Lehren aus dem «hölzernen Zeitalter» der Vormoderne

Die Begrenztheit von Ressourcen zur Energiegewinnung sowie saisonale Schwankungen waren schon vor der industriellen Revolution prägende Themen und erforderten vorausschauendes Denken. Auch der Begriff der Nachhaltigkeit taucht in diesem Kontext erstmals auf.

Text: Christian Rohr 15. Juli 2024

Bild: Dres Hubacher

Holz war für das Wirtschaftsleben und den Alltag historischer Gesellschaften in Europa elementar. Es diente als Baumaterial und Werkstoff, aber vor allem war es der wichtigste Brennstoff. Entsprechend hat der deutsche Umwelthistoriker Joachim Radkau, aufbauend auf Werner Sombart und anderen, die Zeit vor der industriellen Revolution schon in den 1980er-Jahren als «hölzernes Zeitalter» beschrieben.
Holz war vielerorts in der Nähe verfügbar, und zudem galten die Wälder zumindest im Mittelalter als «allmend», also für alle zugänglich und nutzbar.

Adlige schränken freie Waldnutzung ein

Erst im 14. bis 16. Jahrhundert wurde die Nutzung der Wälder immer restriktiveren Reglementierungen unterworfen. Städte verfügten in Polizeiordnungen, wer zu welchen Zeiten wie viel Holz entnehmen durfte. Adelige und geistliche Waldbesitzer versuchten zudem, die freie Waldnutzung und Holzentnahme durch die bäuerliche Bevölkerung zu verbieten.
Neben dem Holz wurden vor allem Wasser und Wind als Energieträger verwendet. Flüsse dienten zudem als Transportwege, unter anderem um Holz aus den waldreichen Gebirgsregionen in die dichter besiedelten voralpinen Gebiete zu flössen.
Wasser trieb aber auch unterschiedliche Formen von Mühlen an. Die Getreidemühlen waren dabei nur ein Nutzungsbereich von vielen. In der Verhüttung kamen ebenfalls mit Wasser angetriebene Erzmühlen zum Einsatz, in denen das aus dem Berg beförderte Gestein zu Granulat verkleinert wurde, bevor es in die Schmelzöfen kam. In Papiermühlen wurden Leinenlumpen als Ausgangsmaterial für die Papiererzeugung bis zum 19. Jahrhundert zunächst maschinell verkleinert.

Die Salzgewinnung – hier in Hallein (Österreich) – erforderte enorme Mengen an Brennholz, das über ein überregionales Flösserwesen zu den Salinen gelangte. Das Bild zeigt die Arbeit beim «Holzrechen» im Fluss, wo die Baumstämme herausgefischt und zu Brennholz verkleinert wurden.
Die Salzgewinnung – hier in Hallein (Österreich) – erforderte enorme Mengen an Brennholz, das über ein überregionales Flösserwesen zu den Salinen gelangte. Das Bild zeigt die Arbeit beim «Holzrechen» im Fluss, wo die Baumstämme herausgefischt und zu Brennholz verkleinert wurden. Tafelbild von Benedict Werkstötter, 1757/1758, Keltenmuseum Hallein

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Zum Holz kommen Wasser und Wind als Energieträger

Im nördlichen Mitteleuropa spielte auch die Nutzung der Windenergie schon früh eine zentrale Rolle. Die Flachländer an der Nordsee konnten höchstens die grossen Flüsse für Wasserkraft nutzen, wohingegen kleinere Wasserläufe zu wenig Gefälle aufwiesen. Die Windmühlen, die stellenweise bis heute das Landschaftsbild prägen, mahlten aber nicht nur Getreide: Ein Grossteil der Mühlen wurde zur Entwässerung der Felder verwendet, insbesondere in den Niederlanden, wo schrittweise die unter dem Meeresspiegel liegenden Binnenflächen zu Ackerland umgewandelt wurden.

Historische Windmühle bei Schermer (Niederlande) zur Entwässerung.
Historische Windmühle bei Schermer (Niederlande) zur Entwässerung. Foto: Christian Rohr

Bergbau liess Wälder schwinden

Die mit Abstand grössten Energieverbraucher waren Bergbaubetriebe, Salinen und Glasbläsereien. Im Bergbau wurde das Holz nicht nur für den Stollenbau verwendet, sondern auch für die Schmelzöfen. Rasch waren daher die Wälder der Bergbauregionen abgeholzt, sodass dieses Holz von immer weiter entfernten Gebieten herbeigeschafft werden musste. In den Quellen manifestiert sich dies etwa durch gehäufte Berichte von Lawinenabgängen.
Der Salzabbau mit seinen Zentren im Ostalpenraum, aber auch in Südpolen baute seit dem Hochmittelalter auf einem Nassabbau auf, es wurde also Wasser in salzführende Schichten des Gebirges geleitet, sodass allmählich ein unterirdischer See entstand. War die Sole schliesslich gesättigt, wurde diese in Salinen im Tal geleitet, wo das Salz in grossen Sudpfannen ausgekocht, zu grossen Kegelstümpfen (Fudern) gepresst und auf dem Fluss weitertransportiert wurde. Die Brennholzzufuhr erfolgte über ein überregionales Flösserwesen.
Die Glasindustrie war ebenfalls sehr ressourcenintensiv, sodass sie sich in holzreichen Regionen wie im Bayerischen Wald ansiedelte. Bald gingen die Unternehmen dazu über, rasch nachwachsende Fichten- oder Kieferwälder zu pflanzen, was schon vor rund 300 Jahren den Grundstein für stark vulnerable Monokulturen legte.

Titelseite der forstökonomischen Schrift von Hans Carl von Carlowitz (Sylvicultura oeconomica, Leipzig 1713), in welcher der Begriff Nachhaltigkeit erstmals auftaucht. Zentralbibliothek Zürich, NO 39 | G, https://doi.org/10.3931/e-rara-46723

Die Erfindung der Nachhaltigkeit

Der hohe Bedarf an Holz für den Bergbau und der immer stärkere Holzmangel in der näheren Umgebung wurden im frühen 18. Jahrhundert auch Thema in den Traktaten der Forstökonomen. Hans Carl von Carlowitz widmete 1713 dieser Frage seine Schrift «Sylvicultura oeconomica» (ökonomische Waldwirtschaft). Darin spricht er sich für eine «nachhaltende Nutzung» des Waldes aus – der erste explizite Beleg dieses heute wesentlichen Leitprinzips. Allerdings verstand er darunter vor allem den langfristigen ökonomischen Nutzen; die anderen beiden Seiten der Nachhaltigkeit, also das Gleichgewicht auch in ökologischer und sozialer Hinsicht, sucht man bei ihm noch vergebens.

«Die Fixierung auf einen spezifischen Energieträger kann rasch zu Engpässen führen.»

Christian Rohr

Eine Herausforderung stellten stets die unterschiedlichen Wasserstände der Flüsse je nach Saison dar. War der Wasserstand zu hoch oder zu niedrig, konnten die Wasserwege teilweise nicht mehr für den Transport von Menschen, Handelsgütern und vor allem auch Holz verwendet werden. Auch die Mühlen am Flussufer waren davon betroffen, sodass sich als Ausweg ein eigener Mühlentyp entwickelte: Bei Schiffsmühlen waren die Mühlräder auf oder zwischen mehreren Schiffen montiert und konnten je nach Wasserstand den Strömungsverhältnissen angepasst werden. Auch die unterschiedlichen Windverhältnisse führten zu saisonalen Schwankungen beim Einsatz der Windmühlen sowie im Segelschiffverkehr.

Zur Person

Prof. Dr. Christian Rohr

ist seit 2010 Ordentlicher Professor für Umwelt- und Klimageschichte am Historischen Institut der Universität Bern. Er beschäftigt sich mit Fragen der Ressourcennutzung, dem Umgang mit extremen Naturereignissen, dem Verhältnis von Umwelt und Tourismus oder der Analyse historischer Bildquellen.

Prof. Dr. Christian Rohr

Erkenntnisse für heutige Herausforderungen

Der Blick zurück offenbart Herausforderungen, die auch heute den Energiesektor prägen, etwa die saisonal unterschiedliche Verfügbarkeit erneuerbarer Energien. Während sich in der Vormoderne das Wirtschaftsleben an die jeweilige Verfügbarkeit der Energieträger anpassen musste, braucht es heute einen optimierten Mix der Energieträger und vor allem Speichermöglichkeiten der Überschussproduktion. Und die historische Abhängigkeit von Holz zeigt auch, dass die Fixierung auf einen spezifischen Energieträger rasch zu Engpässen führen kann, wenn die Verfügbarkeit – aus welchen Gründen auch immer – gefährdet ist.

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Dieser Artikel erschien erstmals in uniFOKUS, dem Printmagazin der Universität Bern. uniFOKUS beleuchtet viermal pro Jahr einen thematischen Schwerpunkt aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Aktuelles Fokusthema: «Menschen brauchen Energie»

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