Geflüchtete Studierende
«Ich möchte mich integrieren und als Lehrerin arbeiten»
Diana Pashchenko begann in der Ukraine ein Marketing-Studium. Jetzt bereitet sie sich auf ein Englisch-Studium an der Universität Bern vor und möchte Lehrerin werden.
«Ich habe mich schon immer für Sprachen interessiert. Englisch habe ich mir als Schülerin in meiner Freizeit selbst beigebracht, weil es mir in der Schule keinen Spass machte, Sprachen zu lernen. Deswegen habe ich Musik mit englischen Texten gehört und mir TV-Serien und Filme auf Englisch angeschaut. Dank dieser Methode konnte ich die Sprache einfach lernen und habe so auch mit Spanisch angefangen.
Am Ende meiner Schulzeit habe ich neben Ukrainisch und Mathematik auch Englisch abgeschlossen. Dieser Abschluss ist vergleichbar mit der Schweizer Maturität. Schade, dass es in der Ukraine nicht viele Möglichkeiten gibt, mit Philologie und Linguistik zu arbeiten. Als Lehrerin verdient man dort wenig Geld, und der Beruf ist sehr streng, vor allem weil es für Lehrpersonen kaum Unterstützung gibt. Selbst dann nicht, wenn ein Kind psychologische Hilfe braucht. Als Lehrerin ist man in der Ukraine ganz auf sich gestellt, hinzukommt, dass die Klassen bis zu 30 Kindern gross sind. Deswegen habe ich fürs Studium in meiner Heimat etwas anderes als Englisch gewählt, nämlich Marketing. Diese Fachrichtung gefiel mir, denn ich konnte in ihr kreativ sein, aber meine Leidenschaft war es nicht.
Sumy, Kiew, Bern
Während des Studiums arbeitete ich als Englisch-Tutorin. Ich unterrichtete online und hatte zwischen fünf und 33 Jahre alte Studentinnen und Studenten, meist im Einzelunterricht. Die Mehrzahl von ihnen waren Kinder. In der Schweiz stellte ich fest, dass es hier gute Möglichkeiten gibt, als Lehrerin zu arbeiten. Deswegen möchte ich im Sommer an der Universität Bern damit beginnen, Englisch zu studieren, und später als Lehrerin arbeiten. Eigentlich hatte ich vor, in der Ukraine zu leben. Für mein Marketing-Studium bin ich von meiner Heimatstadt Sumy nach Kiew gezogen, wo ich gerne gelebt habe.
«Ich habe mich stets für Sprachen interessiert und mir in der Ukraine dank Filmen, TV-Serien und Songtexten Englisch selbst beigebracht. Das Leben in der Schweiz gefällt mir. Hier habe ich die Möglichkeit, nach meiner Ausbildung zu guten Bedingungen als Englischlehrerin tätig zu sein. Aber die Ukraine wird immer meine Heimat bleiben. Mein Onkel und viele meiner Freunde sind nach wie vor dort.»
Diana Pashchenko
Ich war zu Besuch in meiner Heimatstadt, als alles begann. Ich hatte mit Freundinnen und Freunden am Vorabend eine kleine Party gefeiert und am Morgen sind wir im kriegerischen Konflikt aufgewacht. Die Mutter einer Freundin hat uns um 5 Uhr morgens angerufen, um uns zu wecken. Zwei Wochen lang konnten wir nicht flüchten, es gab keine sicheren Wege. In dieser Zeit kam ich bei meinen Eltern unter. Aber später konnten wir dann endlich aus der Ukraine fliehen.
Freundliche Leute
Wir haben uns mit meiner Tante in der Zentralukraine getroffen, und sie hat uns in ihrem Auto mitgenommen. Wir hatten kein Ziel vor Augen, erst einmal wollten wir die Ukraine verlassen. In den Nachrichten haben wir gehört, dass die Schweiz Flüchtlinge aufnimmt, so kam es zu unserem Entschluss, hierher zu kommen. Wir waren fünf Tage unterwegs, über Rumänien und Österreich sind wir in die Schweiz gefahren. Wir haben einmal in Basel übernachtet und sind am nächsten Morgen nach Bern gereist. Die meisten meiner Freunde sind in der Ukraine geblieben. Zuerst wollte ich nicht hierbleiben, sondern weiter nach Kanada ziehen. Aber während ich auf mein Visum wartete, stellte ich fest, wie gut es sich hier leben lässt. Die Leute sind freundlich, und es gibt gute Studienmöglichkeiten.
Rasch Deutsch lernen
Zuerst sprach ich kein Deutsch und ich wusste auch nicht, dass es Schweizerdeutsch gibt. Die Dialekte sind schwierig für mich. Zum Glück wurde eine Website für ukrainische Flüchtlinge eingerichtet. Seit ich mich auf dieser für den Newsletter angemeldet habe, bekomme ich E-Mails mit hilfreichen Informationen. So habe ich auch erfahren, dass es ein Vorbereitungsjahr an der Universität Bern gibt, um danach regulär studieren zu können: Das Programm heisst Kompass. In diesem lernen wir nicht nur Deutsch, sondern erhalten etwa auch Lektionen zu den Grundlagen fürs Verfassen von wissenschaftlichen Arbeiten oder auch zum Zeitmanagement.
Deutsch müssen wir alle sehr schnell lernen, bis zum Niveau C1. Auf der Website von Kompass hat es auch eine Telefonnummer. Ich erinnere mich gut an das erste Telefonat. Mit Ann-Seline konnte ich dabei wichtige Fragen klären, daraufhin habe ich mich für das Vorbereitungsjahr beworben. Dafür musste ich aber erst eine Liste von Dokumenten einreichen. Es war viel Arbeit, diese zusammenzustellen, denn meine Papiere waren in der Ukraine und auf Ukrainisch. Mein Vater, der in der Zeit immer noch zuhause lebte, trug die Dokumente für mich zusammen und liess sie übersetzen. Auch habe ich meine Uni in Kiew kontaktiert, einige meiner Zeugnisse befanden sich noch dort.
Nicht alleine
Da ich noch jung bin, fühlt es sich nicht so an, als ob ich für meinen Neubeginn viel Kraft brauche. In der Ukraine hatte ich mein Studium noch nicht fertig, zwar eine Berufsperspektive in Marketing, die mir jedoch nicht so entsprach. Eine Sache, die mir sehr weiterhilft, ist, dass ich mich hier nicht allein fühle. Wenn ich Fragen habe, bekomme ich immer Unterstützung vom Kompass-Team oder meiner Deutschlehrerin. Das Leben in der Schweiz gefällt mir und für meinen Berufswunsch, Lehrerin zu werden, sind die Bedingungen hier sehr gut. Ich möchte mich hier integrieren und als Lehrerin arbeiten. Noch weiss ich nicht sicher, auf welcher Stufe ich unterrichten möchte. Eigentlich mag ich Kinder in der dritten und vierten Klasse. In dieser Phase sind sie nicht mehr so klein, können schon viel selbst machen und sind doch noch keine Teenager.
Die Ukraine ist meine Heimat und das wird sie immer bleiben. Mein Onkel lebt noch dort und auch viele meiner Freunde. Manchmal rufe ich an oder schreibe ihnen. Ich habe Kontakt zu allen, aber auch hier habe ich Freundinnen gefunden und meine Familie ist ebenfalls in der Schweiz. Meine Mutter, mein Bruder, ich und inzwischen auch mein Vater leben in einer Wohnung. Und meine Tante mit ihren beiden Kindern und unserer Grossmutter wohnt in der Nähe von Bern.»
Kompass UniBE
Hochschulvorbereitung für geflüchtete Studierende
ist ein zweisemestriges Hochschulvorbereitungsprogramm für geflüchtete Personen, die ein Studium an der Universität Bern anstreben. Die Teilnehmenden können während einem Jahr studienrelevante Fähigkeiten und akademische Grundkompetenzen erwerben und sich gleichzeitig sprachlich, fachlich und organisatorisch auf die mögliche Aufnahme eines Studiums vorbereiten. Somit können sie länderspezifische Zulassungskriterien, die aufgrund der Fluchtsituation nicht (oder nur sehr schwer) zu erfüllen sind, durch das Bestehen des Vorbereitungsjahres kompensieren und sich für ein Studium qualifizieren.
Aktuell nehmen Studierende aus der Türkei, der Ukraine und Afghanistan am Programm teil. Im ersten Pilotjahr war die Anzahl Teilnehmende auf 20 begrenzt, im zweiten Pilotjahr sind bis 40 möglich.