Entwicklung eines Impfstoff gegen COVID-19.
DER DIES ACADEMICUS
Der Dies academicus erinnert an die Gründung der Universität Bern im Jahre 1834. Die Stiftungsfeier der Universität Bern findet jährlich am ersten Samstag im Dezember statt. Auf der Website zum Dies academicus finden Sie weitere Impressionen vom Anlass, Informationen zu allen Ehrendoktorinnen und Ehrendoktoren sowie Preisträgerinnen und Preisträgern.
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