Hochschullehre
«Exzellente Lehre weckt Leidenschaft»
Die Universität Bern will ihre Studierenden zu kompetenten Mitgliedern der Gesellschaft ausbilden. Für Fritz Sager, Vizerektor Lehre, sind dafür die direkten Kontakte mit den Studierenden zentral, und er empfiehlt den Studierenden den internationalen Austausch.
Herr Sager, wie würden Sie die Universität Bern als Ausbildungsstätte beschreiben?Fritz Sager: Kurz und ganz grundsätzlich gesagt: Die Universität Bern ist der Ort, an dem die Studierenden zentrale Ressourcen für die Zukunft bekommen, nämlich Kompetenzen und Kontakte. Das heisst, die Universität ist der Ort, an dem ich das relevante Wissen für meine berufliche Zukunft erhalte, egal, was ich danach mache. Und hier entwickle ich auch ein Netzwerk von wichtigen Kontakten. Das können Kolleginnen und Kollegen aus dem Unisport sein oder auch Beziehungen in beruflichen Netzwerken. Dieses Netzwerk bleibt mir auch nach dem Studium erhalten, unter anderem durch Vereinigungen wie Alumni UniBE.
Trifft diese Beschreibung nicht auf jede Hochschule zu? Was ist das Besondere an einer Universität, und was unterscheidet sie von einer Fachhochschule?Natürlich sind sich die Hochschulen ähnlich, und die Abgrenzung ist nicht so absolut zu beantworten. Wir wollen alle, dass die Studierenden mündige und kompetente Mitglieder der Gesellschaft werden. Eine Universität ist aber mehr auf der Seite der Grundlagenforschung und eine Fachhochschule mehr auf der Seite der Anwendung. Die Universität hat auch den Auftrag, zweckfreie Forschung zu betreiben, also Dinge herauszufinden, nach denen noch niemand gefragt hat.
Aber auch die Universität will Praxisrelevanz, hat Ausgründungen und will sich engagieren. Im Kern generieren beide Hochschultypen einen Nutzen für die Gesellschaft und bringen so die Welt voran. Wir vermitteln aber eher Kompetenzen und nicht unbedingt ein konkretes Berufsbild. Unsere Absolventinnen und Absolventen sind trotzdem sehr erfolgreich und finden Jobs, weil sie über analytische Fähigkeiten verfügen, die man grundsätzlich überall einsetzen kann.
Die universitäre Lehre kommt direkt aus der Forschung. Die Studierenden dürfen erwarten, dass sie bei uns Forschung auf dem neuesten Stand erleben. Wir sind eine Präsenzuniversität, aber wir wollen mit der digitalen Lehre eine passgenaue Ergänzung erreichen. Das ist nicht einfach. Wir haben eine hervorragende Infrastruktur für die digitale Lehre. Wir forschen auch zur Digitalisierung in der Lehre und setzen diese Erkenntnisse um. Zum Beispiel eröffnen wir im Rahmen des Kompetenzzentrums BeLEARN zusammen mit anderen Berner Hochschulen die Graduate School «Digitality and Education» (GSDE), also «Digitalität und Bildung». Dort kümmern wir uns um die Schnittstelle zwischen Technik, Pädagogik und Didaktik. Unser Anspruch ist es, Digitalisierung und Lehre gemeinsam weiterzuentwickeln. Das macht die Universität Bern besonders.
Es gibt immer Erwartungen der Studierenden an ein Studium. Haben sie sich in den vergangenen Jahren verändert?Ob es die Erwartungen der Studierenden sind oder ob wir sensibler für ihre Bedürfnisse geworden sind, kann ich nicht mit Sicherheit sagen. Sicher ist aber, dass es eine Verschiebung hin zu mehr Beratung gibt. Die Studierenden brauchen Unterstützung, um sich an der Hochschule zurechtzufinden. Deshalb bieten wir Orientierungstage und verschiedene Beratungen an.
Zudem wird das Wissen immer umfangreicher, und die Fächer entwickeln sich weiter. Das ist eine Herausforderung für die Maturitätsschulen. Sie müssen immer mehr Lernstoff integrieren. Es besteht die Gefahr, dass die Kluft zwischen dem, was Maturandinnen und Maturanden können, und dem, was wir im Bachelorstudium als Basis verlangen, für einzelne Studierende zu gross wird. Deshalb bieten wir auch Online-Lernmodule an, die Lücken aus der Matura schliessen sollen, oder Online-Self-Assessments für die Fächerwahl.
«Unser Anspruch ist es, Digitalisierung und Lehre gemeinsam weiterzuentwickeln.»
Fritz Sager
Was sind Online-Self-Assessments?Das sind von der Uni entwickelte Online-Module, mit denen sich Studieninteressierte in bestimmten Fächern vorab informieren können, ob das Fach tatsächlich das ist, was sie sich vorstellen. Oft sind die Vorstellungen nicht ganz deckungsgleich mit dem, was ein Fach beinhaltet. Dass man zum Beispiel für ein Psychologiestudium auch viel Mathematik und Statistik können muss, ist nicht allen von vornherein klar.
Wie wichtig ist der internationale Austausch für die Studierenden?Der internationale Austausch ist sehr wichtig, wird aber noch zu wenig genutzt. Wenn man sein gewohntes Umfeld verlässt, ist man gezwungen, sich neuen Einflüssen zu öffnen. Wenn du aber in deinem gewohnten Umfeld bist, ist alles «gäng wie gäng». Es ist auch ein Irrglaube, dass an jeder Universität das gleiche Fach gleich gelehrt wird. Die Fächer sind so vielfältig, dass es nur gut sein kann, sie aus einer anderen Perspektive zu sehen. Durch die Mitgliedschaft in der europäischen Allianz Enlight hat der internationale Austausch noch einmal einen Schub bekommen, und wir entwickeln mit unseren Partneruniversitäten neue Formen des Austauschs.
Was ist für Sie persönlich das Spannende an der Lehre?Für mich sind es der persönliche Kontakt und die Interaktion: Es geht darum, im Austausch Wissen zu vermitteln und durch die Fragen der Studierenden auch herausgefordert zu werden. Das setzt voraus, dass die Studierenden sich darauf einlassen, ihre Fragen und kritischen Anmerkungen einbringen und die Uni nicht als reine «Abfütterungsanstalt» wahrnehmen. Ich denke aber, dass unsere Studierenden hier sehr gut unterwegs sind. Trotz steigender Studierendenzahlen und der Notwendigkeit klassischer Frontallehrformate für grosse Massen muss man sich als Lehrender immer wieder bewusst machen, dass es eigentlich das Besondere ist, dass wir im direkten Austausch stehen können.
Das heisst, die steigenden Studierendenzahlen sind eine Herausforderung für die Lehre?Es gibt durchaus Fächer, in denen das eine sehr grosse Herausforderung ist. Bei bestimmten Studierendenzahlen müssen wir wider besseres Wissen auf Formate wie grosse Massenveranstaltungen zurückgreifen. Gleichzeitig wissen wir, dass wir einen besseren Lernerfolg haben, wenn wir kompetenzorientierte, problembasierte Veranstaltungen anbieten, in denen wir die Studierenden tatsächlich begleiten können. Das gibt es bei einer Vorlesung mit 300 Studierenden nicht. Hier stellt sich die Frage nach dem Mehrwert einer Vorlesung gegenüber einem Podcast.
Zur Person
Fritz Sager
ist Vizerektor Lehre und Professor für Politikwissenschaft am Kompetenzzentrum für Public Management der Universität Bern. Seine Schwerpunkte sind die Umsetzung und Wirkung öffentlicher Politiken, das Verhältnis von Wissenschaft und Politik und die politische Rolle der Verwaltung.
Wir suchen sehr stark das Gespräch mit den Lehrenden. Vor Beginn des Frühjahrssemesters findet zum Beispiel der Tag der Lehre statt. Dort greifen wir aktuelle Themen wie Präsenzlehre und Digitalisierung auf. Im Februar 2025 wird es um Leistungskontrollen in Zeiten künstlicher Intelligenz gehen. Das betrifft praktisch alle Fächer, alle Lehrenden und alle Lehrveranstaltungen.
Sie haben vorhin indirekt die Qualität der Lehre angesprochen. Wird diese regelmässig überprüft und, wenn ja, wie sieht das konkret aus?Wir haben verschiedene Formen der Qualitätssicherung. Zum Beispiel führen wir regelmässig Lehrevaluationen durch. Das ist die Bewertung einer Veranstaltung aus der Sicht der Studierenden. Die Lehrevaluation ist sehr wichtig als Feedback an die Dozierenden. Sie sind verpflichtet, die Ergebnisse mit den Studierenden zu besprechen und Massnahmen zu ergreifen, wenn ihre Lehre nicht gut ankommt. Wenn sie mehrmals ungenügend evaluiert werden, werden sie verpflichtet, ein Weiterbildungsangebot zu besuchen.
Und nach welchen Kriterien wird entschieden, dass ein Ausbildungsgang eingeführt wird? Schaut man, was nachgefragt wird? Oder wählt man ein Thema, das man selbst gerne unterrichten würde?Das spielt zusammen. Es gibt auch Studiengänge, die auslaufen und dann eingestellt werden, die aber vorher durchaus gefragt waren. Meistens sind das sehr spezialisierte Fächer, und dafür muss die Uni auch Raum haben. Von dieser Vielfalt leben wir. Aber wenn ein Angebot über einen langen Zeitraum sehr wenig nachgefragt wird, dann muss man das irgendwann hinterfragen. Und natürlich kommen Entwicklungen auch aus der Gesellschaft. Zum Beispiel hat die Digitalisierung zu neuen Lehrangeboten geführt.
Was ist der Unterschied zwischen guter und exzellenter Lehre?Gute Lehre vermittelt den Lernstoff, und die Studierenden erkennen einen Nutzen. Exzellente Lehre begeistert und vermittelt etwas, das die Studierenden sonst nicht bekommen würden. Es geht darum, Leidenschaft zu wecken und einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen.